G/GESCHICHTE Oktober 2015

Die Borgia – Aufstieg und Fall einer Familie

Liebe Leserinnen und Leser!

Vetternwirtschaft, Verrat, Vergewaltigung, gar Brudermord und Inzestdie Liste der Vergehen, die wir mit den Borgia assoziieren, ist lang, aber historisch nicht ganz korrekt. Wahr ist, dass ein Sohn von Papst Alexander VI. ermordet wurde, aber es ist keineswegs sicher, dass der Täter sein Bruder war. Der Borgia-Papst schacherte seiner Familie Ämter zu und manövrierte seine Gegner durch Wortbruch aus, aber das taten die Päpste vor und nach ihm genauso. Und dass seine Tochter Lucrezia gleich mit ihrem Vater und Bruder Inzest getrieben haben soll, ist ebenso frei erfunden wie die Sex-Skandale, die das Fernsehen – das europäische wie das amerikanische – erdichtete: Weder wurde Lucrezia von ihrem ersten Ehemann vergewaltigt, noch ihr Bruder von den Gegnern seines Vaters sexuell missbraucht.

Was also ist es, das die Borgia so besonders macht? Vor allem drei Dinge: Sie wollten schneller als andere Familien die Macht an sich reißen, sie wollten es in Italien tun, obwohl sie Spanier waren, und sie bevorzugten ihre eigene Familie offener als andere. Ihr schlechter Ruf ist vor allem auf die Propaganda ihrer Feinde zurückzuführen. Dieses Dickicht von Halbwahrheiten haben unsere Autoren durchforstet. Der ehemalige Vatikan-Korrespondent Simon Biallowons erläutert, warum Alexander VI. auch Gutes für den Kirchenstaat geleistet hat. Borgia- und Renaissance-Experte Dr. Uwe Neumahr entwirrt die Widersprüche, die Cesare Borgia so faszinierend machen, und Historikerin Karin Feuerstein-Praßer zeigt deutlich, dass Lucrezia eigentlich ein völlig skandalfreies Leben geführt hat.

Beeinflusst von Legenden sind auch die Porträts, die von den Borgia überliefert sind. Unser Titel zeigt ein zeitgenössisches Bild des Papstes von einem unbekannten deutschen Künstler, aber es ist ungewiss, ob die Nase absichtlich karikaturhaft oder doch eher majestätisch wirken sollte. Die Frau neben ihm ist eine römische Kurtisane, schien aber Lucrezias Charakter im 16. Jahrhundert so treffend einzufangen, dass das Porträt ihr zugeschrieben wurde.

Ihr, Euer

Dr. Klaus Hillingmeier
Chefredakteur G/GESCHICHTE

Schwerpunkt dieser Ausgabe

Stoff für eine Seifenoper
Wer tötete Juan Borgia?

Johannes Burckard
Augenzeuge und Chronist der Renaissance-Päpste

Papst Alexander VI.
Rodrigo Borgias Weg zur Macht

Calixtus III.
Der erste Borgia-Papst

Die Alexanderlinie
Spanien und Portugal teilen sich die Welt

Savonarola und sein Gottesstaat
Der größte Borgia-Kritiker

Rom zur Zeit der Borgia
Nepotismus als Staatsräson

Karl VIII.
Frankreichs Italienkrieg und die Heilige Liga

Cesare Borgia
Dämon im Kardinalsgewand?

Menschenbild im Wandel
Macchiavellis Fürst und Castigliones Hofmann

Leonardo da Vincis unbekannte Seite
Cesare Borgias Militäringenieur

Lucrezia Borgia
Marionette oder Intrigantin?

Der Heilige Borgia
Francisco, der Jesuit

Weitere Themen

Blickpunkt
Von Narren und Göttern – Wenn Schatten Geschichten erzählen
Serie, Hotels
Das Peninsula in Hongkong – „Das feinste Hotel östlich von Suez“
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Porträt
Albert Einstein – Das Kind im Genie