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Van Goghs Ohr

Genie und Wahnsinn

Der Umstand, dass Vincent van Gogh sein Ohr verlor, ist mindestens so bekannt wie seine neoimpressionistischen Gemälde. Nun enthüllt ein zeitgenössischer, medizinischer Bericht, welches Ausmaß die Amputation wirklich hatte.

Da war’s noch dran – das linke Ohr! Gemälde, abgebildet auf einer Briefmarke von 1972 | © istockphoto.com/portfolio/popovaphoto

Während Kleopatra sich den Titel der wohl berühmtesten Nase der Weltgeschichte mit der großen Sphinx von Gizeh teilen muss, gehört Vincent die Popularität seines Ohres alleine.

Eins hat er dann aber doch mit der Sphinx gemeinsam: Der Mythos beruht auf der Abwesenheit des Sinnesorgans – sein linkes Ohr ist weg. Angeblich abgeschnitten, und zwar vom Künstler selbst, ist sich zumindest die Presse damals sicher. Doch die Umstände sind mehr als nebulös.

Geschenk an eine Prostituierte

Die Polizei sucht van Gogh am 23. Dezember 1888 in seinem Haus im französischen Arles auf, da eine lokale Prostituierte gemeldet hatte, der Künstler habe ihr einen Teil seines Ohrs als Geschenk überreicht.

Ohne Erinnerung und blutüberströmt finden die Beamten den kaum ansprechbaren Maler in seinem Bett. Grund für seinen Zustand ist tatsächlich eine stümperhafte Ohramputation. Doch wer steckt dahinter?

Für die einen ist klar, es muss der wunderliche Maler selbst gewesen sein, wieder anderen ist die gerade erst beendete Verbindung zu Künstlerkollegen Paul Gauguin suspekt. Bis heute ranken sich zahlreiche Legenden um besagte Nacht.

Fakt ist: Das Ohr ist ab und Gogh trägt von nun an einen Verband, der die Wunde verbirgt – und damit bislang auch das Ausmaß der Amputation.

Ohrläppchen oder ganze Muschel?

Fehlt nur das Ohrläppchen oder die ganze Muschel? Ein zeitgenössischer, medizinischer Bericht könnte nun helfen, dieses Geheimnis zu lüften: Die Hobbyhistorikerin Bernadette Murphy hat kürzlich einen Brief im Archiv der US-amerikanischen Universität Berkeley entdeckt, der von van Goghs behandelnden Arzt stammen soll.

In dieser Korrespondenz mit dem van Gogh-Biografen Irving Stone von 1930 beschreibt der Mediziner Félix Rey die Verletzung ausführlich und skizziert die Wunde, wie das Smithonian Magazine berichtet.

Lediglich ein kleiner Teil des Ohrläppchens blieb demnach unversehrt und fast die komplette Ohrmuschel wurde abgetrennt.

Unter der Zeichnung schrieb der Arzt „Ich bin glücklich, Ihnen die angeforderten Informationen bezüglich meines unglücklichen Freundes zu geben.“

Gleichzeitig nahm er seinen Patienten aber auch in Schutz: „Ich hoffe aufrichtig, dass Sie es nicht versäumen das Genie dieses bemerkenswerten Künstlers zu würdigen, wie er es verdient.“

Obwohl Zeitgenossen nicht so viel Verständnis für van Gogh hatten, und er nach dem Vorfall in einer Nervenheilanstalt untergebracht wurde, wird heute vor allem sein künstlerischer Einfluss auf die moderne Malerei gewürdigt.

Katharina Behmer

Zuletzt geändert: 27.07.2016