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Englands Aufstieg zur Seemacht

Der Untergang der Armada

Über die Anfänge der englischen Seemacht kursieren bis heute viele Legenden. Der Untergang der Armada war jedenfalls nicht das entscheidende Ereignis.

Die spanische Armada 1588

Die spanische Armada ging 1588 vor der englischen Küste unter. Der niederländische Maler Cornelis Claesz van Wieringen hielt das Ereignis nur wenig später fest, um 1620. | © Rijksmuseum Amsterdam

Oktober 1588 kehrte der geschlagene Kommandant der spanischen Armada, der Herzog von Medina Sidonia, in seine andalusische Heimat zurück. Als er auf dem Weg dorthin eine Nacht in Valladolid verbrachte, rottete sich unter seinem Fenster eine Gruppe von Jugendlichen zusammen und schrie bis zum Morgengrauen: „Angsthasen-Herzog!“ und „Drake kommt!“

Drake war damals eine Art Celebrity

Drakes Name muss damals ähnlich bekannt gewesen sein wie heute der eines Fußballstars. Es scheint schier unglaublich, dass ein Mensch im Laufe eines Lebens so viele Abenteuer bestehen kann: Geboren um 1540 als einfacher Bauernsohn einer kinderreichen Familie, fuhr er zunächst als Schiffsjunge, dann als Matrose zur See. Er arbeitete sich bis in den Rang eines Kapitäns empor und unternahm von 1570 an Kaperfahrten in die Karibik, auf denen er spanische Schiffe ausraubte. Auf seiner einträglichsten Fahrt umrundete er von 1577 bis 1580 sogar als erster Schiffskommandant nach Magellan die Welt. Anschließend wurde er auf seinem Schiff „Golden Hind“ von Königin Elisabeth I. zum Ritter geschlagen. 1588 kämpfte er im Rang eines Vizeadmirals gegen die spanische Armada.

Spanien beherrschte nie die Meere – wozu auch?

Drakes Leben ist in zahllosen Büchern und Filmen romantisiert worden. Dabei erscheint er immer in der Rolle des tollkühnen Helden, der sich mit Mut und List gegen das übermächtige Spanien durchsetzt. Bis heute ist auch unter Historikern die Vorstellung verbreitet, der Untergang der Armada markiere das Ende der spanischen und den Beginn der britischen Herrschaft über die Meere.

Tatsächlich aber hat Spanien im 16. Jahrhundert nie die Meere beherrscht, weder vor 1588 noch danach. Stattdessen hielt seit den Tagen König Heinrichs VIII. England die größte Kriegsflotte unter Segeln. Die größte unter kleinen, könnte man sagen, denn im europäischen Machtgefüge spielte Seemacht in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine entscheidende Rolle.

Lange hatte Spanien eine Flotte gar nicht nötig

Die Weltmacht Spanien konnte deshalb lange auf eine Kriegsflotte verzichten. Als die Türken um 1570 auch im westlichen Mittelmeer aufkreuzten, musste König Philipp II. ein Bündnis mit Venedig eingehen, um eine den Türken auch nur annähernd gewachsene Streitmacht in den Kampf schicken zu können. Nach dem Seesieg von Lepanto 1571 wurde die spanische Flotte sogleich wieder aufgelöst.

Auch die spanischen Schatzschiffe gingen ohne Begleitschutz unter Segel – nur deshalb konnten Drakes Raubzüge gelingen. Die englische Krone profitierte von diesen Kaperfahrten kräftig: Mit ihrem Anteil an der Beute konnte Elisabeth all ihre Auslandsschulden begleichen.

Durch Kaperfahrten lernten Kapitäne navigieren

Die Kaperfahrten waren aber vor allem aus einem anderen Grund von entscheidender Bedeutung für den Aufstieg der englischen Seemacht: Die bis dahin auf Europa beschränkten Kapitäne entwickelten sich so zu Navigatoren, die auch weite Strecken bewältigen konnten.

Das ging nicht über Nacht. Noch 1586 scheiterte Drake bei dem Versuch, von Cartagena nach Kuba zu segeln – nach einer Serie von Navigationsfehlern kam er nach 16 Tagen wieder vor Cartagena an.

Die Armada war gar nicht fürs Kämpfen gedacht

Der Untergang der Armada war dagegen bei genauerer Betrachtung kein so einschneidendes Ereignis. Anders als in Verfilmungen stets suggeriert wird, war die Armada der englischen Flotte keineswegs überlegen. Die Engländer konnten sogar die größten Schiffe in See setzen.

Die Armada war auch gar nicht dafür vorgesehen, sich mit den Engländern eine offene Schlacht zu liefern. Ihr Kommandant, der Herzog von Medina Sidonia, hatte strikte Anweisung, einen Kampf wenn irgend möglich zu vermeiden. Die Armada sollte lediglich die Überfahrt der spanischen Truppen aus den Niederlanden schützen. Der Plan war aber schon deshalb von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil die Geusen, niederländische Rebellen zur See, die flämische Küste blockierten, so dass die Armee nicht auslaufen konnte.

Der Untergang war eher ein Anfang für Spanien

Die Vernichtung der Armada – ganz überwiegend durch schwere Stürme auf der Rückfahrt – war ohne Zweifel ein schwerer Schlag für das Ansehen Spaniens, doch kommt der US-Historiker Garrett Mattingly in seinem preisgekrönten Klassiker „Die Armada“ zu dem Schluss: „Die Niederlage der Armada war weniger das Ende als der Beginn der spanischen Kriegsmarine.“ Danach baute Spanien viel mehr Kriegsschiffe als vorher und befestigte außerdem seine überseeischen Stützpunkte.

Als Drake 1596 einmal mehr in der Karibik Beute machen wollte, wurde er zurückgeschlagen. Zwar gelang den Engländern im selben Jahr noch ein großer Erfolg, als sie die Hafenstadt Cadiz, den „Tresor Spaniens“, erobern und ausplündern konnten. Doch daraufhin errichteten die Spanier starke Verteidigungsanlagen, die sich bis heute wie Wasserburgen ins Meer erstrecken. 1625 scheiterten die Engländer bei dem Versuch, die Stadt erneut einzunehmen.

Auch England leistete sich erst spät eine feste Flotte

Als Elisabeth I. 1603 starb, befand sich England in einer so schweren Wirtschaftskrise, dass ihr Nachfolger Jakob I. sofort Frieden schloss. Die glorreichen Kaperkapitäne fielen, soweit sie noch lebten, in Ungnade, Sir Walter Raleigh wurde 1618 nach erneuten Übergriffen auf die Spanier sogar im Tower geköpft. Viele Kriegsschiffe wurden außer Dienst gestellt, einige neue wie die „Prince Royal“ und die sündhaft teure „Sovereign of the Seas“ dienten vor allem Prestigezwecken.

Der entscheidende Schritt zu einer stehenden Flotte erfolgte erst 1649, als König Karl I. hingerichtet wurde. Um sich gegen Angriffe der Royalisten von See her zu rüsten, bewilligte das Parlament die Gelder für ein beispielloses Flottenbauprogramm. Damit begann die Phase wirklich großer, spezialisierter Kriegsflotten, die nicht nur vorübergehend aus umgerüsteten Handelsschiffen gebildet wurden. Kein Land außer England konnte sich auf Dauer eine solche Flotte leisten – denn nebenher mussten die anderen Länder ja auch noch eine Armee unterhalten. Das Inselreich hingegen konnte sich die Navy wie einen Schutzpanzer um seine Küsten legen.

Christoph Driessen 

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 3/2014 „Kampf um die Weltmeere“

Zuletzt geändert: 19.4.2018