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Raub nach Plan

Barbarossas Beute

Als Kaiser Barbarossa 1162 Mailand plünderte, nahm er die vermeintlichen Gebeine der Heiligen Drei Könige mit nach Köln. Dort sorgten sie für einen lukrativen Pilgertourismus.

Barbarossa in Mailand

Immer Ärger mit Italien: Der Staufer Kaiser Friedrich I., bekannt als Barbarossa, bei der ersten Unterwerfung Mailands 1158. Nach einem Holzstich aus dem 19. Jahrhundert | © istockphoto.com/ZU_09

Eine trügerische Stille liegt über dem Contado, dem Mailänder Umland. Die hölzernen Belagerungstürme sind verlassen. Es ist die Ruhe nach dem Sturm. Wochenlang hat Kaiser Friedrich I . Barbarossa im Jahr 1162 eine der größten und reichsten Städte des damaligen Europas umstellt, nachdem die Städter sich gegen seine Einmischung in die kommunale Politik aufgelehnt hatten. Das Surren der Pfeile, die Schreie der Verwundeten, metallisches Klirren, wenn Schwerter auf Rüstungen treffen – nichts ist mehr zu hören. Es bleibt der Gestank nach verwesenden Leichen und verbrannten Feldern – und nach Verzweiflung. Jetzt erwarten 100 000 Mailänder ihr Schicksal.

Es ist nicht der erste Konflikt zwischen Kaiser und Kommune und sollte nicht der letzte sein. Bereits 1158 hatte Barbarossa Mailand belagert. So gewaltig war die Streitmacht damals, dass die Stadt vollständig umzingelt war. Nach einem Zermürbungskrieg gaben sich die Mailänder geschlagen und schlossen mit dem Kaiser einen Vertrag. Der brachte ihnen zwar hohe Geldstrafen und ein demütigendes Unterwerfungsritual ein – während sie barfuß knieten, hielten die Gegner Schwerter über ihre bloßen Nacken –, schonte aber die Stadt und das Leben ihrer Bürger. Die Verlierer am Leben zu lassen, war im Mittelalter keineswegs unüblich. Milde galt als Herrschertugend. Ein Gegner, der sich unterwarf, durfte auf Vergebung hoffen. Jedoch, so die ungeschriebene Regel, nur einmal.

Barbarossa sieht sich als Nachfolger der römischen Kaiser

Barbarossas Herrschaftsanspruch über Italien ging auf Karl den Großen zurück. Als mächtigster Mann des Abendlandes hatte der Karolinger die Nachfolge der antiken Kaiser angetreten. Der Staufer Friedrich Barbarossa erneuerte diese imperiale Tradition, forderte Tribut und mischte sich in die Politik der Städte ein. Das passte in der selbstbewussten Metropole Mailand niemandem. Kleinere Städte litten dagegen unter Mailands Machtstreben und erhofften sich vom Kaiser Hilfe. Die oberitalienischen Kommunen zerfielen im 12. Jahrhundert in kaisertreue und kaiserfeindliche Städte. Italien glich politisch einem Schachbrett. „Wie flüssiges Kupfer“, so ein Chronist, glänzt Barbarossas Bart in der Sonne, als er am 26. März 1162 seinem Triumph entgegenreitet.

Die Belagerten hatten bedingungslos kapituliert. Zwar hatten die Mailänder das Recht auf Gnade bereits 1158 strapaziert, doch ohne die Zusiche rung freien Geleits hätten sich die Bürger kaum ergeben. Und schnelle Kapitulation war im Sinne Barbarossas gewesen, denn je länger die Belagerung dauerte, umso schwieriger war es geworden, seine Verbündeten bei der Stange zu halten und das Heer zu versorgen. Die Kapitulationsbedingungen sind hart: Binnen acht Tagen müssen die Mailänder ihre Stadt verlassen. Und niemals sollen sie zurückkehren, sondern fortan in ärmlichen Dörfern rund um die einst prächtige Metropole leben..

Das geplünderte Mailand füllt Barbarossas Kassen

Mailands Untergang organisiert Barbarossa mit militärischer Präzision. Er befiehlt, die Stadttore zu verbreitern und die Mauern an einigen Stellen niederzureißen. So ist mehr Platz für den pompösen Einzug zu Pferde! Je eine Gruppe Kämpfer bekommt eine Porta, ein Stadtviertel, zugeteilt. Dann gibt Barbarossa den Befehl zum Plündern. Der christliche Kaiser macht auch vor Kirchengut nicht halt – im Gegenteil, hier gibt es viel zu holen. Selbst der kaisertreue Geistliche Otto von St. Blasien wird ein paar Jahre später offen über Kirchenschändungen schreiben – und über einen Reliquienraub, der Geschichte machen sollte: „Der Kaiser zog mit seinem ganzen Heer in die Stadt. Er plünderte die unermesslichen Schätze in den Kirchen und ließ die Reliquien, für welche die Stadt berühmt war, mit großer Ehrfurcht wegschaffen. Die drei Magier [Heilige Drei Könige], die man dort fand, übergab er später Rainald, dem Kölner Erzbischof. Unversehrt und wie noch lebend, werden sie jeder in einem Sarkophag aus Metall bis auf den heutigen Tag aufbewahrt.“ Die Unversehrtheit galt als Beweis für die Echtheit und Heiligkeit der Reliquien.

Mit der Plünderung Mailands füllt der Kaiser seine leere Kriegskasse und belohnt treue Gefolgsleute. Einer davon ist Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln und Erzkanzler für die italienischen Gebiete des Reiches. Zum Dank für seinen Einsatz vor Mailand schenkt ihm Barbarossa 1164 die Heiligen Drei Könige aus der Kriegsbeute. Unklar ist, wo sich die Gebeine zwischen 1162 und 1164 befunden haben. Die Übertragung der Reliquien hat auch eine kirchenpolitische Dimension. 1159 war es zu einer zwiespältigen Papstwahl gekommen. Alexander III . trat gegen Viktor I V., den Favoriten des Kaisers, an. Alexander verhängte im Mai 1163 den Bann über Rainald. Dieser sei ein „Homo Perversus“ und hauptschuldig am Chaos in der christlichen Kirche, womit er nicht ganz unrecht hatte. Rainald hatte nach dem Tod Viktors mit Paschalis III . gleich einen neuen Gegenpapst erhoben. Der Besitz mächtiger Reliquien setzt da ein klares Zeichen: Ein Kaiser und ein Erzbischof, die so berühmte Heilige für sich gewannen, haben Gott hinter sich. Sie sind nicht vom Papst abhängig. Schon gar nicht von einem „Usurpator“ wie Alexander.

Mit den Heiligen Drei Königen im Gepäck nach Köln

Mit den Drei Königen im Gepäck zieht Rainald 1164 nach Köln. Die Reise war nicht ungefährlich: Alexander III . hatte an den Bischof von Reims geschrieben, dass der Kölner ohne Rücksicht auf Verluste aufzuhalten sei. Dass Rainald sogar Pferde verkehrt herum beschlagen ließ, um seine Verfolger zu verwirren, gehört allerdings ins Reich der Legenden. Als der Erzbischof am 23. Juli 1164 mit den kostbaren Reliquien unbeschadet in Köln ankommt, wird er wie ein Held gefeiert.

Durch die wertvollen Reliquien steigt nicht nur das Prestige der Stadt, man darf auch auf einen lukrativen Pilgertourismus hoffen. Und die Männer aus dem Morgenland genießen große Popularität, obgleich sie erst in Legenden als Heilige Könige erscheinen. Der Evangelist Matthäus berichtet im Neuen Testament nur, dass mehrere Männer dem Stern nach Bethlehem folgten, Jesus huldigten und ihn mit Gold, Weihrauch und Myrrhe beschenkten. Matthäus spricht also nicht von Königen und ihre Dreizahl wird einzig von den drei Geschenken abgeleitet. Im griechischen Originaltext des Evangeliums werden sie „Magoi“ (Sterndeuter) genannt, ein Begriff, mit dem man die Mitglieder der persischen Priesterkaste bezeichnete. Die Namen Caspar, Melchior und Balthasar sind erst um das Jahr 500 nachweisbar. Ausdrücklich schreibt Matthäus, die Magier seien „heim in ihr Land“ gezogen. Wo immer das auch genau gewesen sein mag.

Waren die Reliquien echt?

Etwa 350 Jahre blieb es still um die Männer aus dem Orient. Bis Helena, Mutter Kaiser Konstantins und emsige Reliquiensammlerin, die Gebeine der Drei in Jerusalem gefunden und nach Konstantinopel gebracht haben soll. Dort weilte im 4. Jahrhundert Bischof Eustorgius von Mailand, der den Kaiser so beeindruckte, dass er ihm die Reliquien schenkte. Der Bischof erbaute eine Kirche nahe Mailand, in der zuerst die berühmten Könige und später er selbst bestattet wurden. Die Kirche nannte man ihm zu Ehren St. Eustorgio. So berichtet es die „Vita S. Eustorgii“, die Lebensbeschreibung des Bischofs. Doch an dieser Geschichte ist einiges faul.

Ambrosius von Mailand, Nachfolger des Eustorgius, äußert sich zwar lobend über seinen Vorgänger, erwähnt die Reliquien aber mit keinem Wort. Auch keine andere historische Quelle berichtet, dass sich die Gebeine in Mailand befanden oder dort verehrt wurden. Ab dem 4. Jahrhundert wurde die Kirche St. Eustorgio so oft zerstört und neu aufgebaut, dass die Reliquien dies kaum unbeschadet überstanden hätten. Die erste historisch gesicherte Nachricht findet sich zum Jahr 1158. Wie erinnern uns: Barbarossa belagerte erstmals Mailand. Abt Robert von Mont-Saint-Michel schreibt: „In diesem Jahr wurden in einer alten Kapelle bei Mailand die Körper der Drei Magier gefunden, die unseren Erlöser als Kind in Bethlehem angebetet hatten. Aus Angst vor Friedrich, dem Kaiser der Deutschen, der zur Belagerung heranrückte, wurden sie in die Stadt gebracht.“ Keine einzige der zahlreichen Mailänder oder deutschen Quellen erwähnt Ähnliches.

In Köln machen die Gebeine Karriere

So überrascht auch wenig: Die Vita des Bischofs und der Bericht über den Reliquientransfer von Konstantinopel nach Mailand ist frühestens um 1164 entstanden. Also genau zu der Zeit, als ein Nachweis der Echtheit der Reliquien gelegen kam. Diese sogenannten Translationsberichte (Übertragungsberichte) entstanden im Mittelalter oft „nach Bedarf“. Und in Kriegszeiten war es besonders einfach, unechte Reliquien als echte auszugeben.

Die Heiligen Drei Könige legten in Köln ab 1164 eine steile Karriere hin. Der Dreikönigskult boomte und brachte Pilger und Geld an den Rhein. Rainalds Nachfolger Erzbischof Philipp beauftragte den besten Goldschmied seiner Zeit, Nikolaus von Verdun, einen Reliquienschrein zu bauen. 1248 wurde der Grundstein für den Bau des Kölner Doms gelegt. Das gigantische Bauwerk, welches alle anderen Gotteshäuser in den Schatten stellte, schien eine würdige Ruhestätte für diejenigen, die Jesus mit eigenen Augen gesehen hatten. Seit 1288 trägt Köln die drei Kronen der Heiligen im Stadtwappen. Zahlreiche Dreikönigsbruderschaften entstanden im ganzen Reich, viele Bürger vermachten ihren Besitz per Testament den Heiligen Königen und somit der Kirche. Johannes von Hildesheim schrieb zwischen 1364 und 1375 seine legendenhafte „Geschichte der Drei Magier“. Eine sagenhafte Krone des Melchiors soll Tiere und Menschen geheilt und bei Fallsucht, also Epilepsie, wahre Wunder bewirkt haben. Zuletzt habe sich Melchiors Krone im Besitz des Templerordens befunden, gilt seit dessen Zerstörung aber als verschollen.

Flucht vor der Malaria: Barbarossas Rückzug aus Italien

Das Interesse an den Drei Königen blieb bis in die Neuzeit ungebrochen. Kein geringerer als Goethe machte sich für die Übersetzung der Legende des Johannes von Hildesheim stark. Rainald von Dassel selbst kann seinen Erfolg nicht lange auskosten. 1167 feiert er noch die Eroberung Roms, bei der die Peterskirche teilweise zerstört wurde. Wenige Tage später fällt er einer Seuche, vermutlich Malaria, zum Opfer. Kein guter Tod – gilt plötzliche Krankheit doch als Strafe Gottes. Der Erzbischof ist nicht das einzige Opfer: In der römischen Augusthitze sterben Barbarossas Männer wie die Fliegen an der Malaria.

Seiner Streitmacht beraubt, bleibt Barbarossa nur eins: Sämtliche Ambitionen in Italien vorläufig auf Eis zu legen und über die Alpen zu fliehen. Mailand steigt daraufhin empor wie Phönix aus der Asche. Papst Alexander und die Kommunen nutzen die Gunst der Stunde und schließen ein legendäres Bündnis gegen den Kaiser: die „Lega Lombarda“. Rainald von Dassel indes teilt das Schicksal seiner Kriegsbeute: Seine Gebeine werden nach Köln überführt und im Dom bestattet.

Mareike Pohl

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 04/2015 „Mysterien des Mittelalters“

Zuletzt geändert: 29.11.2016