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Auf dem Weg ins Kaiserreich

Bismarck und die späte Einheit

Aus 25 Territorien schmiedete Otto von Bismarck das deutsche Kaiserreich. Um dieses Ziel zu erreichen, waren ihm alle Mittel recht.

Bismarck

Otto von Bismarck (*1815, +1898) auf einem Stich von 1873 | © istockphoto.com/GeorgiosArt

Es ist ein Duell von Brüdern. Überleben oder Untergehen, es scheint keine andere Lösung zu geben. Und damit steht nichts Geringeres als die Zukunft Deutschlands auf dem Spiel: „Für beide ist kein Platz nach den Ansprüchen, die Österreich macht, also können wir uns auf Dauer nicht vertragen. Wir atmen einer dem anderen die Luft vor dem Munde fort, einer muss weichen oder vom anderen gewichen werden, bis dahin müssen wir Gegner sein“, schrieb Otto von Bismarck 1853, seinerzeit preußischer Gesandter am Frankfurter Bundestag, an Leopold von Gerlach.

Damit sprach der spätere Reichskanzler auf den sogenannten „deutschen Dualismus“ an, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur „fixen Idee“ zwischen Wien und Berlin geriet. Bismarck wollte den seit 1815 existierenden Deutschen Bund – dem Österreich als Präsidialmacht vorstand – beseitigen, Wien aus der deutschen Politik verdrängen und Preußen als politische Vormacht Deutschlands etablieren. Das war Bismarcks Vorstellung von der »kleindeutschen Lösung«. Zum Erreichen dieses Zieles waren Bismarck alle Mittel recht: Lügen und Listen, Komplotte und Konspirationen und, wenn alles nicht helfen sollte, auch Krieg.

Wilhlem I. bekam einen Weinkrampf

1863 versuchte Österreich ein letztes Mal, die „deutsche Frage“ auf seine Weise zu lösen. Österreich legte einen Entwurf zur Reform des Deutschen Bundes vor. Wiens Vorschlag sah ein Fürstendirektorium unter dem Vorsitz des Kaisers und ein Parlament aus 300 Delegierten der Landtage vor, dem allerdings nur beratende Funktionen eingeräumt werden sollten. Der Kaiser selbst lud zwecks Erörterung dieses Vorhabens zu einem „Fürstenkongress“ nach Frankfurt ein. Wiens Konzept passte Bismarck absolut nicht in seine Pläne. Er stellte unannehmbare Bedingungen an Österreich, unter anderem den Wechsel des Bundesvorsitzes zwischen Berlin und Wien, das sogenannte Alternat.

Dumm war nur, dass Preußens König Wilhelm I. gewillt war, nach Frankfurt zu fahren. Bismarck, inzwischen preußischer Ministerpräsident, setzte seine ganze Überredungskunst ein, um den Monarchen umzustimmen, was beide Männer an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brachte: Wilhelm I. bekam einen Weinkrampf nach Unterzeichnung seiner Absage, Bismarck zertrümmerte alles erreichbare Glas im Raum. Am Ende hatte Bismarck gesiegt. Damit war endgültig die „großdeutsche Lösung“, ein geeintes Deutschland unter der Führung Österreichs, gescheitert. Wien war düpiert und sann auf Rache. Doch bevor sich das bilaterale Verhältnis noch weiter verschärfte, fanden sich Berlin und Wien, mehr unverhofft als gewünscht, zu gemeinsamem Handeln vereint – zum letzten Male vor dem Ersten Weltkrieg.

Bismarck wollte Schleswig Preußen einverleiben

Den Anlass lieferte ein jetzt zusätzlich von Nationalismus und „Volkstumskampf“ angefachter alter Zwist im hohen Norden: der dänisch-schleswig-holsteinische Konflikt. Er war vermengt mit höchst komplizierten Rechts- und Territorialstreitigkeiten. 1863 versuchte Dänemark, den Gordischen Knoten um Schleswig-Holstein zu durchschlagen. Mit dem Märzpatent vom 30. März wurden Holstein und Lauenburg – beide zum Deutschen Bund gehörend – aus der gesamtstaatlichen Verfassung ausgeschlossen und eine dänischschleswigsche Verfassung angekündigt: ein Bruch der einschlägigen internationalen Abkommen.

Als Dänemark ein Ultimatum zur Revidierung der Verfassung ablehnte, einigten sich Preußen und Österreich auf die Durchführung einer Bundesexekution gegen Holstein, die mit knapper Mehrheit des Bundestags genehmigt wurde. Die dänischen Truppen wichen ohne Widerstand vor den Bundestruppen zurück, räumten die Herzogtümer Holstein und Lauenburg. Am 31. Dezember 1863 war die Eiderlinie, die Grenze zum Herzogtum Schleswig, erreicht. Doch Bismarck wollte auch Schleswig besetzen – und bei nächstbester Gelegenheit Preußen einverleiben. Er votierte für eine „Pfandbesetzung“ Schleswigs, um die Außerkraftsetzung der dänischen Novemberverfassung zu erzwingen. Gegen den Widerstand der meisten Bundesstaaten rückten am 21. Januar 1864 österreichische und preußische Soldaten in Schleswig ein. Mit der Erstürmung der Düppeler Schanzen am 18. April 1864 durch preußische Truppen war der Krieg entschieden.

Es kam zum endgültigen Bruch zwischen Berlin und Wien

Schleswig (Preußen) und Holstein (Österreich) wurden nun gemeinsam verwaltet. Bismarck sah endgültig die Zeit gekommen, mit Österreich abzurechnen und die preußische Vorherrschaft in Deutschland, zumindest in dessen Nordteil, zu sichern – „notfalls“ durch Krieg. Beide deutschen Mächten suchten nur noch Verbündete. Als sich Italien offen auf die Seite Preußens stellte, war das für Österreich ein Grund, am 21. März 1866 mobilzumachen. Und als Österreich am 1. Juni 1866 beim Bundestag in Frankfurt beantragte, die schleswig-holsteinische Frage der Beschlussfassung des Bundes zu überweisen, kam es zum endgültigen Bruch zwischen Berlin und Wien.

Preußische Einheiten zogen in Holstein ein, die Österreicher wichen über die Elbe zurück. Ganz Schleswig-Holstein war nun preußisch besetzt. Die europäischen Mächte rechneten mit einem langen Deutsch-Deutschen Krieg. Doch er wurde einer der kürzesten, und er endete ganz unerwartet mit einem überlegenen preußischen Sieg. Zum finalen Showdown kam es in Nordböhmen, mit der Schlacht von Königgrätz. Auf der einen Seite standen preußische Heeresverbände, auf der anderen österreichische Truppen, verbündet mit Einheiten einiger anderer Staaten des Deutschen Bundes – zusammen etwa 450 000 Mann. Königgrätz sollte zur größten Schlacht des 19. Jahrhunderts werden, und zu einer schnellen.

Ein Krieg nur für die Machterweiterung

Am Abend war alles entschieden. Die Verluste der Österreicher waren entsetzlich, etwa 30 000 Tote. Die Preußen zählten 9200 Tote und Verwundete. Preußen verdankte seinen Sieg seiner ausgezeichnet ausgebildeten und geschickt geführten Armee sowie zu einem Teil auch den neuesten technischen Errungenschaften: der Waffentechnik der Zündnadelgewehre, den schnellen Truppentransporten durch die Eisenbahn und der blitzschnellen Kommunikation mittels Telegrafie. Der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke ordnete den „Bruderkrieg der Deutschen“ in seinen Memoiren treffend so ein: „Der Krieg von 1866 war nicht aus Notwehr gegen die Bedrohung der eigenen Existenz entsprungen, auch nicht hervorgerufen durch die öffentliche Meinung und die Stimme des Volkes. Es war ein im Kabinett als notwendig erkannter, längst beabsichtigter und ruhig vorbereiteter Kampf, nicht um Ländererwerb, Gebietserweiterung oder materiellen Gewinn, sondern für ein ideales Gut – für Machterweiterung.“

Doch so entschieden und zielstrebig Bismarck auch auf den Krieg hingearbeitet hatte, schloss er nun ebenso schnell Frieden, und zwar einen „milden“. Er hielt den preußischen König und seine Generalität von jeder Demütigung der Österreicher zurück. Hier zeigte der preußische Politiker seine diplomatische Meisterschaft. In den Nikolsburger Friedensverhandlungen und im endgültigen Frieden von Prag vom 23. August 1866 kam es zu den maßvollsten Friedensschlüssen der jüngeren Geschichte. Bismarck ließ die Möglichkeit für Preußen offen, sich „mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden“. Territorial vergrößerte sich Preußen nun endgültig um Schleswig-Holstein, dazu konnte es sich auch Kurhessen, Frankfurt und das Königreich Hannover einverleiben.

Der Deutsch-Deutsche Krieg etablierte Preußen als Großmacht

Die Folgen des Deutsch-Deutschen Krieges waren von überragender Bedeutung für die internationalen Beziehungen. Preußen hatte sich nun unangefochten als europäische Großmacht etabliert. Seine Kriegsmaschinerie wurde allenthalben in Europa bewundert und gefürchtet. Sein Prestige wuchs innerhalb und außerhalb Deutschlands gewaltig an. Innenpolitisch war Königgrätz eine Niederlage für den deutschen Liberalismus, von der er sich nie wieder erholte. Außenpolitisch waren am folgenreichsten der Ausschluss Österreichs aus Deutschland und seine Hinwendung auf den Balkan.

Fünf Tage vor Unterzeichnung des Prager Friedens schloss Bismarck mit den norddeutschen Kleinstaaten, die auf Seiten Preußens gefochten hatten, einen Vertrag zur Gründung eines Bundesstaates, dem sich später noch andere anschlossen – insgesamt 22 Staaten nördlich der Mainlinie. Am 12. Februar 1867 fanden Wahlen zum verfassungsgebenden Norddeutschen Reichstag statt. Die am 16. April 1867 vom Reichstag mit großer Mehrheit beschlossene Verfassung des „Norddeutschen Bundes“ beschrieb Rudolf von Bennigsen, der Führer der Nationalliberalen, als „verbesserungsbedürftiges, aber auch verbesserungsfähiges Werk“. Bismarck schloss seine Schöpfung mit den Worten ab: „Setzen wir Deutschland, sozusagen, in den Sattel! Reiten wird es schon können!“

Als Bundeskanzler hatte Bismarck fast uneingeschränkte Macht

Die Konstitution, die in ihren wesentlichen Teilen im späteren Deutschen Reich fortgelten sollte, hatte Bismarck, nunmehr „Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes“, so gestaltet, dass die Vormachtstellung Preußens gesichert blieb. Zwar räumte Bismarck einigen Bundesstaaten bestimmte autonome Mitgliedsrechte ein, sogenannte Reservatrechte: So konnte etwa Bayern ein selbstständiges Eisenbahn- und Postwesen behalten und, sehr wichtig, eine eigene Biersteuer erheben. Doch das waren nur „dekorative Konstitutionselemente“. Politische Beschlüsse gegen den Willen Preußens konnten nicht gefällt werden. Die Machtbefugnisse des Bundeskanzlers waren praktisch unbegrenzt – solange er das Vertrauen des preußischen Königs besaß. In Bezug auf Sehnsüchte der Nationalbewegung konnte der Norddeutsche Bund nur als Übergangsordnung gelten. Die Einheit mit Süddeutschland zur Nation stand noch aus. Nach dem Sieg über Frankreich schien der Weg dafür frei. Bismarcks „Revolution von oben“, um derjenigen von unten entgegenzuwirken, komplettierte er 1870: Die Süddeutschen Staaten, die sich bisher in einem Zollverein zusammengeschlossen hatten, traten dem Norddeutschen Bund bei. Die Verhandlungen gingen als Novemberverträge in die Geschichte ein.

Der „Weiße Revolutionär“, der „Schmied“ hatte die anhaltenden Träume nach einem geeinten Deutschland, wie sie nach den Befreiungskriegen herrschten, erfüllt. Mit seinen politischen Erfolgen wandelte sich auch das Bild Bismarcks, weg vom „Konfliktpolitiker“, hin zum „Staatsmann“. Der Betroffene selbst urteilte später: „Indem ich den Krieg von 1866 machte, marschierte ich gegen das öffentliche Gefühl, ich zog mir die ärgste Unpopularität zu. Der Sieg hat mich freigestellt.“

Harry D. Schurdel

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 10/2010 „Bismarck und das Kaiserreich“

Zuletzt geändert: 06.10.2016