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Gotik zum Gruseln

Warum spukt es auf so vielen Burgen?

Der Schauerroman (englisch „gothic novel“) verdankt seinen Namen den Goten. Er war die Geburtsstunde der Gruselburg, auf der es spukt. Seitdem gehören Gespenster zu Burgen wie Ritter und feuchte Wände. Aber warum eigentlich?

Sorgen für Gänsehaut und ziehen Touristen geradezu magisch an: Gespenster auf Burgen. | © istockphoto.com/Floriana

„Unbeschreibliche Gänsehaut! Mega-Erlebnis […] nicht zu greifen, aber dennoch da!“, schwärmt Ramona auf der Website „Spuknacht – Eine Nacht im Geisterschloss“. Im Angebot sind mehrere Locations, so das Schloss Ortenburg, das unter anderem ein selbstständig spielendes Piano, eine weinende Kinderstimme und eine ruhelose Comtesse zum Inventar zählt.

Durch Gruselspaß sind einige Burgen in moderner Zeit zu neuer Blüte gelangt – allen voran Schloss Bran in Transsylvanien. Für Hunderttausende von Rumänientouristen ist dies „Burg Dracula“, auch wenn es dafür keinen einzigen Beleg gibt: Der irische Autor und Dracula-Erfinder Bram Stoker ist nie in Transsylvanien gewesen, und der Name der Vampirburg wird im Buch nicht genannt. Allenfalls lässt sich anführen, dass der Fürst Vlad IIII . Draculea (um * 1431, † 1476/77), der Stoker möglicherweise inspirierte, auf der Burg gewohnt hat – allerdings nicht länger als zwei Monate. Sei’s drum, nun lebt ein ganzer Ort von dem Spuk.

Adel und Arbeiter glauben an Gespenster, Bürger nicht

Ähnlich verhält es sich mit der Burg Frankenstein bei Darmstadt im Odenwald. In Mary Shelleys Roman „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ von 1818 kommt gar keine Burg vor. Dass sie den Namen ihres Doktors (nicht des Monsters) dem Geschlecht derer von Frankenstein entlehnt hat, ist genauso wenig belegt – aber das Gegenteil kann man eben auch nicht beweisen. Zudem wurde auf der Burg der Alchemist Johann Konrad Dippel (* 1673, † 1734) geboren, der mitunter als historisches Vorbild für den abgedrehten Wissenschaftler Doktor Frankenstein angeführt wird.

Warum aber werden Burgen überhaupt mit Gespenstern und anderen Gruselwesen in Verbindung gebracht? Der Journalist Roger Clarke, Autor einer jüngst erschienenen „Naturgeschichte der Gespenster“, bietet dafür folgende Erklärung: Traditionell glauben in England die Arbeiterklasse und die Upperclass an Geister. Die Arbeiter, weil sie abergläubisch sind, die Adeligen, weil sie es schick finden, exzentrisch zu sein. Dementsprechend spukt es einerseits in Pubs und Inns, andererseits auf Burgen und Schlössern, kaum aber in Häusern des Bürgertums. Ein bürgerlicher Skeptiker durch und durch ist zum Beispiel der Amerikaner Mr. Otis, der in Oscar Wildes Erzählung „Das Gespenst von Canterville“ ein altes englisches Schloss kauft und sich von dessen Hausgeist Sir Simon nicht im Geringsten beeindrucken lässt.

Die „gothic novel“ war die Geburtsstunde der Gruselburg

Die Geburtsstunde der Gruselburg lässt sich ziemlich genau auf das Jahr 1764 datieren. Damals erschien der ungeheuer erfolgreiche Roman „Das Schloss von Otranto“ von Horace Walpole. Er begründete damit das Genre des Schauerromans – auf Englisch „gothic novel“. Diese Literaturgattung kündigte bereits die Romantik an, die mit dem Verstandesglauben der Aufklärung brach und sich vom Vorbild der klassischen Antike abwandte. Stattdessen begeisterten sich gerade die deutschen Romantiker für die Geschichte, Architektur und Sagenwelt des Mittelalters. Die Gotik stand für Leidenschaften und Irrationalität. Dementsprechend erlebten Burgen ebenso wie Kathedralen und Abteien eine neue Wertschätzung. Burgen, in denen es spukte, galten als besonders romantisch.

Männliche Geister wollte man loswerden, weibliche nicht

Bezeichnenderweise änderte sich nun auch die Wahrnehmung von Gespenstern: Bis dahin waren sie überwiegend männlich gewesen, und man hatte sie unbedingt loswerden wollen. Im 19. Jahrhundert traten Geister dagegen fast nur noch als Frauen in Erscheinung und man begann, sich sehr für sie zu interessieren. In spiritistischen Sitzungen versuchten viele Menschen sogar von sich aus, mit der Geisterwelt in Kontakt zu treten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der Topos der Gruselburg bereits auf andere Gebäude übertragen: So fand Charles Dickens in „Oliver Twist“ im Londoner Gefängnis Newgate eine zeitgemäße Entsprechung für das Horrorschloss. Heute dürften anonyme Wohnblöcke oder eintönige Büroriegel wesentlich mehr Menschen einen Schauer über den Rücken jagen als die urigen, idyllischen Burgen der Rittersleute.
Christoph Driessen

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 5/2016 „Burgen“

Zuletzt geändert: 14.06.2017