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Sündenböcke für den Brand von Rom

Christenverfolgung unter Nero

Hat Nero wirklich die Christen für den Brand von Rom verfolgen lassen? Oder war eine andere Religion das Opfer? Um das blutige Kapitel seiner Herrschaft gibt es bis heute Diskussionen.

Henryk Siemiradzki Gemälde

Kaiser Nero inszenierte die Hinrichtung von Christen nach dem Brand von Rom als Spektakel. Stich nach dem Bild von Henryk Siemiradzki, 1877 | © istockphoto.com/ZU_09

Die Hölle ist ausgebrochen und er mittendrin. Jahrhundertealte Marmorsäulen, die in sich zusammensacken wie Sandburgen am Meer. Ziegel, die fast schmelzen in der Hitze. Massive Holzbalken, die von den Flammen verschlungen werden wie Schinken von einem ausgehungerten Hund. Dazu das Knacken des Feuers, das Krachen der Hausmauern, das Klagen der Menschen. Und er, Nero, der sitzt einfach auf dem Dach seines Palastes und spielt. Spielt auf seiner Leier, sieht seine Hauptstadt Rom im Feuer untergehen und spielt weiter. Und irgendwann beginnt der Kaiser zu singen. Buchstäblich ein Lied aus der Hölle, das Lied des Todes. Die Szene von Kaiser Nero, der den großen Brand von Rom betrachtet und dabei zum Zeitvertreib auf seiner Leier spielt, ist legendär, aber eben auch eine Legende.

Tatsächlich hat sich Nero beim Ausbruch des großen Brandes am 18. Juli 64 in seiner Heimatstadt Antium befunden, heute knapp über eine Autostunde von Rom entfernt. Als er die Nachricht vom Feuer erhielt, soll sich der Kaiser direkt in seine Hauptstadt begeben und Maßnahmen zur Brandbekämpfung und dem Katastrophenschutz eingeleitet haben. Die Erzählung vom musizierenden Kaiser, eine Mär. Keine Mär dagegen die Konsequenzen, die Nero aus dem Brand zog: Er ließ die Christen als Sündenböcke ausrufen, Jagd auf sie machen und sie grausam hinrichten – Nero gilt neben Diokletian als einer der Christenverfolger schlechthin.

Nero war der Donald Trump des antiken Roms

Aber nicht nur deswegen ist Nero einer der meistgehassten Kaiser der römischen Geschichte. Woran liegt das? Eine Antwort lautet: Weil Nero schon zu Lebzeiten Feinde hatte, darunter vor allem auch „Meinungsmacher“. Sie versuchten alles, um den Kaiser zu diskreditieren – mit Erfolg. Sie hassten seine Person, aber auch seine Politik. Zugespitzt könnte man sagen: Nero war der Donald Trump des antiken Roms. Nero trat zu Beginn seiner Herrschaft als kaiserlicher Volkstribun auf, der der Plebs Geschenke und den Aristokraten das Leben schwer machte. Er war durchaus nicht unbegabt in Klientelpolitik und seine Klientel, das war nicht das reiche Patriziat oder die gebildete Oberschicht. Es war das einfache Volk, das er mit Wagenrennen und Getreide bei Laune hielt – die perfekte Umsetzung von „Brot und Spiele“.

Dazu passt, wie Nero auf den Brand reagierte: Er stigmatisierte eine Minderheit als Schuldige. Die Christen eigneten sich dafür perfekt. Argwöhnisch wurden sie ohnehin beäugt, weil sie einerseits rasant wuchsen und sich gleichzeitig vom damaligen sozialen Leben separierten. Ihre Gebote untersagten ihnen beispielsweise die Teilnahme an den Vergnügungen im Zirkus. Für die meisten ihrer Mitbürger war allein das bereits auffällig. Auch konnten die Römer nichts anfangen mit dem Gedanken eines monotheistischen Bekenntnisses, noch dazu zu einem Gott, der am Kreuz und damit in Schande gestorben war. Die Christen waren Außenseiter und dadurch leichte Beute.

Die Verurteilung als Brandstifter war kühl kalkuliert

In jüngster Zeit ist die These aufgekommen, Nero habe nicht die Christen als Sündenböcke dem öffentlichen Zorn ausgeliefert, sondern Anhänger des Isis-Kultes. Die meisten Wissenschaftler halten diese These jedoch nicht für belegbar. Nero hatte selbst ein Faible für die Religionen aus dem Osten des Reiches, wie viele seiner Untertanen. Rom war damals ein religiöser Schmelztiegel, ein Hotspot des Eklektizismus, was sich beispielsweise leicht an den Gebäuden erkennen lässt: Eine der charmantesten Kirchen in Rom, klein und versteckt, ist die Santo Stefano del Cacco, nicht weit vom Pantheon. Dort, wo im 9. Jahrhundert ein christliches Gotteshaus errichtet wurde, stand zu Neros Zeit ein Isis-Tempel – seine zwölf Säulen wurden später einfach für das Kirchenschiff verwendet.

Der Isis-Kult spielte ohne Frage eine Rolle im Rom des 1. Jahrhunderts und in Neros Leben. Ob der Kaiser tatsächlich Anhänger der ägyptischen Göttin war, ist nicht sicher, aber auch nicht unwahrscheinlich. Dass er sich später aus Enttäuschung, etwa über den Tod seiner Tochter, gegen den Isis-Kult wandte und seine ehemaligen „Glaubensbrüder“ als Brandstifter aburteilen ließ, diese Meinung teilt die Fachwelt kaum. Es herrscht weitgehend Einigkeit, dass Nero kühl kalkulierte und sich auf den Rat seines Prätorianerpräfekts Tigellinus verließ. Der Kaiser kannte das Gerücht, er selbst habe den Brand angeordnet. Glaubt man Tacitus, lancierte er Gerichtsverfahren, die zeigen sollten, dass die Christen Anhänger einer Sekte und Fanatiker waren und den Brand gelegt hatten. Das bewiesen diese Verfahren aber nicht, nicht einmal bei Tacitus, der allerdings mit der Bestrafung der Christen einverstanden war, weil er sie für „Menschenhasser“ hielt.

Brot und Spiele in grausamer Form

Was folgte, war ein als Spektakel organisiertes Massenmorden, „Brot und Spiele“ in seiner grausamsten Form. Die Christen ließ man laut Tacitus in Tierhäute einnähen und sie von Hunden zerfleischen, ans Kreuz schlagen oder als „Fackeln“ bei lebendigem Leib verbrennen, gekleidet in pechgetränkte Tuniken. Die Römer nannten sie „tunica molesta“ („lästige Tunika“). Dieser zynische Begriff lässt auf eine breite Akzeptanz der Christenverfolgungen im römischen Volk schließen. Allerdings weist der Historiker Julian Krüger darauf hin, dass man nicht genau einschätzen kann, wie das Volk die Veranstaltung tatsächlich aufnahm. Tacitus behauptet, angesichts der Härte der Bestrafung habe sich auch Mitleid geregt. Es kann aber auch sein, wie Krüger bemerkt, dass Tacitus hier eher für sich selbst als die Allgemeinheit sprach.

So oder so: Die Gerüchte um Neros Brandstiftung verstummten nicht. Wie viele Christen dem Wüten Neros zum Opfer gefallen sind, ist unklar. Frühe christliche Quellen sprechen von fast Tausend, moderne Historiker öfter von wenigen Hundert Ermordeten. Folgenschwer war die Verfolgung in jedem Fall: „Etwas Einschneidendes hatte die neronische Verfolgung bewirkt: Sie kennzeichnete erstmalig die Christen als eine Glaubensgemeinschaft, die im Verdacht stand, gesellschaftsfeindliche Handlungen zu begehen. Notzeiten standen die Christen so als eine Menschengruppe für Sühne und Opfer im öffentlichen Rahmen zur Verfügung“, urteilt Krüger. Nero hat die Christen nicht nur in seinem Zirkus für die Hunde zur Jagd freigegeben, sondern auch für spätere Kaiser im ganzen Imperium – auch das ist sein Erbe.

Das Schicksal von Petrus und Paulus

Ähnlich umstritten wie die genaue Zahl der Opfer ist auch, ob die Apostel Petrus und Paulus, wie es das Christentum bekennt, während der Verfolgung in Rom den Märtyrertod erlitten haben. Petrus am Kreuz, mit dem Kopf nach unten, um nicht so gekreuzigt zu werden wie Jesus Christus selbst. Und Paulus durch das Schwert, ein „Privileg“, das er dem römischen Bürgerrecht seines Vaters verdankt haben soll.

Petrus’ Schicksal ist jedenfalls cineastisch auf das Engste verknüpft mit Nero: Niemand hat Nero überzeugender dargestellt als Peter Ustinov in „Quo Vadis“ von 1951. Der Titel geht auf eine Legende zurück, die zwar nicht im offiziellen biblischen Kanon steht, aber dennoch für das Christentum von großer Bedeutung ist: So sei Petrus geflohen, nicht zum ersten Mal, aus Angst um sein Leben vor seiner Aufgabe, den Glauben an Jesus Christus sogar bis ins Martyrium zu bezeugen. Auf seinem Weg aus der Stadt traf er an der Weggabelung von Via Appia und Via Ardeatina einen Mann. Irgendwann erkannte er ihn als Christus, den Auferstandenen, und er fragte ihn: „Domine, quo vadis?“ „Herr, wohin gehst du?“ Und Jesus antwortete: „Ich komme nach Rom, um mich ein zweites Mal kreuzigen zu lassen.“ Und Petrus verstand, dass er nicht davonrennen konnte und kehrte um. Zurück nach Rom und zu Nero. Zurück in den Tod.

Simon Biallowons

Der Artikel erschien erstmals in G/Geschichte 06/2016 „Nero“

Zuletzt geändert: 14.12.2016