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Herrscher über das Pudding-Imperium

Der Enkel von Dr. Oetker

Vier Jahrzehnte stand Rudolf-August Oetker an der Spitze des von seinem Großvater gegründeten Unternehmens. Er galt als höflicher und fürsorglicher Patriarch in schwierigen Zeiten. Und er war ein glühender Anhänger der Nationalsozialisten.

Bielefeld/NRW

Der Unternehmer Rudolf-August Oetker wurde 1916 in Bielefeld geboren. | © Istockphoto.com/maldesowhat

 

„Mein Vater war ein Nationalsozialist.“ So offen, so schonungslos und doch ohne Groll sprach August Oetker in einem Interview mit der Zeitung „Die Zeit“ über die Verstrickung seines Vaters Rudolf-August Oetker mit der NS-Diktatur. Zeitlebens hatte sich der 2007 verstorbene Enkel des Firmengründers August Oetker dagegen gewehrt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Nach seinem Tod beauftragte die Familie den Münchner Historiker Andreas Wirsching, um dieses dunkle Kapitel der Firmengeschichte aufzuarbeiten. Zusammen mit den Nachwuchswissenschaftlern Jürgen Finger und Sven Keller durchforstete Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, zahlreiche Akten, Briefe und bislang unerforschte Quellen aus dem Firmenarchiv und zeichnete ein recht klares Bild der braunen Vergangenheit der Pudding-Dynastie.

„Zwischen Oetker und das NS-Regime passte kein Blatt Papier“, urteilte Wirsching im Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“ im Oktober 2013. Demnach waren Rudolf-August und sein Stiefvater Richard Kaselowsky nicht nur glühende Anhänger der Nationalsozialisten – Rudolf-August meldete sich 1942 freiwillig zur Waffen-SS –, sondern die Familie Oetker stützte mit ihrem Firmengeflecht das NS-Unrechtssystem. Nicht umsonst wird Dr. Oetker 1937 als nationalsozialistischer Musterbetrieb ausgezeichnet. In Unternehmen, an denen die Oetkers beteiligt waren, wurden Zwangsarbeiter beschäftigt. Die Familie profitierte auch von „Arisierungen“ jüdischen Besitzes, etwa durch den Zwangsverkauf der Brauerei Groterjan, mit der die Oetker-Gruppe in das Brauereiwesen einstieg, heute eine wichtige Sparte des Firmenimperiums. Rudolf-August persönlich hatte keinerlei Skrupel, 1940 das Nachbargrundstück seiner Hamburger Villa von der jüdischen Familie Lipmann, die dringend Geld für die Ausreise benötigte, deutlich unter Wert zu kaufen.

Stiefvater Kaselowsky war ein Vorbild für ihn

Die Fakten, die das Historikertrio ans Licht brachte und in einem Buch veröffentlichte, passen nicht so recht ins Bild des fürsorglichen und bodenständigen Firmenchefs, das in den Nachrufen und Trauerreden nach seinem Tod gezeichnet wurde. Unter seinen Mitarbeitern war „RAO“ – wie er oft genannt wurde – hochgeschätzt. Er galt als höflicher Gentleman, der trotz seines immensen Erfolgs stets normal geblieben war.

Und doch zeigt der paternalistisch-fürsorgliche Führungsstil, den Rudolf-August Oetker als persönlich haftender Gesellschafter und unumschränkter Alleinherrscher seines Unternehmens pflegte, eine gewisse gedankliche Nähe zum Führerkult der Nazis. Und natürlich mag die Erziehung und das Vorbild des Stiefvaters eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben.

Von Anfang an wurde er für die Nachfolge trainiert

Den leiblichen Vater hatte Rudolf-August nie erlebt. Am 8. März 1916 war Rudolf Oetker in der Schlacht von Verdun gefallen. Sein Sohn Rudolf-August wurde sechs Monate später, am 20. September 1916, in Bielefeld geboren. Seine Mutter, Ida Oetker, heiratete am 14. August 1919 in zweiter Ehe Richard Kaselowsky, den der Junge als Vater verehrte. Als einziger männlicher Nachkomme der Firmendynastie, wurde Rudolf-August von Geburt an für Aufgabe an der Spitze vorbereitet. Von Anfang an wurde ihm eingebläut, er müsse seinem Vater ein würdiger Nachfolger werden. Seine Mutter beschreibt Oetker als „liebevoll aber überaus streng“, stets habe sie ihn zu Ordnung und Sparsamkeit ermahnt.

Rudolf-August wurde zunächst auf eine Bielefelder Privatschule geschickt. Doch bald darauf wechselte er auf eine gewöhnliche Volksschule. Er vermutete später, seine Mutter habe diesen Entschluss gefasst, damit er dort die Menschen kennenlerne, die später für ihn arbeiten würden. Als Schüler tat sich der junge Rudolf-August nicht immer leicht. Ab der 7. Klasse musste er Nachhilfeunterricht nehmen. Sein ehemaliger Griechischlehrer vermittelte ihm den Studenten Gerhard Spellmeyer als Nachhilfelehrer, in dem Rudolf-August neben dem Lehrer auch einen Freund fand, mit dem er ausgiebig über Politik diskutieren konnte, und der ihm das Pfeiferauchen – ein späteres Markenzeichen von ihm – beibrachte.

Vom Reitclub in die SA

Sportlich interessiert trat Rudolf-August mit zwölf Jahren in den Bielefelder Tennisclub und in den örtlichen Reitclub ein. Mit der Überführung des Reitclubs in die Reiter-SA 1933, wurde Rudolf-August sozusagen „automatisch“ SA-Mitglied. Nach dem Abitur trat er 1936 in den Reicharbeitsdienst ein, den er im Lager in Warendorf absolvierte. Als Unternehmenserbe genoss er eine gewisse Sonderrolle. So genehmigte ihm sein Oberfeldmeister zwei Wochen Urlaub, um zu den Olympischen Spielen nach Berlin zu reisen. Sein Stiefvater hatte vom Gauleiter Alfred Meyer zwei Karten für Spiele erhalten und an ihn weitergeleitet. Als Gegenleistung nahm Rudolf-August seinen Vorgesetzten mit in die Reichshauptstadt, wo sie im Mercedes von Großmutter Lina vorfuhren, die sich häufiger als spendable Gönnerin ihres Enkels zeigte. Für die Abschlussfeier am Ende der sechsmonatigen Dienstzeit in Warendorf ließ Rudolf-August 200 junge Damen aus der Firma als Tanzpartnerinnen für die Männer nach Warendorf fahren.

Nachdem er wegen einer schweren Krankheit vorzeitig aus dem zweijährigen Militärdienst ausschied, begann er eine Lehre bei der Hamburger Vereinsbank. Mit 21 Jahren zog Rudolf-August in eine Villa an der noblen Hamburger Außenalster. In der betuchten Gesellschaft der Hansestadt fand er schnell Anschluss. Dort lernte er auch Marlene Ahlmann kennen, die er angesichts des Krieges und auf Druck der Familie im Oktober 1939 etwas überstürzt heiratete. Die Ehe hielt keine zwei Jahre und wurde bereits im Februar 1941 wieder geschieden. Aus der Verbindung ging die Tochter Rosely Oetker hervor. Nach und nach führt Kaselowsky seinen Stiefsohn in die Firmengeschäfte mit ein und bereitete ihn systematisch auf die Nachfolge vor. Mehrere Auslandsaufenthalte in Zweigstellen der Firma, verschiedene Aufsichtsratsposten und die Zeit im Berliner Büro des Oetker-Unternehmens verschafften dem jungen Mann einen profunden Einblick in das deutsche und europäische Wirtschaftsleben. In Berlin trifft er auf Susanne Schuster, die 1943 seine zweite Ehefrau wird und ihm vier weitere Kinder schenkt.

Nach dem Krieg wurde er brutal misshandelt

Bei einem schweren Bombenangriff auf Bielefeld im Herbst 1944 sterben seine Mutter Ida, der Stiefvater und zwei Halbschwestern. Von einem Tag auf den anderen muss Rudolf-August, der eben noch seinen 28. Geburtstag feierte, die Leitung des Familienunternehmens übernehmen.

Nach dem Krieg wurde er gefangen genommen und in einem Internierungslager bei Paderborn inhaftiert. Als dort seine Mitgliedschaft bei der Waffen-SS erkannt wird, misshandeln ihn Wachleute brutal.

In der Nachkriegszeit profitiert das Unternehmen, das seit 1947 wieder von Rudolf-August geführt wird, von der Investition in die Werbung. Die Marke Dr. Oetker hat nichts von ihrer Strahlkraft verloren und gehört in der schwunghaften Wirtschaftswunderära zur Standardausstattung in vielen Küchen.

Auch als Kunstmäzen war er aktiv

Um das Unternehmen unabhängig von Konjunkturzyklen zu machen, und um die teils hohen Steuern im besetzten Deutschland zu kompensieren, investierte Rudolf-August die Gewinne aus dem Verkauf von Backmitteln vor allem in die Schifffahrt. Bereits 1936 hatte sich die Firma an der Hamburg Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft beteiligt. Oetker steckte viele weitere Millionen in teils ganz unterschiedliche Geschäftsfelder und Branchen. Er investiert in Luxushotels wie das Hotel du Cap, Eden Roc an der Cote d’Azur, und erwirbt 1949 das Mindener Bankhaus Lampe – heute eines der führenden privaten Geldhäuser Deutschlands. Mit dem Kauf der Bank für Brauindustrie, die Aktienmehrheiten an Frankfurter, Berliner und Dortmunder Brauereien besitzt, wird das Brauereigeschäft erweitert. 1958 übernahm Rudolf-August Oetker die Söhnlein Rheingold AG, die 1987 mit der Henkell & Co. Sektkellerei fusionierte. Mit rund 30 800 Mitarbeitern in rund 400 Firmen und einem Jahresumsatz von mehr als zwölf Milliarden Euro zählt die Oetker-Gruppe heute zu den großen europäischen Familienunternehmen.

Rudolf-August Oetker war nicht nur einer der größten Wirtschaftsmagnaten Nachkriegsdeutschlands. Auch als Kunstmäzen machte er sich einen Namen. 1968 stiftete er seiner Heimatstadt Bielefeld eine Kunsthalle, die den Namen seines Stiefvaters tragen sollte. Weil Kaselowsky aber Mitglied im Freundeskreis Reichsführer SS war, einer Lobbyistengruppe mit besonderer Nähe zu Heinrich Himmler, erhob sich vor allem vonseiten der Jugend und Studenten großer Protest. Trotzdem firmierte das Museum 30 Jahre lang als „Kaselowsky-Haus“, bis 1998 der rot-grün geführte Stadtrat den Namenszusatz strich. Persönlich beleidigt ließ Rudolf-August wenige Tage später seine Bilder, die als Dauerleihgaben dort ausgestellt waren, mit dem Laster abholen.

Sein Sohn wurde entführt und schwer verletzt

Auch nach dem Krieg blieb Oetker nicht von privaten Schicksalsschlägen verschont. 1976 wurde Richard, sein damals 25-jähriger Sohn aus zweiter Ehe, entführt. Der Entführer erpresste ein Lösegeld von 21 Millionen Mark. Bei der Entführung wurde Richard schwer verletzt und überlebte nur knapp. Bis heute ist er gehbehindert.

Größtes Verdienst Rudolf-August Oetkers war, dass er das Nachfolgeproblem mit großer unternehmerischer Weitsicht löste. 1981 trat er mit 65 Jahren in den Ruhestand und legte die Geschäftsführung in die Hände seines Sohnes August. Den größten Teil seiner Unternehmensanteile übertrug er an seine acht Kinder, die er von drei Frauen hat – seit 1963 war er mit Marianne von Malaisé verheiratet –, um Erbstreitigkeiten zu vermeiden. Er selbst fungierte bis zu seinem Tod als Vorsitzender des Beirats der Dr. Oetker Holding KG, eine Art Aufsichtsrat mit Beratungs-, Kontroll- und Vetofunktion. Bis zu seinem Tod blieb Rudolf-August als einer der großen Patriarchen der deutschen Wirtschaftsgeschichte mit den Geschicken seines Unternehmens eng verbunden.

Stefan Reinbold

Zuletzt geändert: 14.12.2016