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Dreieck des Todes

Der europäische Sklavenhandel

Elf Millionen Menschen wurden von den Europäern im Laufe der Jahrhunderte aus Afrika nach Amerika verschleppt. Elf Millionen Menschen – das sind elf Millionen Einzelschicksale.

Europäischer Sklavenhandel

Afrakanische Sklaven werden auf ein europäisches Sklavenschiff verladen. Stich von 1876. | © istockphoto.com/Grafissimo

 

„Eines Tages, als alle wie gewöhnlich zur Arbeit gegangen waren und ich und meine liebe Schwester allein daheim geblieben waren, um auf das Haus aufzupassen, kletterten ein Mann und eine Frau über unsere Mauern, packten uns, knebelten uns und rannten mit uns in den nächsten Wald.“ So beginnt Olaudah Equiano die Schilderung seines Leidensweges als elfjähriger Junge im heutigen Nigeria. Rasch entfernten sie sich von seinem Heimatdorf und kamen in Gegenden, die er noch nie gesehen hatte. Seine Schwester und er standen so sehr unter Schock, dass sie nichts essen konnten. „Unser einziger Trost war, dass wir nachts in den Armen des anderen liegen konnten. Aber ach! Rasch wurden wir auch dieses Trostes beraubt. Denn nun wurden meine Schwester und ich getrennt, während wir uns noch umarmt hielten. Vergebens flehten wir sie an; sie wurde von mir losgerissen und weggetragen.“ Es ging über Land und über Wasser und durch die Gebiete verschiedener Völker. Endlich, nach sechs oder sieben Monaten, erreichten die Entführer mit dem kleinen Equiano die Küste. Dort sah er zum ersten Mal das Meer und zum ersten Mal ein Schiff.

„Ich wurde sofort von ein paar Besatzungsmitgliedern gepackt und hin und her geschüttelt, um herauszufinden, ob ich gesund war. Ich war nun überzeugt, in eine Welt voll böser Geister geraten zu sein, die mich töten würden. Ihre Hautfarbe war so anders als die unsere, genauso wie ihr langes Haar und die Sprache, die sie sprachen. Auch als ich mich auf dem Schiff umsah und die vielen schwarzen Menschen erblickte, die dort angekettet waren, zweifelte ich nicht an meinem Los.“

Durst, Krankheiten und infernalischer Gestank

Als er zum ersten Mal unter Deck gebracht wurde, schlug ihm der fürchterlichste Gestank entgegen, den er jemals eingeatmet hatte. „Die Enge des Zwischendecks und die Hitze des Klimas in Verbindung mit der enormen Zahl von Menschen erstickten uns fast.“ Schnell verschwand die Küste am Horizont. Nach einigen Tagen wurde die Situation an Bord unerträglich. „Die schlechte Luft verursachte eine Krankheit unter den Sklaven, an der viele starben. Diese elenden Zustände wurden noch verschlimmert durch den Dreck in den Tonnen zur Bedürfnisverrichtung, in die die Kinder oft hineinfielen und fast erstickten. Die Schreie der Frauen und das Stöhnen der Sterbenden machten dies alles zu einem fast unvorstellbar abschreckenden Schauspiel.“

Angenommen wird, dass von Anfang des 16. Jahrhunderts bis zur Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert insgesamt elf Millionen Menschen von Afrika nach Amerika verschleppt worden sind. Davon starben schätzungsweise 1,5 Millionen schon während der Überfahrt. Jeder Sklave hatte ungefähr so viel Platz zur Verfügung wie heute ein Flugpassagier in der Economy Class. Mit dem Unterschied, dass eine Flugreise ohne Zwischenlandung höchstens zehn bis zwölf Stunden dauert, eine damalige Schiffsreise über den Atlantik aber mindestens einen Monat. Die unhygienischen Verhältnisse führten dazu, dass binnen kürzester Zeit fast alle Sklaven an einer Darminfektion litten, die mit einem zusätzlichen Flüssigkeitsverlust einherging. Ein wenig Erleichterung boten nur die kurzen Spaziergänge an der frischen Luft auf dem Oberdeck. Dabei wurden die Sklaven von der Besatzung scharf überwacht, denn immer wieder kam es vor, dass einige über Bord sprangen. Sie wollten lieber sterben, als in die Hölle unter Deck zurückzukehren.

Waren sich die Sklavenhändler ihrer Untaten bewusst? Sie verdrängten es wohl. Der französische Sklavenhändler Joseph Mosneron las eifrig die Schriften des Aufklärers und Weltverbesserers Jean-Jacques Rousseau und zeigte sich 1766 tief ergriffen von einem Theaterstück, in dem Voltaire die Versklavung der Indianer durch die Spanier anprangerte. Auf sich selbst bezog er das Stück offenbar nicht. Die meisten Sklavenhändler waren davon überzeugt, dass sie selbst die Schwarzen deutlich besser behandelten als die Konkurrenz. Ferner beruhigten sie ihr Gewissen damit, dass die Afrikaner die Sklaven selbst verkauften und andernfalls womöglich töten würden; dass die Sklaven keine vollwertigen Menschen seien; und dass es die Sklaverei im Übrigen schon immer gegeben habe.

Europäer hätten sich einer solchen Schinderei nicht ausgesetzt

Das Letzte war nicht ganz von der Hand zu weisen. Portugal und Spanien hatten lange zur arabischen Welt gehört, und dort war Sklaverei selbstverständlich. Die Araber holten viele ihrer Sklaven aus Westafrika. Nach ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel setzten die Portugiesen den Sklavenhandel selbst fort. Die Eroberung der „Neuen Welt“ ließ den Bedarf drastisch steigen. Der französische Staatstheoretiker Montesquieu schrieb in einem ironischen Text: „Weil die Völker Europas diejenigen Amerikas ausgerottet haben, müssen sie die Afrikaner versklaven, um mit ihnen jenes weite Land zu erschließen. Der Zucker wäre auch viel zu teuer, wenn man den Zuckerrohranbau nicht von Sklaven durchführen ließe.“

Die Zuckerplantagen Brasiliens waren die wichtigsten Abnehmer für die Sklaven aus Afrika, denn Auswanderer aus Europa hätten sich niemals einer solchen Schinderei ausgesetzt. „Die Mühle beginnt mittags zu mahlen, und während der ganzen Nacht geht die Arbeit ohne Unterbrechung weiter“, heißt es in einem Bericht aus dem 17. Jahrhundert. „Am nächsten Morgen um zehn Uhr werden die Fässer sauber gemacht. Dann ist vier Stunden Ruhezeit, und danach fängt die Arbeit wieder von vorn an. So geht es die ganze Woche. Die Arbeit in der Mühle ist so furchtbar, dass man sie für gewöhnlich als die Hölle bezeichnet, und nur Menschen wie die Schwarzen können es dort aushalten.“ Die meisten Sklaven starben jung, hinweggerafft von Seuchen. Ein geflügeltes Wort lautete: „It is cheaper to buy than to breed.“ („Es ist billiger zu kaufen als zu züchten“.) Immer neue Sklaven mussten herbeigeschafft werden.

Auch Deutschland stieg in den lukrativen Handel ein

Im 17. Jahrhundert stiegen die Niederländer kurzzeitig zu den größten Menschenhändlern auf. Eine Art Pidgin-Holländisch wurde zur Lingua franca der Sklaven, deren Muttersprachen ganz unterschiedlich waren. Die Niederländer waren es auch, die den Zuckerrohranbau erfolgreich auf den karibischen Inseln etablierten. Es ist heute kaum noch bekannt, dass im 18. Jahrhundert nicht etwa die nordamerikanischen Kolonien, sondern die karibischen Inseln der wertvollste überseeische Besitz der Franzosen und Briten waren. Das Handelsvolumen mit der Karibik war größer als mit ganz Nordamerika. Dies jedoch nur, weil die Arbeit auf den Zuckerplantagen durch unbezahlte Sklaven verrichtet wurde. Auch kleinere Mächte versuchten, in dieses lukrative Geschäft einzusteigen: So besaß Brandenburg-Preußen seit 1682 eine »Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie«, die an der Guineaküste vorübergehend einige Stützpunkte erwarb. Später verschwieg man in Deutschland meist schamhaft, welchem Zweck dieser »erste deutsche Kolonialbesitz« gedient hatte.

Im 18. Jahrhundert wurde der Sklavenhandel von Briten und Franzosen beherrscht, zu den wichtigsten Häfen entwickelten sich Liverpool und Nantes. Sie waren die Ausgangspunkte des berüchtigten Dreieckshandels zwischen Westeuropa, Afrika und dem karibisch-südamerikanischen Raum. Die Schiffe steuerten zunächst die westafrikanische Küste zwischen Senegal und Angola an. Dort kauften die Europäer die Sklaven von afrikanischen Händlern. Die Bezahlung bestand aus Textilien, Schnaps, alten Gewehren, Metallwaren und Glasperlen. Auf der „Middle Passage“ wurden die Sklaven alsdann zu den karibischen Umschlaghäfen transportiert. Drehkreuz des internationalen Sklavenhandels war die winzige Antilleninsel Curaçao. Mit Zucker, Rum und später Baumwolle an Bord ging es dann wieder zurück nach Europa. Anschließend konnte die Dreiecksfahrt aufs Neue beginnen – ein Kreislauf des Todes.

 

Christoph Driessen

 

 

Zuletzt geändert: 02.06.2015