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Japans Tenno

Der inszenierte Kaiser

G/GESCHICHTE-Autor Dr. Heiko Schmitz sprach mit Prof. Dr. Christian Tagsold vom Institut für Modernes Japan an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf über den Tenno und seine Bedeutung für die Japaner.


Tokio

Die Japaner jubeln ihrem Kaiser am 2. Januar 2014 vor dem Kaiserpalast in Tokio zu. | © istockphoto.com/brize99

G/GESCHICHTE: Herr Professor Tagsold, warum hat das Kaisertum als Institution bis heute überlebt?

Professor Christian Tagsold: Das hat verschiedene Gründe. Die sehr konservativen Kreise in Japan haben bis heute ein Interesse daran, den Tenno als Symbol für die Einheit des japanischen Volkes zu erhalten. Selbst für die Shogune war der Tenno ein wichtiger Anker, obwohl er politisch kaltgestellt war und von einem Großteil der Bevölkerung über Jahrhunderte kaum wahrgenommen wurde. Im Zuge der Meiji-Restauration nach 1868 wurde der Tenno wieder Staatsoberhaupt und wichtig für das Bild von einem Land, das Tradition und Moderne vereint. Nach 1945 wurde das Kaiserhaus zur idealen Familie stilisiert und vor allem mit der Natur in Verbindung gebracht. Das Fernsehen zeigt den Tenno alljährlich beim Setzen der ersten Reispflanzen.

G/GESCHICHTE: ist er nicht mehr Staatsoberhaupt?

Professor Christian Tagsold: Die Verfassung wurde den Japanern nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA vorgegeben. Sie wollten den Tenno nicht, fürchteten aber die Folgen einer Anklage oder gar Hinrichtung wegen der Kriegsverbrechen. Die Frage war: Wohin mit dem Tenno? In den ersten acht Artikeln der Verfassung steht, was der Kaiser darf und was nicht. Er ist nicht mehr der Souverän, sondern Symbol der Einheit des japanischen Volkes. Wie kompliziert das Konstrukt ist, zeigte sich bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 1964, wo der Tenno als „Schirmherr“ auftrat, weil er eben nicht das Staatsoberhaupt ist.

G/GESCHICHTE: Wie steht es um seinen politischen Einfluss?

Professor Christian Tagsold: Die rein repräsentative Rolle ist ein wenig mit der des Bundespräsidenten vergleichbar, wobei vom Tenno keine politische Einflussnahme erwartet wird. Er ist auch nicht diplomatisch aktiv. Seit 1945 hat kein Tenno mehr Südkorea besucht, weil mit Protesten zu rechnen wäre – weltliche Konfrontationen würden dem Kaiser schaden. Er würde auch nie den Yasukuni-Schrein in der Nähe des Kaiserpalastes besuchen, in dem die Kriegshelden Japans verehrt werden. Es darf keine Verbindung des Tennos mit dem Militär mehr geben.

G/GESCHICHTE: Welche Rolle spielt er für die Religion?

Professor Christian Tagsold: Nach 1868 versuchte man eine Staatsreligion nach europäischem Vorbild zu etablieren und baute den Shinto um – mit Ritualen, die bis heute mit dem Kaiser zu tun haben. Damals genoss er religiöse Verehrung. In Schulen hing sein Bild – kein Foto, sondern ein Gemälde – hinter einem Vorhang oder in einem Schrein. Er ist aber kein religiöser Führer. Und er hat nach dem Zweiten Weltkrieg seiner mythisch begründeten Göttlichkeit abgeschworen.

G/GESCHICHTE: Ist der Tenno eine öffentliche Figur?

Professor Christian Tagsold: Er ist immer Teil einer Inszenierung – wie bei seiner Rede nach der Katastrophe von Fukushima. Die Presse darf nicht kritisch über ihn berichten. Das wäre riskant, denn für die ultrarechten Kräfte ist er eine identitätsstiftende Figur. Man kann den Tenno nicht stürzen oder das Kaisertum abschaffen. Aber er ist für viele Japaner im Alltag zu unbedeutend, um über die Institution groß nachzudenken.

G/GESCHICHTE: Außerhalb Japans wird der Tenno aber als Repräsentant wahrgenommen.

Professor Christian Tagsold: Ja, aber dabei wird weder die ambivalente Rolle des Tenno noch die unterschiedliche Wahrnehmung des Kaiserhauses in Japan berücksichtigt. Der 1989 verstorbene Showa Tenno, Kaiser Hirohito, wurde stets als Tenno des Zweiten Weltkriegs gesehen, aber auch als Tenno der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung. Als er starb, wurde seine Rolle im Krieg wieder zum Thema.

G/GESCHICHTE: Die Medien zeichneten das Bild von einem Land in tiefer Trauer…

Professor Christian Tagsold: Das war nicht die ganze Wahrheit. Es gab Gerüchte, die besagen, dass die Nachricht vom Tod des Showa Tenno erst Tage später am 7. Januar lanciert wurde, damit das Ereignis nicht mit den Neujahrsfeiern zusammenfiel. Dann wäre womöglich deutlich geworden, dass sich viele Japaner die Feierlaune nicht verderben lassen. Und während das Fernsehen ausschließlich Trauerbilder und geschönte Rückblicke auf das Leben des Tenno zeigte, waren in den Videotheken die Regale leer – alle Filme waren ausgeliehen. Gleichwohl waren viele ernsthaft erschüttert über den Tod des Tenno.

G/GESCHICHTE: Auch die westlichen Statsgäste, die zur Beerdigung kamen?

Professor Christian Tagsold: Trotz der Debatten um die Rolle des Tenno im Krieg kamen unter anderem US-Präsident George Bush und Frankreichs Präsident Francois Mitterand. Der Tenno war eben nicht nur der Kriegstreiber, sondern für den Westen auch Stabilitätsfaktor und eine wichtige symbolische Figur für den Wiederaufbau nach 1945 und die Westbindung des Landes.

G/GESCHICHTE: Was ist mit seinem Nachfolger, dem „Heisei“-Tenno?

Professor Christian Tagsold: Auch Kaiser Akihito ist kein Hauptinstrument der Außenpolitik, wobei bei ihm die Frage nach der Schuld an Kriegsverbrechen keine Rolle spielt – Heisei heißt in etwa „Frieden für alle“. Er hat als erster japanischer Kaiser China besucht, ist aber ansonsten auch außerhalb Japans nicht sehr präsent. Seine fragile Rolle bietet ihm nur wenige Berührungspunkte zu anderen Politikern. Er verfolgt, anders als westliche Monarchen, auch kein persönliches Programm – er wird vom kaiserlichen Hofamt nicht als Person, sondern als Institution inszeniert.

Zuletzt geändert: 29.08.2016