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Netzwerk gegen Hitler

Die Rote Kapelle

Die Widerstandsgruppe, die „Rote Kapelle“ genannt wurde, vereinte Intellektuelle, Künstler, Angestellte, Soldaten, Offiziere, Marxisten und Christen unterschiedlichen Alters und verschiedenster Herkunft mit dem Ziel, das Hitler-Regime loszuwerden.

Zitat von Harro Schulze-Boysen

Zitat von Harro Schulze-Boysen, einem der führenden Köpfe der regimekritischen Gruppe „Rote Kapelle“, am Bundesfinanzministerium in Berlin. | © Wikimedia Commons/CC-BY-SA-3.0/Denis Apel/flyingpixel.de Wikipedia

Die Rote Kapelle war keine einheitliche Widerstandsgruppe, sondern bestand aus verschiedenen Kreisen. Angefangen hat sie unter anderem mit Intellektuellen, die sich im Hause des Berliner Oberregierungsrats Arvid Harnack und seiner Frau Mildred ab 1933 trafen. Sie waren nicht immer einer Meinung und sie debattierten – über Gott und die Welt, aber auch über Deutschlands Zukunft. Der Schriftsteller Adam Kuckhoff und seine Frau Greta gehörten zu der bunten Gesellschaft, Wissenschaftler, Künstler, dazu eine Gruppe von Schülern des Berliner Städtischen Abendgymnasiums und der religiöse Sozialist Adolf Grimme. Er nannte die Treffen des Kreises „Widerstand vom Geist her“.

Aus oppositioneller Haltung betrieben sie Schulungs- und Bildungsarbeit; eine Zeit der Neuordnung nach Hitler sollte zumindest intellektuell vorbereitet werden. Gastgeber Harnack, 1909 geboren, sah das gesellschaftliche Heil im kommunistischen Modell des Ostens. Er hatte dank Rockefeller-Stipendium in Amerika studiert und 1931 in Gießen über die vormarxistische Arbeiterbewegung in den USA promoviert. Er hielt Planwirtschaft, wie er sie 1932 bei einer Reise in die Sowjetunion aus der Nähe betrachtet hatte, für die beste Lösung.

Die Rote Kapelle begann als Zirkel zum Meinungsaustausch

Seit 1933 war der Jurist Harnack im Amerikareferat des Wirtschaftsministeriums tätig und versuchte, Kontakte zu regimekritischen Mitarbeitern von Regierungsstellen und Institutionen in Berlin herzustellen. Mit Vertretern der US- und der sowjetischen Botschaft traf er sich zu vertraulichen Gesprächen. Mitte der 1930er-Jahre lernte er den Mann kennen, der mit ihm zum Kopf einer der größten Widerstandsgruppen wurde: Harro Schulze-Boysen, ein Großneffe des Admirals von Tirpitz.

Schulze-Boysen hatte als Herausgeber der Zeitschrift „gegner“ schon seit 1932/1933 Kontakt zu Oppositionellen unterschiedlicher Couleur. Nach dem Verbot des Journals begann er 1933 eine Ausbildung an der Verkehrsfliegerschule in Warnemünde und saß seit 1934 im Reichsluftfahrtministerium. Mitte der 1930er-Jahre bildete sich auch um ihn und seine Frau Libertas ein Zirkel zum Austausch kritischer Meinungen.

Die Gestapo gab der Roten Kapelle ihren Namen

Die Kreise von Harnack und Schulze-Boysen kamen einander näher; eine durchorganisierte, konspirative Spionageorganisation gab es aber nicht. Dennoch betrachtete die Gestapo die Gruppe aufgrund ihrer Kontakte nach Moskau als Teil des sowjetischen Nachrichtendienstes. Dessen Bezeichnung, „Rote Kapelle“, übertrugen die Nationalsozialisten auf die Berliner Sammlungsbewegung. Jungkommunisten um den Arbeiter Hans Coppi, Gruppen um den Psychoanalytiker John Rittmeister und der Schauspieler Wilhelm Schürmann-Horster kamen hinzu. Mit Flugblättern und Zettelklebe-Aktionen wollte die Rote Kapelle die Bevölkerung aufklären.

Libertas Schulze-Boysen sammelte in der Kulturfilmzentrale des Reichspropagandaministeriums Bildmaterial über Nazi-Verbrechen. Im Februar 1942 versandte die Rote Kapelle das von Schulze-Boysen verfasste Flugblatt „Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk“ an mehrere Hundert Anschriften in Berlin und in Deutschland. Der Aufruf entlarvte den „Endsieg“ als Lüge und beschwor als einzigen Ausweg das baldige Ende von Krieg und Regierung. Mit einer Zettelklebe-Aktion protestierte die Rote Kapelle im Mai 1942 gegen die antisowjetische Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies“. Andere Mitglieder verbreiteten die Predigten des Bischofs von Galen gegen die Euthanasiemorde.

Ein Ziel war, das Vetrauen der Sowjetunion zu gewinnen

Über die Wirksamkeit solcher Aktionen machte sich niemand etwas vor. Die Effizienz der Gestapo und die Angst der Bevölkerung isolierten den Widerstand. Es galt jedoch, Zeichen zu setzen – und Vorbereitungen zu treffen, für spätere Verhandlungen. Harnack und Schulze-Boysen lag insbesondere am Vertrauen der Sowjetunion – eine Gegenposition zum westorientierten Widerstand des Kreisauer Kreises und der Militärs. „Als sich im Winter 1941/1942 zeigte, dass der Krieg im Osten ein Fehlschlag war, prophezeite Harnack, dass jeder von uns sich einmal entscheiden müsse, ob er östlich oder westlich der Elbe leben wolle“, berichtete sein Freund Walter Zechlin später.

Es ging jedoch nicht darum, Stalin zu unterstützen oder ein diktatorisches Regime gegen ein anderes einzutauschen, wie der Roten Kapelle später vorgehalten wurde. Harnack und Schulze-Boysen wollten eine Verständigung mit der UdSSR, um Deutschland als Nationalstaat erhalten zu können.

Schon im Herbst 1940 hatten die Sowjets über Alexander Korotkow, einen Botschaftsangehörigen in Berlin, Kontakt zur Roten Kapelle hergestellt. Schulze-Boysen unterrichtete Korotkow über die Vorbereitungen zum Angriff auf die Sowjetunion und warb dafür, während des Krieges Funkkontakt zu halten. Das misslang jedoch. Dafür übermittelte der Sowjet-Agent „Kent“ alias Anatoli Gurewitsch im November 1941 Informationen aus Brüssel nach Moskau, die er zuvor von Schulze-Boysen erhalten hatte. Moskau forderte „Kent“ daraufhin auf, sich nach Berlin zu begeben. Das wurde der Roten Kapelle zum Verhängnis.

Ein entschlüsselter Funkspruch führte zur Entdeckung

Im August 1942 entschlüsselte das Oberkommando des Heeres den Funkspruch und kam so an die Namen Schulze-Boysens und Kuckhoffs. Am 31. August wurde Schulze-Boysen verhaftet, eine Woche später ging Harnack den Fahndern ins Netz. Für die Ermittler war klar: Sie hatten es mit gesteuerten Spitzeln Moskaus zu tun, mit Verrätern. Anders wussten sie den bunten Kreis nicht auf einen Nenner zu bringen. Bis März 1943 wurden 126 der über 150 Mitglieder der Roten Kapelle verhaftet, 48 von 91 Angeklagten hingerichtet, darunter 19 Frauen. Vier Männer begingen Suizid, fünf wurden ohne Verhandlung umgebracht.

Zu Weihnachten 1942 schrieb Schulze-Boysen seinen Eltern: „Ich bin vollkommen ruhig. Es geht auf der Welt um so wichtige Dinge, da ist ein Leben, das erlischt, nicht sehr viel. Dieser Tod passt zu mir. Mag sein, dass wir nur ein paar Narren waren; aber kurz vor Toresschluss hat man wohl das Recht auf ein bisschen ganz persönliche historische Illusion.“

Heiko Schmitz

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 7/2004 „Bomben gegen Hitler: Widerstand im Dritten Reich“

Zuletzt geändert: 20.04.2017