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Mit Misteln und Menschenknochen

Druiden

Kaum eine Religion ist so geheimnisumwittert wie die der Druiden. Die keltischen Priester verbanden Naturkenntnisse und Philosophie mit mysteriösen, oft blutrünstigen Ritualen. Archäologische Funde gewähren heute Einblicke in schaurige Praktiken.

Hadrianswall in Schottland

Die Römer fürchteten die Kelten und ihre Priester, die Druiden, so sehr, dass sie Mauern bauten, darunter den Hadrianswall in Schottland. | © istockphoto.com/uplifted

Auf dem überdachten Podest befanden sich circa einhundert Männerleichen, die so an das Geländer festgebunden waren, dass sie wie Schaufensterpuppen dastanden. Die Toten trugen volle Bewaffnung – hatten aber alle keinen Kopf mehr. Es muss bestialisch gestunken haben: Als der Aufbau schließlich einstürzte, waren die Muskeln der kopflosen Krieger verwest, nur noch Haut und Sehnen umgaben die Skelette.

Das gruselige Leichenheer wachte am Rand des Heiligtums von Ribemont-sur-Ancre in Nordfrankreich. Gut 2200 Jahre später, ab 1966, gruben Archäologen die Überreste aus. Im Inneren des Kultplatzes fanden sie ganze Knochenberge: Druiden – die Priester der Kelten – hatten Tausende menschlicher Gebeine zu hüfthohen Umzäunungen gestapelt. Schädel an den Eingangspforten verstärkten den morbiden Eindruck des Kultbezirks. Die Forscher sind sich heute uneins, ob die Knochenberge in Ribemont-sur-Ancre von Menschenopfern stammen oder nur Resultat makabrer Bestattungsformen sind. Klar ist aber: Die Druiden gingen mit menschlichen Körpern auf eine Weise um, die erschaudern lässt.

Über heutige Esoteriker hätten Druiden wohl nur kalt gelächelt

Über das ökopazifistische Gedankengut, das ihnen moderne Esoteriker bisweilen andichten, hätten diese Priester wohl nur kalt gelächelt. Bei den Kelten verschmolzen technische Fertigkeit, wirtschaftliche Entwicklung und blutrünstige Religiosität zu einer seltsamen Melange, wie wir sie sonst nur von den Azteken und Mayas kennen. Eine Schlüsselrolle nahmen die Druiden ein: Einerseits waren sie wohl die gebildetsten Mitteleuropäer ihrer Zeit. Andererseits scheinen sie einen mörderischen Kult angetrieben zu haben, wenn nicht gar eine regelrechte Menschenopferindustrie.

Eine Reihe antiker Autoren schildert grauenvolle Praktiken der Kelten, auch Gallier genannt. Der Grieche Poseidonios, der um 90 v. Chr. Gallien bereiste, erwähnt riesige Scheiterhaufen, auf denen die Kelten Übeltäter und Kriegsgefangene zu Ehren der Götter verbrannten. Gaius Julius Cäsar berichtet in seinem Werk über den gallischen Krieg „De bello Gallico“, dass einige Stämme gigantische Standbilder bauten, die innen hohl waren. „Sie füllen diese Figuren mit lebenden Menschen“, erzählt der Feldherr, „und stecken sie in Brand, sodass die Menschen in den Flammen umkommen.“ Verbrecher würden bevorzugt, „wenn es jedoch an solchen fehlt, opfern sie sogar Unschuldige.“

Die Druiden hatten ein Faible für Schädel

Handelt es sich hier um Tatsachen oder Gräuelpropaganda? Wir wissen es nicht, aber archäologische Funde belegen nicht nur in Ribemont-sur-Ancre einen eigenartigen Todeskult. Der zeigte sich schon in einem Faible für menschliche Schädel, die überall anzutreffen waren: Sie prangten an Dorfeingängen, lagerten als Trophäen in Häusern und dienten als Trinkgefäße. Gleichzeitig waren die Druiden beeindruckende Naturkundler und Philosophen: „Sie stellen viele Erörterungen an über die Sterne und ihre Bahnen, über die Größe der Welt und unserer Erde, über die Natur der Dinge, über die Macht und Majestät der unsterblichen Götter, und sie vermitteln dies alles der Jugend“, schreibt Cäsar.

Bis zu 20 Jahre dauerte die Ausbildung der Druiden. „Wie es heißt, lernen sie eine große Zahl an Versen auswendig“, so Cäsar. „Sie halten es für einen Frevel, diese niederzuschreiben, obwohl sie in fast allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten die griechische Schrift benutzen.“ Wegen dieses religiösen Schreibtabus wissen wir heute fast nichts mehr über die Druidenlehre, obwohl diese ein großes, Stämme übergreifendes Glaubenssystem formte. Es gab einen obersten Priester, ein jährliches Druidentreffen im Zentrum Galliens und sogar einen Studientourismus: „Diejenigen, die tiefer in ihre Lehre eindringen wollen, gehen gewöhnlich nach Britannien“, erzählt Cäsar. Dort sei der Ursprungsort des Druidensystems.

Kredite durften die Kelten auch im Jenseits zurückzahlen

Als heilig galten Misteln und Eichen, berichtet Plinius der Ältere. „Schon deswegen wählen sie Eichenhaine und vollziehen kein Opfer ohne Eichenlaub“, teilt der römische Naturforscher mit. „Sie meinen wahrhaftig, dass alles, was auf jenen Bäumen wächst, vom Himmel gesandt sei.“ Stellte der Himmel auch eine Gefahr dar? Als 335 v. Chr. keltische Gesandte Alexander den Großen trafen, fragte dieser, wovor sie sich am meisten fürchteten. Die Antwort der Kelten: „Vor nichts, außer dass uns der Himmel auf den Kopf fällt“ – was in den Asterix-Comics Nachhall fand. Vielleicht handelte es sich hier nur um Prahlerei.

„Der Kern ihrer Lehre ist, dass die Seele nicht stirbt, sondern nach dem Tod von einem Körper in den anderen wandert“, berichtet Cäsar in Übereinstimmung mit anderen Autoren. Antiken Quellen zufolge war der Glaube an die Reinkarnation so stark, dass es den Kelten erlaubt war, Kredite erst im nächsten Leben zurückzuzahlen. Die Zeitgenossen bemerkten verblüffende Parallelen zu den Lehren des griechischen Philosophen Pythagoras, dessen Anhänger ebenfalls an die Wiedergeburt glaubten. „Die Griechen diskutierten, ob die Druiden Pythagoras beeinflussten – dabei war es eher umgekehrt“, sagt Sabine Rieckhoff, emeritierte Professorin für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Leipzig.

Ob in Britannien echte Kelten siedelten, ist umstritten

Einen Stämme übergreifenden Staat indes brachten die Kelten nie hervor. Sie blieben politisch zersplittert, auch im 4. Jahrhundert v. Chr., als sie eine ungeheure Ausdehnung erreichten: Das keltisch dominierte – oder zumindest beeinflusste – Gebiet erstreckte sich vom heutigen Portugal bis in die Zentraltürkei, von Italien bis Schottland. Allerdings streiten die Forscher, ob in Britannien und Irland echte Kelten siedelten oder ob die ansässige Bevölkerung nur deren Kultur übernahm. Trotz der Zersplitterung schritt die keltische Zivilisation erstaunlich voran: Die Stammesgesellschaften errichteten Städte, produzierten in Manufakturen Geschmeide und Werkzeuge, gewannen Salz mithilfe großer Salinen, organisierten Bergbau und prägten Münzen.

So schufen sie eine zwar weitgehend schriftlose, aber technisch fortentwickelte Geldwirtschaft. Ausgerechnet diese Errungenschaften der Kelten, ihre Straßen, Städte und Reichtum, ebneten den Weg für den zerstörerischen Einfall Cäsars und seiner Legionen. In den Jahren 58 bis 51 v. Chr. eroberte der Römer Gallien, den Hauptsitz der Kelten, und versetzte so der großen Kultur den Todesstoß. Das umfangreiche, nur mündlich überlieferte Wissen der Druiden ging mit der Zeit ebenso verloren wie die keltische Sprache. Diese überlebte nur in Randgebieten: im nordwestlichen Zipfel Frankreichs als Bretonisch, in Irland als Gälisch sowie in Teilen Britanniens als Schottisch-Gälisch und Walisisch.

Christian Pantle

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 2/2018 „Die Mythen des Nordens“

Zuletzt geändert: 21.6.2018