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Geschichtsschreibung durch Kriminalistik

Maarten Larmuseau im Interview

Forscher liefern 82 Jahre nach dem Tod von König Albert I. neue Details zu dem Fall. Doch was hat Kaspar Hauser damit zu tun? Und welche weiteren Möglichkeiten schafft die moderne Technik? Der forensische Genetiker Maarten Larmuseau im Interview mit G/GESCHICHTE.

Die Blätter wurden 1934 in Marches-les-Dammes, wo der leblose Körper König Albert I. entdeckt wurde, gesammelt. | © M. Larmuseau, KU Leuven

Am 17. Februar 1934 wurde der Leichnam des belgischen Königs Albert I. in den Bergen bei Marches-les-Dammes entdeckt. Der passionierte Bergsteiger war für seine Klettertouren bekannt. Dennoch wurden die Todesumstände des Regenten immer wieder angezweifelt.

Blätter, die kurz nach der Entdeckung in der Nähe des leblosen Körpers gesammelt wurden, liefern jetzt – 82 Jahre später – Informationen. Der Journalist Reinout Goddyn hatte zwei Setzkästen mit den Blättern ersteigert. Auf ihnen: Blutspuren. Der forensische Genetiker Maarten Larmuseau von der Universität Leuven analysierte die Proben. G/GESCHICHTE sprach mit dem Wissenschaftler über den Fall.

G/GESCHICHTE: Herr Larmuseau, Sie haben das Blut auf den Blättern untersucht – mit welchem Ergebnis?
MAARTEN LARMUSEAU: Wir haben herausgefunden, dass die DNS des Blutes auf den Blättern von König Albert I. stammt. Das ist im Zusammenhang mit seinen Todesumständen wichtig, da immer noch Zweifel bestehen, was wirklich geschehen ist: Wurde er ermordet oder war es nur ein Unfall?

Es gibt da sehr viele Verschwörungstheorien. Dies war also eine der letzten Möglichkeiten, Antworten auf die Fragen zu geben, was an seinem Todestag geschehen ist.

Was ist also geschehen? War es ein Kletterunfall oder doch Mord?
Viele der Verschwörungstheorien besagen, dass Albert I. an einem anderen Ort umgebracht wurde und dass sein Körper überhaupt nicht in dem Bergen von Marche-les-Dames entdeckt wurde, sondern alles nur eine Vertuschungsaktion war und der König in Brüssel starb.

Von daher ist es eine wichtige Erkenntnis, dass das Blut, das in Marche-les-Dames gefunden wurde, mit der DNS des Königs übereinstimmt. Nur anhand dieser Blutproben können wir allerdings nichts über seine Todesursache sagen.

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Die verwendeten Blutproben sind 82 Jahre alt. Gibt es einen Punkt, an dem genetisches Material zu alt ist, um Informationen daraus zu ziehen?
Das hängt von den Umständen ab: Ist das Material zum Beispiel großer Hitze oder zu hoher Feuchtigkeit ausgesetzt, zersetzt sich die DNS sehr schnell. Aber unter den richtigen Umständen lässt sich das Erbgut sehr lange nutzen.

Natürlich muss man Glück haben, gut erhaltenes Material zu finden. Wenn Sie sich beispielsweise die Höhlen im Neandertal ansehen, konnte dort Erbgut über 40 000 Jahre erhalten bleiben. Natürlich in einer sehr schlechten Qualität – es gibt einen riesigen Unterschied zu der DNS einer lebenden Person. Aber die Gene von Knochen in Afrika beispielsweise können nicht ausgewertet werden. Das ist sehr kompliziert und derzeit noch nicht möglich.

Konnten schon andere Fälle der Geschichte durch forensische Genetik gelöst werden?
Wir haben bereits vor einigen Jahren eine Studie zum französischen Königshaus der Bourbonen geführt und dabei herausgefunden, dass einige Reliquien, die König Heinrich dem Vierten zugeschrieben werden, Fälschungen sind.

Und auch im Fall König Albert I. konnten wir Daten aus einer älteren Untersuchung nutzen: Es gibt eine Verbindung nach Deutschland zu Kaspar Hauser. Ich hatte einige Artikel gelesen, die die Frage stellten, ob er wirklich der Sohn der Großherzogin von Baden Stéphanie de Beauharnais ist.

In den 1990er-Jahren wurde Hausers Genmaterial mit dem einiger genetisch identifizierten Verwandten von de Beauharnais verglichen. Damals stellte sich heraus, das keine Verwandtschaft nachweisbar ist. Allerdings ist Albert I. mütterlicherseits mit Stéphanie de Beauharnais verwandt: Sie ist eine seiner Urgroßmütter.

Also konnten wir die DNS-Daten aus dem Fall Kaspar Hauser hier wieder nutzen. Das war der erste Schritt, die Probe König Alberts I. zu identifizieren. Auf diesem Ergebnis beruhend, wussten wir, dass es sehr wahrscheinlich sein Blut auf den Blättern war.

Ein zweiter Vergleich mit einer lebenden Verwandten – der deutschen Adeligen Anna Maria Freifrau von Haxthausen – bestärkte diese Vermutung. Um allerdings auch die väterliche Herkunft zu bestimmen, baten wir den ehemaligen Ministerpräsidenten von Bulgarien Simeon von Sachsen-Coburg und Gotha, uns eine DNS-Probe zur Verfügung zu stellen. So kamen wir zu der Erkenntnis, dass es wirklich Blut von Albert I. war.

Hat es eine besondere Bedeutung für Sie, in diesem Fall mit so berühmten historischen Persönlichkeiten zu forschen?
Für mich persönlich? Das ist in der Wissenschaft nicht wichtig, es geht darum, die Wahrheit zu finden.

Es war aber auch sehr wichtig, die Privatsphäre zu wahren. Verständlicherweise geht es hier um eine Familie, in der die komplette Existenz auf einer biologischen Verwandtschaft basiert: Die Nachkommen genießen ein so hohes Ansehen, weil sie vom belgischen König abstammen.

In diesem Fall hätten wir das Privatleben der königlichen Familie wirklich beeinflussen können: In Belgien gibt es sehr viele Gerüchte über uneheliche Kinder. Die DNS aus der Blutuntersuchung könnte auch in solchen Fällen eingesetzt werden. Wir müssen also auch immer darüber nachdenken, was wir öffentlich machen können.

Dabei ist es aber eigentlich egal, ob es sich um einen König oder einen Menschen von der Straße handelt. Der ethnische Aspekt ist mir hier sehr wichtig, weil jeder über sein genetisches Erbe nachdenken sollte: Die DNS ist ein lebendes Archiv, das viel darüber aussagt, wer ich als Person bin – aber auch über meine Familienmitglieder. Wir haben alle eine Art Verantwortung, wie wir mit unserem Erbgut und dem unserer Verwandten umgehen, um unsere Privatsphäre zu wahren.

maarten_larmuseauDer forensische Genetiker
Dr. Maarten Larmuseau arbeitet
als „Senior postdoctoral researcher“
an der Universität von Leuven
in Belgien.

Interview: Katharina Behmer
Sämtliche Fotos: | © M. Larmuseau, KU Leuven

 

Zuletzt geändert: 06.09.2016

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