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Renaissance in der Ewigen Stadt

Rom der Päpste

Die Heiligen Väter lenken Roms Geschicke in der Renaissance, einer Epoche zwischen Glanz, Zerfall und Vetternwirtschaft. Rom und die Kurie verändern sich.

 

Sixtinische Kapelle

Michelangelos Kunstwerke in der Sixtinischen Kapelle entstanden im Auftrag des Papstes. | © istockphoto.com/Tony Baggett

 

„Ubi Papa, ibi Roma!“ Endlich stimmt das alte römische Sprichwort wieder: Wo der Papst ist, da ist Rom! Ausschließlich. Denn die Ära der Gegenpäpste und Exile ist vorbei. Seit der jüngsten Papstwahl sind die Verhältnisse für die Christenheit wieder klar: Der Heilige Stuhl steht nur am Tiber, im Zentrum des Glaubens und des Kirchenstaats, welcher im Jahre des Herrn 1447 zuerst die Rückkehr der alten Zeiten feiert – und dann mit dem neuen Papst in eine neue Epoche aufbricht.

Konkret ist es ein neuer Zeitgeist, der 1447 mit Tommaso Parentucelli, dem neuen Papst Nikolaus V., in die Ewige Stadt einzieht. Der Zeitgeist stammt aus höchsten oberitalienischen Kreisen und weht im Rom des 15. und 16. Jahrhunderts durch Paläste, Studierstuben und Ateliers. Er schafft Kunst, in deren Angesicht auch die einfachen Leute an dem elitären Aufbruch teilhaben, der sie sonst kaum betrifft. Und er schafft ein neues Verständnis von Wissenschaft und Kultur, das ganz Europa bald in die Moderne tragen wird. Der Zeitgeist heißt Rinascimento, Wiedergeburt, Renaissance.

Der erste Humanist auf dem Papstthron

Die Bedingungen für ihren Einzug sind in Rom nach der Papstwahl vom 6. März 1447 günstig. Der 50-jährige Nikolaus V. hat das Bedürfnis und die Zeit, sich um die Verbreitung des neuen Geistes zu kümmern. Zeit, weil die Position des Papstes erstmals seit Langem wieder relativ stabil ist. Als erster Nachfolger Petri residiert Nikolaus nach dem Exil von Avignon (1309 – 1377) und dem großen Abendländischen Schisma (1378 – 1417), nach dem Exil von Florenz (1434 – 1443), nach Krisen und Konzilien wieder weitgehend unangefochten in Rom.

Als erster Humanist auf dem Papstthron hat der Arztsohn das Bedürfnis nach einer Zeitenwende. Er setzt sich für die Rückbesinnung auf antike Gelehrsamkeit, Kunst und Kultur ein. Der Mensch, Mittelpunkt dieser Wiedergeburt, soll nicht länger in der mittelalterlichen Vorstellung vom irdischen Jammertal verharren, sondern das Diesseits nach antikem Vorbild genießen und gestalten. Vernunft und Sinne gebrauchen, die Natur, sich selbst und seine Geschichte wahrnehmen. Da dieses Konzept aus heidnischer Zeit nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der christlichen Weltordnung gedacht ist (zur Erbauung der Gläubigen und zu Ehren des Höchsten), können auch Nikolaus’ Nachfolger wie Pius II., Sixtus IV. oder Julius II. darauf setzen. Dass die sogenannten Renaissance-Päpste dabei mit der Wahl ihrer Mittel über das Ziel hinausschießen und am Ende für Kritik,  Zerfall und den Verlust ihrer Vorherrschaft über den Glauben sorgen, ist anfangs nicht absehbar.

Schützenhilfe vom Antichristen

Denn unter dem ersten Papst der Reihe läuft die Neuzeit erfolgreich an. Nikolaus setzt Akzente, indem er Gelehrte und Künstler in die Stadt ruft. Unerwartete Schützenhilfe erhält er vom Antichristen: Die Apokalypse in Gestalt der islamischen Eroberung Konstantinopels 1453 zahlt sich für den schockierten Papst und sein Projekt letztlich aus. Viele byzantinische Gelehrte fliehen nämlich vor der Türkenherrschaft nach Rom und bringen Reichtümer an antikem Wissen mit, das im »östlichen Rom« konserviert worden ist. Zu dem Schub für die neue Elitenkultur durch anreisende Denker und Künstler kommt ein Aufschwung im Gastgewerbe, weil Pilger und Touristen wieder verstärkt in die Ewige Stadt finden, seit Nikolaus Straßen, Brücken und Kirchen saniert.

So profitiert die ganze Stadt von der Wiedergeburt, während sich der Vatikan als päpstlicher Hof (corte di Roma) zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit entwickelt. Eine Generalüberholung hat Rom an der Schwelle zur Neuzeit auch dringend nötig. Der antike Glanz der Stadt ist mit dem Imperium Romanum untergegangen, Bausubstanz und Bedeutung sind zerfallen. Die Renaissance-Päpste polieren die Stadt der sieben Hügel auf – und mit ihr die eigene Fassade. Gegen die Kratzer, die die päpstliche Autorität seit Avignon davongetragen hat, setzen die Stellvertreter Christi in der Welt der Wiedergeburt neue Möglichkeiten der Machtdemonstration. Die obersten Hirten und Herrscher werden zu Bauherren und Mäzenen und geben neue Architektur, Malerei und Bildhauerei in Auftrag. Von antiker Schönheit inspiriert, sollen die neuen Werke für neuen Glanz sorgen – vor allem in den Augen der Gläubigen. Damit diese, während sie einen echten Michelangelo bestaunen, nicht länger am Auftraggeber zweifeln. Päpstliche Propaganda durch Zeitgeist – eine geschickte Taktik, die Nikolaus V. auf dem Totenbett ausgegeben hat.

Seelenfang durch Bauten und Bilder

Die Nachfolger des Pioniers beherzigen dessen letzte Forderung nach einem glanzvollen »Neuen Jerusalem«, das die immerwährende Macht der Kurie symbolisiert, und fördern Bauten, »die in ihrer Erhabenheit ewig, wie von Gott errichtet erscheinen« und dadurch »die rechte Bereitschaft zur Unterwerfung unter das Haupt der Kirche« erzeugen sollen. Doch der Seelenfang durch Bauten und Bilder kann das Renaissance-Papsttum am Ende nicht vor dem Zerfall retten. Weil der Zeitgeist den Päpsten langsam entgleitet und ausufert, rufen kritische Gläubige schließlich zum Sturm auf den Hort der päpstlichen Verweltlichung und leiten die Reformation ein. Doch bis es ernst wird, gilt im Vatikan die Devise im Sinne der Renaissance, die Leo X. später auf den Punkt bringt: »Gott hat uns das Papsttum gegeben, so lasst es uns genießen!«

Neben der baulichen schreitet die geistige Erweckung der Stadt und der Kurie besonders ab 1458 voran, als mit dem Poeten und Lebemann Enea Silvio Piccolomini ein Idealtyp der Renaissance an die Spitze Roms tritt. Der uomo universale in päpstlichem Gewand besteigt mit 53 Jahren als Pius II. den Stuhl Petri. Schon vor seiner kirchlichen Karriere steht der schöngeistige Jurist in Diensten der Wiedergeburt. Er genießt das Leben, schreibt Liebesnovellen oder theologisch-politische Traktate, jenseits von mittelalterlicher Scholastik. Der Dozent der Universität Wien ist auch Innovationen zugetan. Als er den Gutenbergschen Probebogen einer Bibel sieht, lobt er die kürzlich erfundene Drucktechnik mit beweglichen Lettern für ihre »höchst saubere und korrekte Schrift«. Erneuerungsbedarf sieht der Diplomat zunächst auch in der Kurie. Als Konziliarist unterstützt er Reformbestrebungen gegen die päpstliche Autorität. Doch als er selbst unerwartet auf den Stuhl Petri gewählt wird, vollzieht er eine Kehrtwende. Fortan verfasst er Schriften gegen die Kirchenversammlungen. Humanist und Mäzen bleibt er dagegen.

Unter Sixtus IV. ufert die Vetternwirtschaft aus

1459 lässt er sein Geburtsdorf Corsignano bei Siena zur idealen Renaissance-Stadt mit Dom, Familienpalast und Piazza umbauen. Er nennt sie Pienza – die Stadt des Pius. Eigendarstellung und Zeitgeist verbindet der Piccolomini-Papst auch, als er im selben Jahr die Universität Basel stiftet. In Rom fördert er neben Gelehrten und Künstlern auch Verwandte – eine Praxis, die dem Glanz der päpstlichen Ära später erheblich schadet, weil sie ausufert. Denn mit Sixtus IV., vormals Francesco della Rovere, wird die Kurie zu einem Zentrum der Vetternwirtschaft. Er erhebt sechs Verwandte in den Kardinalsrang und stattet sie mit reichen Pfründen im römischen Umland aus, um die politisch immer noch bedrohte weltliche Papstmacht durch Familienbande zu stärken. Seine Politik führt Rom in zahlreiche Kriege – Seine Heiligkeit soll 1478 sogar in das Attentat auf die Florentiner Medici verwickelt sein. Im Jahr vor seinem Tod weiht Sixtus die nach ihm benannte Sixtinische Kapelle im Vatikan ein, die später zu Weltruhm gelangt. Doch trotz seines Engagements (er gründet 1475 auch die Vatikanische Bibliothek) fällt seine Bilanz laut einem Chronisten düster aus: Dieser wollüstige, geizige und prunksüchtige Papst habe »aus Geldgier Ämter verkauft, mit Korn gewuchert, zahllose Menschen durch seine Kriege umgebracht«.

Schluss mit Fleischeslust, Korruption und Nepotismus, die unter Alexander VI. auf einen Höhepunkt steuern, macht schließlich der ehrgeizige Papst Julius II. Doch der Neffe Sixtus’ beseitigt zwischen 1503 und 1513 nicht alle kurialen Verfehlungen – im Gegenteil. Zwar hat Giuliano della Rovere keine Mätressen und fördert keine Verwandten, doch der Franziskaner und Vater dreier Töchter trägt das kriegerische Gen seiner Familie mit voller Wucht in die Kurie. Luther nennt ihn später den »Blutsäufer«. Julius II. wird nicht als Pionier wie Nikolaus V. oder als Denker wie Pius II., sondern als Heerführer berühmt – eine Position, die nicht wenige als unvereinbar mit dem heiligen Amt des Papstes bewerten. Doch Julius träumt von einem italienischen Staat unter päpstlicher Führung und stürzt sich in den Krieg als Mittel der päpstlichen Politik.

Julius II. geht als Kriegspapst in die Geschichte ein

Sein Traum erfüllt sich nicht. Aber es gelingt ihm durch wechselnde Bündnisse, den Kirchenstaat zu konsolidieren, der zuletzt zunehmend in die Mühlen des umkämpften territorialen Flickenteppichs Italien geraten ist, nach dem auch das Ausland greift. Der Herr über Seelenheil und Soldaten (nicht zufällig erinnert sein Name an Julius Cäsar) erobert die Romagna zurück und sichert neue Gebiete zur Versorgung und Festigung des Patrimonium Petri. Ihren weltlich-territorialen Anspruch begründet die Kurie seit jeher mit der Konstantinischen Schenkung aus dem 4. Jahrhundert. Dass die Urkunde 1440 von dem päpstlich protegierten Gelehrten Lorenzo Valla als Fälschung entlarvt wird, ignorieren die Renaissance-Päpste geflissentlich.

Auf eine Leibwache angewiesen, formt der kriegerische Julius II. 1506 aus eidgenössischen Söldnern die Schweizergarde. Gleichzeitig kümmert er sich um künstlerischen Nachruhm und schreitet am 18. April zur feierlichen Grundsteinlegung der neuen Peterskirche im Vatikan. In seinem Auftrag entsteht hier große Renaissance-Kunst. Während am Petersdom zu Ehren Christi und seiner Stellvertreter keine Kosten und Mühen gescheut werden, prangern Kritiker unziemliche Prasserei und Prunksucht an – vergebens. Julius finanziert sein propagandistisches Prestigeprojekt durch den Verkauf von Kirchengebäuden und den umstrittenen Ablasshandel, den er nach einem Verbot von 1450 wieder einführt.

Der Glanz kann den Zerfall nicht verhindern

Jahrhundertkunst in päpstlichem Auftrag schafft auch Michelangelo Buonarroti, als er die Decke der Kapelle von Julius’ Onkel ausmalt. Zwischen 1508 und 1512 entstehen in der Sixtina die Fresken des Meisters, die auf 512 Quadratmetern Szenen aus der Genesis zum Leben erwecken. Zeitgleich sorgt Julius für Renaissance-Kunst in den eigenen vier Wänden. In vier Stanzen (Zimmern) seines Palastes entstehen ab 1508 die Fresken Raffaels. Als Sinnbilder der Renaissance prangen neben biblischen Motiven auch Huldigungen an antike Kultur und Philosophie. In seinem programmatischen Gemälde „Die Schule von Athen“ (1510/11) setzt der Künstler auf sieben Metern ein Denkmal für Platon und Aristoteles.

Doch aller Glanz des neuen Roms, das jetzt etwa 40 000 Einwohner hat, kann den Zerfall nicht verhindern. Denn nicht nur die päpstliche Förderung der Künste, sondern auch die Kritik am päpstlichen Missbrauch von Amt und Zeitgeist erreicht ihren Höhepunkt. Die deutsche – und bald darauf die englische – Abspaltung aufzuhalten, gelingt weder dem ausschweifenden Medici-Papst Leo X. (1513 – 1521) noch dem deutschsprachigen Hadrian VI. (1522 – 1523) oder dem schwachen Medici-Papst Clemens VII. (1523 – 1534). Während die päpstliche Hoheit bröckelt, fällt auch die Stadt Rom einer großen Zerstörung zum Opfer … Danach verändern sich Rom und die Kurie, aber beide überleben. Und mit ihnen das Erbe der Renaissance-Päpste in Bauten und Bildern.

 

Frauke Scholl

 

 

Zuletzt geändert: 02.06.2015