« zurück
Der Fall des Limes

Roms Untergang

Zwei Jahrhunderte lang schützte der Limes die Bewohner des Römischen Reiches vor germanischen Kriegern. Doch dann schwächten politische und wirtschaftliche Krisen das Imperium: Die Stunde der „Barbaren“ war gekommen.

Drusus und germanisches Seher

Der Feldherr Nero Claudius Drusus führt die römische Armee gegen rechtsrheinische Germanenstämme und trifft dabei auf einen germanischen Seher. Gemäde des Rotterdamer Malers Charles Rochussen von 1890 | © Rijksmuseum Amsterdam

Die Mörder kamen mit Einbruch der Nacht. Die Frau hantierte wahrscheinlich an der Getreidemühle, ihr Mann war in einem Wirtschaftsgebäude der Villa Rustica zugange. Seit Jahren lebten sie auf dem Gutshof nahe der Castra Regina (heute Regensburg). Die Krieger der Germanen überfielen sie, ohne dass jemand ihr Kommen bemerkt hätte.

Archäologen fanden in einem alten Brunnen Anhaltspunkte von dem, was dann geschah. Ein menschlicher Schädel zeigte Spuren von Schwerthieben, in einem anderen steckte noch eine Lanzenspitze. Im Historischen Museum in Regensburg ist einer der Schädel ausgestellt: Schnittstellen über dem rechten Auge weisen auf eine Skalpierung hin – ein durchaus übliches Kriegsritual bei den Germanen. Der Schädel war vom Körper abgetrennt.

Die politische Elite war mit Machtkämpfen beschäftigt

Brutale Überfälle gab es in der Mitte des 3. Jahrhunderts in der Region Regensburg öfter. Zu diesem Zeitpunkt waren die römischen Grenztruppen bei Regensburg von 6000 Mann auf rund 1000 Mann zusammengeschrumpft. Das reichte nicht zur Kontrolle dieses Abschnittes des Limes und zum Schutz der Siedler.

Rom war weit weg, und die politische Elite dort mit Machtkämpfen beschäftigt: Sie kümmerte sich nicht mehr um die Grenzgebiete und den zunehmenden militärischen Druck zum Beispiel durch die Markomannen und Alemannen. Unter Kaiser Gallienus (253 – 268 n. Chr.) ging ein großer Teil der Provinz Rätien mit der Hauptstadt Augsburg (Augusta Vindelicorum) verloren. Der Limes wurde durchlässig, um das Jahr 260 gingen etliche Kastelle in Flammen auf.

Dienst für Rom zahlte sich nicht mehr aus

Der sogenannte „Limesfall“ ging nicht auf ein einzelnes Ereignis zurück, er war ein schrittweiser Rückzug. Die antiken Schriftsteller hatten die Erfolge der römischen Feldherren und ihren Ruhm festgehalten, Beschreibungen der Niederlagen gab es dagegen kaum. Es fehlte an Soldaten und Verwaltungspersonal: Der Dienst für das Imperium zahlte sich nicht mehr aus. Eine hohe Inflationsrate fraß den mageren Sold schnell auf. Münzen wurden in Rom wie am Fließband geprägt, der Silbergehalt wurde ständig reduziert.

Die schwindende Kaufkraft des Geldes war eine der entscheidenden Ursachen für den Untergang des ganzen Imperiums. Forscher sprechen von einer allgemeinen wirtschaftlichen Erstarrung. Kaiser Diokletian stellte im Jahr 301 fest: Bisweilen müsse der Soldat seinen ganzen Sold für einen einzigen Einkauf verwenden, sodass die Erträge der ganzen Welt für den Unterhalt der Armeen nur elenden Beutegeiern zufallen. Das war nicht gerade motivierend und senkte die Einsatzbereitschaft der Truppen – insbesondere in den bedrängten Provinzen, sofern das Geld sie überhaupt noch erreichte.

Viele Siedler gaben freiwillig auf

Die Hilfstruppen waren die ersten, die aus römischen Diensten ausschieden. Viele dieser Soldaten waren selbst Germanen. Ein spürbarer Bevölkerungsrückgang setzte in den beherrschten Gebieten ein. Weniger Soldaten bedeuteten weniger Absatz für die Gutshöfe. Jene Siedler, die nicht mordenden und plündernden feindlichen Horden zum Opfer fielen, gaben freiwillig auf. So gab es in Rätien gegen Ende des 3. Jahrhunderts kaum eine intakte Villa Rustica mehr. Die Siedlungen verfielen und die germanischen Krieger stießen kaum mehr auf Widerstand. Oft flüchteten die verbliebenen Römer Hals über Kopf. Germanische Neusiedler rückten nach.

Köln und Bonn hielten noch eine Weile stand

Länger dauerte der Rückzug der Römer am Rhein. Um das Jahr 276 begannen hier schwere Einfälle der Franken, aber sie blieben zunächst ohne nachhaltigen Erfolg. Im 4. Jahrhundert erlebte die Grenzstadt Köln eine Spätblüte. Links des Flusses wurden die Gutshöfe ausgebaut. Standhaft hielt sich auch noch das Legionslager Castra Bonnensia, das heutige Bonn. Noch im Jahr 370 wurde zur Verstärkung des Rheinlimes das Castrum Alteium (Alzey) errichtet. Etwas mehr als zehn Jahre später wurde es allerdings schon wieder geräumt.

Im Jahr 395 verstarb Theodosius der Große, der letzte Kaiser, der über das gesamte Römische Reich herrschte. Sein Sohn Honorius, nun Kaiser über den westlichen Reichsteil, hatte nicht mehr die Kraft, dem Druck der „Barbaren“ Widerstand entgegenzusetzen. Um das Jahr 400 verlegte der Kaiser die Gallische Präfektur, eine der obersten Behörden im Westen, von Trier nach Arles. Schrittweise wurden auch die Legionäre vom Rhein abgezogen. Nun waren die Grenzen offen.

Die verbliebenen Truppen konnten die Germanen nicht aufhalten

In der Silvesternacht 406/407 gelang es gleich mehreren Kriegerverbänden – Vandalen, Sueben und Alanen – bei Mainz den Rhein zu überqueren. Manche Forscher meinen, dass sie nur über den zugefrorenen Fluss zu laufen hatten, doch es ist auch möglich, dass es ihnen gelang, die noch intakte Rheinbrücke von Mainz zu erobern.

Die wenigen verbliebenen Truppen unter römischem Kommando konnten die Eindringlinge nicht aufhalten. Mainz wurde noch in der Neujahrsnacht Beute der Vandalen. Das germanische Zeitalter am Rhein hatte begonnen. Ein römischer Chronist schrieb in diesen Tagen: „Seitdem das Bild des rauchenden Vaterlandes uns vor die Seele getreten ist, und uns vor Augen steht, was überall vernichtet wird, brechen wir zusammen und bedecken wir unser Antlitz mit zahllosen Tränen.“

Wolfgang Mayer

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 10/2014 „Die Römer in Germanien“

Zuletzt geändert: 14.06.2017