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Etrusker-Ausstellung in Schaffhausen

Werner Rutishauser im Interview

Das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen in der Schweiz zeigt ab dem 23. September die Ausstellung „Etrusker. Antike Hochkultur im Schatten Roms“. Der Archäologe Werner Rutishauser erläutert Highlights und Schwerpunkte.

Werner Rutishauser ist seit 2000 im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen tätig, zunächst als Collection Manager, ab 2002 als Kurator der Sammlung Ebnöther. Er hat Kunstgeschichte, Klassische Archäologie sowie Kirchengeschichte an der Universität Zürich studiert. | © privat

Herr Rutishauser, Sie präsentieren rund 250 Objekte in Ihrer Ausstellung „Etrusker. Antike Hochkultur im Schatten Roms“. Was sind für Sie die Highlights?

Werner Rutishauser: Unter den rund 250 Exponaten befinden sich hochkarätige Preziosen wie auch eher unscheinbare Alltagsutensilien. Grundsätzlich betrachte ich alle Objekte als gleich wertvoll, denn jedes einzelne davon vermag interessante Einblicke in die Welt der Etrusker zu geben, also Geschichte oder Geschichten zu erzählen. So zeugt beispielsweise eine ausgestellte schlichte Bronzereibe von einer Gepflogenheit der etruskischen Elite beim Weingenuss: Mit solchen Geräten wurden Käse oder Gewürze gerieben um sie in den dionysischen Trank zu mischen. Wenn ich aber dennoch drei Highlights auswählen soll, dann steht an erster Stelle eine goldene Preziose, die erst auf den zweiten Blick ihre höchst raffinierte Herstellung offenbart. Es handelt sich um eine Sanguisugafibel, deren Bügel und Nadelhalter mit Staubgranulat geschmückt sind. Es sind dies winzig kleine Goldkügelchen – von bloßem Auge nicht als solche erkennbar –, die in einem äußerst komplexen Verfahren auf die Gewandschließe appliziert worden sind und einen ornamentalen Dekor bilden. Es ist eine spektakuläre Arbeit, die wohlgemerkt ohne optische Hilfsmittel erschaffen wurde und von den überragenden Fertigkeiten der etruskischen Goldschmiede zeugt.

Zu den Meisterwerken der etruskischen Bronzekunst gehört zweifellos der aus acht Einzelteilen zusammengesetzte Kandelaber. Jedes einzelne Element dieses Kerzenhalters ist an sich schon bewundernswert. Die Krönung des Stücks bildet jedoch im wahrsten Wortsinn sein Aufsatz in Gestalt eines Pferdebändigers. Der dynamische junge Mann stellt vermutlich einen der beiden Dioskuren dar, Kastor oder Polydeukes. Aus der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen stammt der bronzene Griff eines kostbaren Behälters für Toilettenzubehör. Er ist in Form einer nackten Frau und eines Satyrs gegossen. Sie trägt eine Strigilis und ein Ölfläschchen in ihrer Linken und ist somit als Athletin gekennzeichnet. Zusammen mit einem echten Schaber und einem Duftölbehälter ausgestellt, illustriert der Griff in exemplarischer Weise die moralisierende Aussage eines griechischen Autors zur sozialen Stellung der etruskischen Frau. Theopompos von Chios warf nämlich den Etruskerinnen unter anderem vor, dass sie ihren Körper zu sehr pflegen und gemeinsam mit den Männern Sport treiben. Zudem sei es für sie nicht anstößig – ganz im Gegensatz zu den Sitten des damaligen Griechenlands – sich nackt zu zeigen.

Religion und Gelage sind Schwerpunkte der Ausstellung

Wo liegen die thematischen Schwerpunkte der Ausstellung?

Werner Rutishauser: Unser Ziel ist, die etruskische Kultur möglichst umfassend zu präsentieren. Dies gelingt dank einer fantastischen hauseigenen Sammlung – der Sammlung Ebnöther –, die je nach Themenbereich punktuell durch Leihgaben aus in- und ausländischen Museen ergänzt wird. Dieser Ausgangspunkt bringt natürlich mit sich, dass einige der Themen stärker, andere etwas weniger tief ausgelotet werden können. Wesentliche Schwerpunkte der Schau bilden die Themen Religion sowie Gelage. Letzteres war eine wichtige Sitte bei der etruskischen Oberschicht, die sie aus dem östlichen Mittelmeergebiet übernommen und an die eigenen Bedürfnisse adaptiert hat. So durften beim etruskischen Bankett auch die Damen teilnehmen, was etwa bei den Griechen undenkbar gewesen wäre. Deshalb wird bei diesem Thema auch ein Fokus auf die kontrovers diskutierte soziale Rolle der Etruskerin gerichtet sein. Ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung bildet das etruskische Kunsthandwerk, unterteilt in die Bereiche Keramik und Metallurgie, letztere mit herausragenden Bronze- und Goldschmiedearbeiten.

Die Etrusker aus dem Schatten Roms hervorholen

Welches Bild von den Etruskern möchten Sie den Besuchern vermitteln?

Werner Rutishauser: Unser Grundanliegen ist, die hierzulande viel zu wenig bekannte erste Hochkultur Italiens – sie steht im öffentlichen Bewusstsein weit hinter den Römern zurück – gleichsam aus dem Schatten Roms hervorzuholen und wieder ins Licht zu rücken. Der vielleicht erstaunlichste Aspekt der Etrusker, die Weltoffenheit des Volkes, soll eine zentrale Position des zu vermittelnden Bildes einnehmen. Die Etrusker haben Technologien, Formen, Figuren, Sitten oder religiöse Elemente von ihren Nachbarn wie auch aus weit entfernten Regionen übernommen und sich zu eigen gemacht. Besonders in den küstennahen etruskischen Städten haben sich seit dem späteren 8. Jahrhundert v. Chr. spezialisierte Fachkräfte aus Griechenland und dem Alten Orient niedergelassen. Zuwanderer wie auch Etrusker haben davon profitiert – ein Thema, das gerade heute von besonderer Aktualität ist.

Viele ihrer Ausstellungstücke stammen aus Gräbern. Warum legten die Etrusker eigentlich so viel Wert auf eine reiche Bestattung?

Werner Rutishauser: Die meisten wichtigen etruskischen Städte können archäologisch kaum oder nur punktuell erforscht werden, da sie fast alle mittelalterlich überbaut sind. Daher stammt der Löwenanteil an überlieferten Fundstücken aus den etruskischen Nekropolen, die an den Ausfallstraßen lagen und bis heute für Forscher und leider auch Grabräuber einfacher zugänglich sind. Schlichtere und reichere Bestattungen existierten jederzeit nebeneinander, wobei Anzahl und Wert der Beigaben jeweils abhängig von der Finanzkraft des Verstorbenen sowie dessen Familie waren. Die aristokratische Oberschicht pflegte speziell in der Blütezeit der Etrusker vom 7. bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. eine äußerst opulente Grabbeigabenkultur. Es war dies Ausdruck von Prestige, Adelsidentität sowie Darstellung der Bedeutung und des Reichtums der Verstorbenen wie auch von deren Familien. Es sollte dem Verstorbenen im Jenseits an nichts mangeln, was ihm im Diesseits von Bedeutung war. So gesehen ist jedes einzelne Fundstück aus einem Grab auch ein wichtiger Symbolträger.

„Wer weiß, ob Frankreich heute als Weinnation gelten würde“

Die Etrusker schufen die erste Hochkultur Italiens. Was ist von ihren kulturellen Leistungen geblieben?

Werner Rutishauser: Im heutigen Weichbild der toskanischen Städte wie auch in den zypressenübersäten Landschaften Mittelitaliens ist nur wenig Etruskisches verblieben, etwa ein Stadttor in Volterra oder die eindrücklichen Totenstädte wie die zum Weltkulturerbe gehörenden Nekropolen von Cerveteri und Tarquinia. Wie bereits erwähnt zeugen die pittoresken mittelalterlichen Städte der Toskana fast alle indirekt von den Etruskern, da sie gewissermassen auf etruskischen Fundamenten aufgebaut sind. Gerade in der Architektur ist das Vermächtnis der Etrusker nicht zu unterschätzen: Die römische Architektur verdankte den Etruskern so wichtige Elemente wie die tuskanische Säule oder den Bogen. Beide Elemente sind in der Baukunst der Renaissance und in den nachfolgenden Epochen aufgegriffen und weiterentwickelt worden.

Die Römer haben auch außerhalb der Baukunst sehr vieles von ihren nördlichen Nachbarn übernommen und teilweise weiter tradiert, dasselbe gilt aber auch für zahlreiche Völker, die entfernt von Etrurien lebten. Wer weiß, ob Frankreich heute als Weinnation gelten würde, hätten die Etrusker nicht massenhaft Bankettgeschirr und Wein nach Massalia, das heutige Marseille, exportiert, von wo Geschirr wie Getränk auf der Rhone weiter nordwärts gehandelt wurden. Es ist wohl den meisten Menschen unbekannt, dass im deutschen Wortschatz etruskische Begriffe weiterleben. Sie sind als Lehnwörter in das Lateinische und anschließend auf uns gelangt. Person, Käse, Wein, Literatur oder Kette sind einige beispielhafte Wörter, die alle auf das Etruskische zurückgehen. Und sollten Sie demnächst Toskanaferien am Strand des Tyrrhenischen Meers planen, so besuchen Sie im wahrsten Sinne die Etrusker, die von den Römern Tusci und von den Griechen Tyrrhenoi genannt wurden.

Das Interview führte Klaus Hillingmeier.

Zuletzt geändert: 19.7.2017