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Im Interview

Zarathustra als Religionsstifter

Mit dem Zoroastrismus entsteht eine Religion, die auf individuellen Glaubensentscheidungen beruht. Der Iranist Philip G. Kreyenbroek erklärt die Glaubenswelt von Zarathustra im Gespräch mit G/GESCHICHTE.

Faravahar Perspepolis

Das Faravahar, Symbol des Zoroastrismus, stellt die Seele vor der Geburt und nach dem Tod dar. Relief in Persepolis. | © istockphoto/mtcurado/M.Torres

 

G/GESCHICHTE: Was weiß die moderne Altiranistik über Herkunft, Lebenszeit und Vita Zarathustras?

Prof. Dr. Philip G. Kreyenbroek: Die Lebenszeit Zarathustras wird immer noch unterschiedlich angesetzt. Die Mehrzahl der Spezialisten geht allerdings davon aus, dass Zarathustra um 1000 v.d.Z. oder früher gelebt hat. Seine Heimat ist vermutlich im Nordosten des heutigen Iran zu suchen.
Zarathustra war ein ausgebildeter Priester und geschult, mantische Hymnen (die Gāthās) auszugestalten und zwar dergestalt, dass er mit diesen Hymnen die Anwesenheit der göttlichen Wesen in gewisser Weise „erzwingen“ konnte, damit sie ihm seine Fragen beantworteten. Diese Gāthās, 17 Hymnen insgesamt, sind erhalten geblieben und was immer wir über Zarathustra und seine Vorstellungen wissen, basiert auf eben diesen wenigen Texten.

Wieviel ist „neu“ an Zarathustras Gedanken, und wie viel schöpft er aus der Tradition?

Die große Neuerung, die Zarathustra vorschlug, war, dass der Zustand der Welt nicht mit der Absicht des großen Gottes Ahura Mazdā (Herr Weisheit) übereinstimmt. Ahura Mazdā gehört der geistigen Sphäre der Wirklichkeit an, welche eine indirekte Auswirkung auf unsere materielle Welt hat, aber sich nicht direkt in das weltliche Geschehen einmischt. Ahura Mazdā wird auch der Schöpfer der Welt genannt, da er die grundlegenden Gesetze einführte und Wesenheiten schuf, die unsere materielle Existenz direkt beeinflussen. Diese Wesenheiten sind göttliche Wesen, die gewissermaßen Aspekte oder Eigenschaften Ahura Mazdās repräsentieren wie zum Beispiel der „gute Gedanke“. Grundsätzlich gehören sie der geistigen Sphäre an, aber sie sind fähig das Geschehen dieser Welt zu beeinflussen nicht zuletzt deshalb, weil die Eigenschaften, die sie repräsentieren von den Menschen in ihrem körperlichen Dasein erkannt werden können. Wenn sich Menschen für diese Wesenheiten öffnen, werden sie von den göttlichen Wesen geleitet und gewärtigen Hilfe von ihnen.
Die uranfänglichen Gesetze und Wesenheiten wurden „am Anfang“ geschaffen und anfänglich war die Welt ideal. Dann aber haben fehlgeleitete übernatürliche Wesen (daēvas) und ihre Anhänger, die Ahura Mazdās Absichten falsch interpretierten, die Welt ruiniert. Aufgrund dessen gibt es nun einen Konflikt zwischen dem Guten und dem Bösen in der Welt, was nur dann wieder  gelöst werden kann, wenn die Menschen die richtige „Weltsicht“ wählen und den guten göttlichen Wesen erlauben durch sie an der Besserung der Welt zu arbeiten. Wenn dies geschieht, können letztendlich die daēvas besiegt und die Welt wundervoll werden. Dies ist der Zweck der menschlichen Existenz.

Religionswissenschaftler deuten Zarathustra als „Religionsstifter“. Gibt es darüber hinaus noch andere Sichtweisen?

Es ist schwierig dieser Schlussfolgerung aus dem Weg zu gehen. Bis zu Zarathustras Lebzeiten scheinen die Ahnen der Inder und Iranier (zusammen mit anderen indo-europäischen Menschen) eine Religion gelebt zu haben, die Teil ihrer Stammes- oder Ortskultur war. Eine Stammesreligion war größtenteils ein gemeinschaftliches Phänomen und war nicht an individuelle Glaubensvorstellungen gekoppelt. Zarathustra lud alle ein mit ihm die neue Weltsicht (daēnā) zu teilen, seiner Religion (daēnā) anzugehören, die ihn zum Grundleger einer religiösen Gemeinschaft machte, die auf individuellen Glaubensentscheidungen beruhte, und damit zu einem Vorläufer für den Religionsbegriff des Christentums und des Islams wurde.

Welche größere Veränderungen machte der Zoroastrismus im Laufe seiner Geschichte durch?

Während der frühe Zoroastrismus auf einer sehr alten priesterlichen Art der Erkenntnis der Wirklichkeit basiert, entwickelte sich der Zoroastrismus zu einer Religion, die für einfache Leute durchaus zu begreifen war. Von der Erkenntnis der göttlichen Wesen als Personifikationen von Gedankenmustern, die die Menschen in ihrem täglichen Leben einbinden und erfahren können wurden diese zu Wesenheiten, die man als „Götter“ oder „Engel“ anbeten konnte. Die Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Konflikts zwischen Gut und Bösem wich einem Glauben an eine Erlösung in weiter Ferne am Ende der Zeit. Nach Zarathustras Ableben erstand ein Mythos, wonach der Same Zarathustras in einem See aufbewahrt werde. Am Ende der Zeit wird eine Jungfrau in eben diesem See baden und davon schwanger werden und Zarathustras Sohn, den Heiland, zur Welt bringen, der alle Konflikte beenden wird – ein Mythos, der auch im Christentum und mit christlichen Vorzeichen entfaltet wird. Im weiteren Zeitverlauf breitete sich der Zoroastrismus über den gesamten iranischen Raum aus und was ursprünglich eine einheitliche und vereinte Vorstellung von Glauben und von religiösen Praktiken war, wurde mit der Zeit deutlich vielfältiger.

Gibt es auch Veränderungen im Himmel-Hölle-Gedankenkomplex?

Dies können wir nicht mit Sicherheit sagen. Einige Passagen der Gāthās deuten an, dass Zarathustra hoffte die Kräfte des Bösen noch zu seinen Lebzeiten zu besiegen, wodurch ein idealer Staat errichtet werden würde. Andere Textpassagen deuten genau das Gegenteil an, dass er eben nicht glaubte das Ziel der Besiegung des Bösen noch in seiner Lebenszeit zu erreichen. Damit setzte sich die Idee durch, dass nach dem Ableben die Seelen der Rechtschaffenen sich im Paradies wiederfinden. Alle anderen halten sich derweil in einem Bereich auf, wo das Essen scheußlich und ein Stöhnen der Verzweiflung zu hören ist. So finden sich die individuellen Seelen in einem Bereich wieder, der ihren Taten auf Erden entsprach. Diese Vorstellung überlebte im späteren Zoroastrismus und hallte auch in anderen Religionen wider.

Wie kann man erklären, dass die heutigen Nachkommen Zarathustras, die Parsen beziehungsweise Zoroastrier Monotheisten sind, während doch der klassische Zoroastrismus dualistisch ausgerichtet ist?

Sowohl der Begriff des „Monotheismus“ als auch der des „Dualismus“ als ausschließliche Kategorien gehören der systematisch-theologischen Begriffsgeschichte von Christentum und Islam an und sind nicht  unbedingt auf Religionen wie den Zoroastrismus übertragbar. Der Zoroastrismus wurde über mehrere Jahrhunderte mündlich übermittelt und so etwas wie eine „Theologie“ hat dieser erst spät entwickelt.
Im antiken Zoroastrismus war die eine Quelle der Existenz Ahura Mazdā, der in einer von unserer weit entfernten Sphäre wohnt und die verschiedenen „göttlichen Wesen“ mit Tätigkeiten für unsere Welt beauftragte, die teils in die weltlichen Angelegenheiten mittels inspirierter Menschen intervenierten. In den Gāthās wird die Existenz des Bösen in der materiellen Welt als selbstverständlich vorausgesetzt, vermutlich weil das Böse bereits in der Welt, die Zarathustra kannte, vorhanden war.
Eines der guten „göttlichen Wesen“ ist der „Heilige Geist“ (Spenta Mainyu), der Mazdās „wirksames Prinzip“ gewesen zu sein scheint. Spenta Mainyu und sein böses Pendant, der „böse Geist“ (Angra Mainyu oder Ahriman), greifen beide in unsere Welt ein. So gesehen hat der frühe Zoroastrismus eine „dualistische“ Weltsicht sofern es die materielle Welt betrifft. In der geistigen Sphäre hat das Böse keinen Platz, hier regiert nur Ahura Mazdā.
Im späteren Zoroastrismus wurde der Unterschied zwischen Ahura Mazdā und seinem „Heiligen Geist“ nicht mehr länger verstanden und beide Begriffe wurden Ahura Mazdā zugeordnet. Ahura Mazdā wurde dann als der gute Gott angesehen, der mit dem Bösen Geist kämpft bis ans Ende der Zeit. Sicherlich verstärkt dies die dualistischen Tendenzen im Zoroastrismus. Der Dualismus ist allerdings typisch für die Theologie der Sasaniden (ca. 226 – ca. 650 n.d.Z.), hat aber  womöglich nie eine so zentrale Rolle unter den gewöhnlichen Zoroastriern gleich welcher Epoche gespielt.
Unter den  gegenwärtigen Zoroastriern in Indien und im Iran finden wir keinen festen Glauben an das Böse als einer unabhängigen Macht. Aber es existiert noch ein reges Interesse am Gegensatz zwischen körperlicher und ritueller „Reinheit“ und „Unreinheit“.

Interview: Udo Tworuschka

 

 

 

Zuletzt geändert: 02.06.2015

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