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Peloponnesischer Krieg

Das Stalingrad der Athener

Syrakus, reich und mächtig, schien 413 v. Chr. die ideale Beute für Athens Machthunger. Doch die Stadt ist ein zäher Brocken.

von Klaus Hillingmeier

Dieser Artikel stammt aus unserem Heft „Athen – Macht und Schönheit“ (Für mehr Infos aufs Bild klicken).

Was für ein Frevel, welch ein böses Omen! In der Nacht hatten Unbekannte die Hermen verstümmelt, heilige Schutzbilder, die eine glückliche Reise garantieren sollten. Und in diesem Sommer des Jahres 415 v. Chr. rüstet sich Athen für eine militärische Expedition gegen Sizilien. Vorausgegangen war ein Hilfegesuch der mit Athen verbündeten Stadt Segesta. Die sizilianische Polis fühlte sich von Seliunt und Syrakus bedroht und bat um militärische Unterstützung. Die „Sizilienfrage“ war in der Volksversammlung heftig diskutiert worden. Während der besonnene Stratege Nikias davon abgeraten hatte, war es seinem Rivalen Alkibiades gelungen, das Volk für dieses Unternehmen zu begeistern.

Aufgehetzt durch Alkibiades schreit das Volk nach Krieg

Im Sommer des Jahres verlässt eine Flotte von 134 Trieren und 130 Transportschiffen den Hafen von Athen. An Bord sind 5000 schwerbewaffnete Hopliten, ein Drittel aus Attika, die Masse stellen die mit Athen verbündeten Staaten. Dazu kommen noch zahlreiche leichtbewaffnete Hilfstruppen, darunter skythische Bogenschützen und Steinschleuderer aus Kreta. Diese Männer sollen das Heer vor der starken syrakusischen Kavallerie schützen, denn Reiter fehlen im Aufgebot Athens. Das Kommando haben die Strategen Nikias und Alkibiades. Der Auftrag der Strategen war äußerst vage gehalten: Sie sollen so handeln, wie es „am günstigsten für Athen“ wäre.

Modell einer Triere. Solche Kriegsschiffe nutzten die Griechen, um nach Syrakus zu rudern. | © Wikimedia/Deutsches Museum

Wenige Wochen nachdem die Expedition Sizilien erreicht hat, wird Alkibiades nach Athen zurückberufen. Bekannt für seine freizügige Lebensweise und seine mangelnde Pietät, wird er für den Verantwortlichen hinter dem Hermenfrevel gehalten. Statt einen Prozess zu riskieren, setzt sich Alkibiades nach Sparta ab. Damit wird ausgerechnet der Kriegsgegner Nikias zum entscheidenden Strategen der Expedition. Nikias zaudert, will eine Kavallerie-Verstärkung aus Athen abwarten und lässt kostbare Zeit verstreichen. Ein Geschenk für seinen Gegenspieler in Syrakus, den Strategen Hermokrates, den später Platon als einen der fähigsten Staatsmänner seiner Epoche loben wird. Hermokrates reorganisiert das Heer, verstärkt die Verteidigungswerke und schickt Boten mit einem Hilfsgesuch nach Sparta, wo mittlerweile Alkibiades fleißig gegen seine Heimatstadt Athen intrigiert: Sobald Syrakus gefallen sei, würden die Athener Sizilien unterwerfen und damit zur Großmacht aufsteigen. Dann würde der Vernichtungsfeldzug gegen Sparta beginnen …

Mit dem Spartaner Gylippos kehrt der Mut nach Syrakus zurück

Doch Spartas Führung ist wie so oft in ihrer Geschichte äußerst vorsichtig. Statt sein Hoplitenheer aufs Spiel zu setzen, entsendet Sparta nur einen einzigen Mann: Gylippos. Und Gylippos ist noch nicht einmal ein spartanischer Vollbürger, da seine Mutter eine unfreie Helotin war. Doch er hat Spartas Agoge (Aufzucht) überlebt, jene gnadenlose Erziehung, die aus Knaben die härtesten Krieger Griechenlands schmiedet. Gylippos verfügt über gute Kontakte zu den Städten Siziliens und so gelingt es ihm, Bündnispartner für Syrakus zu gewinnen.

Als im Frühjahr 414 v. Chr. die Kavallerie-Verstärkung Sizilien erreicht, gehen die Athener in die Offensive. Sie besetzen den strategisch wichtigen Hügel Epipolai, der im Westen Syrakus beherrrscht, und beginnen, ein System an Belagerungsmauern vom Epipolai bis an die Küste zu errichten. Panik bricht in der Stadt aus und die Syrakuser beginnen, über eine Kapitulation nachzudenken. Dann der nächste Schlag gegen die Stadt: Die attische Flotte stößt in den Großen Hafen der Stadt vor und zieht die Schlinge um Syrakus zu. Die Moral der Verteidiger ist am Boden und Hermokrates wird gestürzt. Syrakus scheint verloren – bis Gylippos in der Stadt erscheint. Dem Spartaner war es gelungen, durch eine Lücke in den attischen Linien die Stadt zu erreichen.

Der historische Stadtkern der Stadt Syrakus auf Sizilien. | © istockphoto.com/MariusLtu

Spartas Name hat einen solch gewaltigen Klang, dass der Rat der Stadt das Oberkommando in die Hände Gylippos’ legt. Mit dem neuen Befehlshaber kommt auch Verstärkung aus verbündeten Städten in die Stadt und nun gehen die Syrakuser zum Angriff über. Ein Fort der Athener am Epipolai wird gestürmt und man kann mit dem Bau einer Gegenmauer beginnen. Als der Herbst anbricht, herrscht Stellungskrieg. Auch die Lage der Flotte gibt Nikias Grund zur Sorge. Der Blockadedienst zermürbt Menschen und Material, während die Schiffe des Gegners sicher an Land gezogen sind. Nikias weiß, dass ein Abzug wohl die klügste Entscheidung wäre, doch den Prestigeverlust kann sich Athen nicht leisten. Also entscheidet sich der Rat der Stadt für eine massive Verstärkung. Im Sommer 413 v. Chr. schickt Athen eine Flotte von mehr als 70 Schiffen, an Bord nochmals 5000 Hopliten.

Wer in der Nacht kämpfen will, sollte Freund und Feind erkennen!

Ihr Kommandeur Demosthenes ist bekannt für seine raschen, zuweilen tollkühnen Aktionen. Kaum angekommen, greift er die feindlichen Stellungen am Epipolai an, wird aber zurückgeschlagen. Doch Demosthenes ist kein Mann, der sich gerne geschlagen gibt. Der Stratege befiehlt einen zweiten Angriff im Schutz der Nacht. Doch sein Überraschungsangriff wird entdeckt und Gylippos’ Truppen gehen zum Gegenangriff über. Chaos bricht bei den Athenern aus. Im Licht des Mondes können sie Freund und Feind nicht voneinander unterscheiden. Attische Truppen schlachten ihre Verbündeten ab, da man ihre Kriegsrufe im fremden Dialekt mit jenen der Feinde verwechselt. Als der Morgen anbricht, müssen die Athener erkennen, dass die Schlacht um Syrakus verloren ist. Demosthenes drängt auf eine schnelle Evakuierung. Schon ist man im Aufbruch begriffen, da verdunkelt in der Nacht des 8. August eine Mondfinsternis den Himmel. Nikias sieht darin eine Warnung der Götter. Sein Priester rät ihm, den Aufbruch um dreimal neun Tage zu verzögern. Und der Stratege nimmt diesen Rat an – der größte Fehler seines Lebens.

Die Syrakuser haben jetzt Zeit, den Großen Hafen mit einer Kette aus Handelsschiffen abzusperren. Als die Athener Flotte dann am 9. September ausbrechen will, schlagen Syrakus’ Kriegsschiffe zu. Beide Flotten sind ungefähr gleich stark und Athens Kapitäne sind die besseren Seeleute. Doch in der Enge des Hafenbeckens können sie kaum manövrieren und ihr Talent ausspielen. Die Flotten verbeißen sich ineinander wie tollwütige Hunde. Speere und Pfeile fliegen, in den Enterkämpfen entscheidet das Schwert. Am Ende des Tages haben beide Seiten schwere Verluste, doch die Athener besitzen jetzt 60 Trieren, während die Syrakuser nun weniger als 50 einsatzfähige Schiffe haben. Demosthenes befielt für den nächsten Tag einen zweiten Ausbruchsversuch, doch seine Männer meutern und weigern sich, an Bord zu gehen.

Steinbruch der versklavten Athener | © Wikimedia/Berthold Werner

In dieser desolaten Lage geben Nikias und Demosthenes den Rest der Flotte auf und beschließen, sich über Land ins verbündete Catania durchzuschlagen. Es ist ein Marsch in den Tod. Was den attischen Truppen noch an Mut und Disziplin geblieben ist, fegen die permanenten Angriffe von Gylippos’ Kavallerie hinweg. Nach sieben Tagen ist Athens Expeditionskorps völlig aufgerieben. An den 7000 Kriegsgefangenen nimmt Syrakus Rache: Wer als Sklave in private Hände verkauft wird, hat noch Glück, denn auf die anderen wartet die Hölle der Steinbrüche. Nikias und Demosthenes aber werden ohne Prozess hingerichtet.

 

 

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