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Die erste Mondlandung

Kleiner Schritt, riesiger Sprung

Vor 50 Jahren erfüllt sich ein Traum der Menschheit. Fast wäre die Mission gescheitert

Es kracht und rumpelt im Cockpit, als die 111 Meter hohe Saturn-V-Rakete am 16. Juli 1969 von Cape Canaveral abhebt. Das ist normal: Die Astronauten an Bord müssen nicht nur den Lärm der gewaltigen Triebwerke ertragen, sondern auch den Schall, der vom Erdboden zurückgeworfen wird. Weniger normal ist die Mission »Apollo 11«, auf der sich Kommandant Neil Armstrong mit seinen Piloten Edwin »Buzz« Aldrin und Michael Collins befindet: Die Männer sollen den ersten Versuch einer Mondlandung wagen.

Planmäßig hebt die Rakete ab, und die Astronauten vollziehen eineinhalb Erdumdrehungen zum Schwungholen für den Flug zum Mond. Ohne Probleme zündet Collins die letzte Stufe der Saturn V und koppelt das Kommandomodul »Columbia«, in dem die drei Männer sitzen, an die Mondlandefähre »Eagle« (Adler) an. Ein Traumstart. Und doch steigt die Anspannung. Seit die Crew der Apollo 1 in der Testphase durch ein Feuer im Cockpit starb, sind Tausende Mängel an Raumschiff und Landefähre behoben worden. Aber reicht das aus? Vieles konnte auf der Erde gar nicht getestet werden; zu gering ist das Wissen über die Bedingungen auf dem Mond.

Drei Tage gleitet die Columbia durch den Weltraum, alles verläuft reibungslos. Aber Armstrong, ein ehemaliger Kampf- und Testpilot, weiß genau: Probleme treten dann auf, wenn du sie am wenigsten erwartest. Höchste Aufmerksamkeit bei totaler Untätigkeit. Das zermürbt.

Denkt Buzz Aldrin jetzt daran, dass er sich und seinen Kameraden nur eine 60-prozentige Überlebenschance gegeben hat? Oder hat er immer noch mit der empfundenen Zurücksetzung zu kämpfen, dass er nicht als erster Mensch den Mond betreten soll? Ihm, dem Piloten der Landefähre, stünde es zu; doch der abgeklärte Armstrong passt besser in das Konzept der PR-Leute.
Collins, der in der Columbia den Mond umkreisen wird, hat wenig Verständnis für Aldrins Unmut. Sein Ziel ist es, die Mission zu erfüllen, die Präsident Kennedy seinem Land 1961 auf die Fahnen geschrieben hat: vor Ende des Jahrzehnts Menschen auf den Mond zu bringen. Kein halbes Jahr bleiben den USA dafür noch, und die Sowjetunion sitzt ihnen im Nacken. Da gibt es wenig Raum für persönliche Ambitionen. Das weiß auch Aldrin. Die drei sind im All, um einen Job zu erledigen.

Der schwerste Teil des Jobs ist der Landeversuch auf dem Mond am 20. Juli 1969. Armstrong räumt dem Unterfangen wenig Chancen ein. »No confidence – kein Vertrauen«, rutscht es ihm noch in einem 2012 veröffentlichten Interview heraus.

Zwölf Minuten dauert die Abstiegssequenz der Landefähre nach dem Abkoppeln von der Columbia. Keine zwei Kilometer von der Mondoberfläche entfernt gibt der Navigationscomputer plötzlich Alarm. Weitermachen, lautet die Anweisung der Bodenstation. Ein Programmfehler, aber alles Wichtige funktioniert noch. Doch schon wieder meldet der Computer ein Problem: Die Landefähre ist schneller als berechnet und wird die geplante Landestelle um mehr als vier Kilometer verfehlen. Das neue Gebiet ist völlig ungeeignet: steil, voller Geröll und Felsbrocken. Aber in spätestens drei Minuten müssen sie runter oder abbrechen.

Armstrong übernimmt das Steuer vom Autopiloten und sucht nach einem besseren Landeplatz, Aldrin liefert ihm ununterbrochen Navigationsdaten. Unter der Fähre tut sich ein Krater auf, auch da lässt es sich nicht landen. Im Tank ist noch für 90 Sekunden Treibstoff, ehe der Sinkflug abgebrochen werden muss, um die Eagle zur Columbia zurückzubringen. Weiter. Armstrong entdeckt jenseits des Kraters eine ebene Stelle, aber die Fähre wirbelt so viel Mondstaub auf, dass er nicht einschätzen kann, wie schnell sie sich dem Boden nähert. Noch für 30 Sekunden Treibstoff. Armstrong orientiert sich an ein paar großen Felsen, die aus dem Staub ragen, dann meldet Aldrin plötzlich Bodenkontakt. »The Eagle has landed« (»Der Adler ist gelandet«), verkündet Armstrong. Der Satz ist ihm wichtiger als jener beim Aussteigen, der in die Geschichte eingehen wird: »Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit.«
Während Armstrong und Aldrin ihren zweieinhalbstündigen historischen Mondspaziergang absolvieren, umkreist Collins in der Columbia den Erdtrabanten. Gelassen erfüllt er seine Aufgaben; eine Fehlfunktion am Kühlersystem behebt er, indem er die Steuerung von Automatik auf manuell und zurück schaltet. Und doch: Was, wenn die Starttriebwerke der Eagle nicht zünden? Die NASA sieht für diesen Fall ein Protokoll vor: Der Funkkontakt wird abgebrochen, ein Geistlicher empfiehlt die Seelen der gestrandeten Astronauten den tiefsten Tiefen an, und Collins kehrt allein zur Erde zurück. Präsident Nixon hat bereits eine bewegende Trauerrede vorbereiten lassen.

Unten auf dem Mond hat Buzz Aldrin derweil mit seinem sperrigen Raumanzug den Zündungsschalter für das Starttriebwerk beschädigt. »Er hätte sich ja auch einen aussuchen können, der unwichtig war«, scherzt Neil Armstrong in dem Interview, das in seinem Todesjahr 2012 veröffentlicht wurde. Damit der wichtige Schalter hält, wird er mit einer Filzstiftkappe fixiert. Und die Eagle hebt ab. Präsident Nixon kann seine Trauerrede einstampfen lassen.

Am 24. Juli 1969 tritt die Columbia wieder in die Erdatmosphäre ein. Der Funkkontakt bricht währenddessen ab, doch die Kapsel wassert wie vorgesehen im Pazifik. Acht Tage waren die drei Astronauten im Weltraum, 19 weitere Tage bleiben sie in Quarantäne – für den Fall, dass es Mikroorganismen auf dem Mond geben sollte. Dort, im Labor auf der Erde, merken sie, dass es kaum Fotos von Neil Armstrong während seines Mondspaziergangs gibt. Alle Bilder, die ihren Weg in die Geschichtsbücher finden werden, zeigen Buzz Aldrin. Geschah das aus Absicht, aus Eifersucht wegen dieses ersten Schritts auf den Mond? Oder stand es einfach nicht auf der Checkliste, die Armstrong und Aldrin abzuarbeiten hatten? »Wir hatten so viel zu tun«, sagt Armstrong Jahrzehnte später. »Für Gefühle hatten wir da keine Zeit.«

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Januar 2019 in G/GESCHICHTE