G/GESCHICHTE Oktober 2010

Bismarck und das Kaiserreich

Liebe Leserinnen und Leser!

„Jetzt kann ich Dir sagen, dass ich dich lieb habe und dass ich so gerne werden möchte wie du“, schreibt der siebenjährige Kurt Reinert Bismarck zu seinem Geburtstag. Die Deutschen haben ihren Kanzler schon zu Lebzeiten zur Kultfigur, zum Übermenschen hochstilisiert. Was damals Trinkgefäße, Postkarten und Heringe waren – das wären heute Bettwäsche, Zahnbürsten und Schlüsselanhänger. 146 Bismarcktürme stehen noch in deutschen Städten und Wäldern. Doch: Was ist übrig vom Bismarckbild? Ist diese Charakterstudie unbeeinflusst von dessen Memoiren, den „Gedanken und Erinnerungen“? Es gilt, hinter die die historische und historisierende Fassade zu blicken: Wer war Otto Otto von Bismarck? Ein brillanter außenpolitischer Stratege auf friedlicher Mission, sozial gesinnter Retter der Volksseele, ein Visionär, Choleriker oder besessener Machtmensch?

 
Die Antworten dürften in jedem Fall komplizierte ausfallen, als für viele Medien zu gebrauchen. Und Bismarck wusste die Presse zu benutzen! Nicht ohne Grund setzte er die Emser Depesche als kriegstreibenden Fehdehandschuh ein oder holte per Artikel zum Schlag gegen die Nachfolger in Berlin aus. Was in den Geschichtsbüchern haften blieb, sind visionäre Leistungen: Der Eiserne Kanzler schmiedete das Deutsche Reich, er erfand den Sozialstaat und schaffte Frieden in Europa. Aber Bismarck und seine Zeit können nicht als Solitär stehen.
 
Hat Bismarck den mächtigen Nachlass Zukunft ohne Anleitung zurückgelassen – ohne Chancen für das liberale Bürgertum? Dieser Frage müssen auch wir uns stellen, denn wir sind ebenfalls Bismarcks Erben. Wir sind eine immer noch junge Nation. Die Identitätssuche als Kollektiv, als soziale Gemeinschaft bleibt – inklusive humanitärer Verantwortung und friedlicher Integration. Bismarck hatte Deutschland in den Sattel gesetzt, aber so einfach reitet es sich auch 140 Jahre später nicht. Der Kanzler ist präsent: In der Diskussion um die Rente, um den Verlust sozialer Gerechtigkeit, um Politikverdrossenheit … Finden Sie heraus, wer Bismarck war und was seine Zeit in sich barg.
 
Wir wünschen gute Unterhaltung!
 
Janina Lingenberg,
Redakteurin G/GESCHICHTE
Bismarck

Schwerpunkt dieser Ausgabe

1870/1871
Der Weg zum Kaiserreich

Vom Kartätschenprinzen zum Vater des Landes
Kaiser Wilhelm I.

Die verspätete Nation
Was nach dem Traum von Einheit kommt

Ein Junker gründet das Reich
Der Aufstieg Bismarcks

Schachspiel mit fünf Varianten
Die Außenpolitik Bismarcks

Prunk und Elend
Erfindungen, Armut und Antisemitismus

Verspielte Einheit
Die Innenpolitik Bismarcks

Ein Kanzler vor Canossa
Kirche gegen Staat

Kanzlerdämmerung
Der Abgang Bismarcks und Nachfolgersuche

„Der germanische Recke“
Was von Bismarck übrig bleibt

Weitere Themen

Blickpunkt
Marathonlauf

Serie, Rätsel der Geschichte
Die Osterinsel

Geschichte im Alltag
Das Grammophon

Porträt
Charlie Brown

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert