G/GESCHICHTE September 2013

Karl der Große – Pate des Abendlandes

Liebe Leserinnen und Leser!

„Seine Stärke war so gewaltig, dass er mit einem einzigen Hieb seines Schwertes einen gepanzerten Ritter auf dem Pferde vom Haupt bis zu den Füßen und mit dem gleichen Hiebe noch das Pferd zerspalten konnte.“ Als ein anonymer Verfasser um das Jahr 1150 die „Geschichte Karls des Großen“ niederschrieb, war der Kaiser längst eine legendäre Figur, die jeden Rahmen sprengte. Zusammen mit Artus und dem Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon zählte er zu den drei auserwählten Helden der Christenheit. 1165 wurde Karl sogar auf Initiative Friedrich Barbarossas durch den staufertreuen Gegenpapst Paschalis III. heilig gesprochen.

Ein Heiliger war der Herrscher sicherlich nicht. Karl war ein notorischer Ehebrecher und Vater einer stattlichen Zahl unehelicher Kinder. Der Mönch Wetti von Reichenau vermutete deshalb den Kaiser nach seinem Ableben in der Hölle, wo eine Bestie seine Genitalien zerfetze: „Dieser Fürst hat viel Lobwürdiges getan und Gott sehr Wohlgefälliges, doch den Lockungen des Fleisches hat er nie wiederstehen können.“

Vermutlich verstand ein frommer Mann wie Wetti nicht, dass jemand, der den christlichen Glauben verteidigt hatte und nicht müde geworden war, Bischöfe, Äbte und Mönche zu keuschen und gottgefälligen Lebenswandel zu ermahnen, zugleich das Leben in vollen Zügen hatte genießen können. Aber was wäre Karl ohne seine fast übermenschliche Vitalität und Virilität gewesen? Im Mittelalter wurden Imperien auf dem Schlachtfeld geboren.

Nur ein Kriegerkönig konnte den Mauren die Stirn bieten, die Awaren vertreiben, die Sachsen zähmen und das Königreich der Langobarden unterwerfen. Ein Widerspruch zum Mäzen der Künste und Förderer der Gelehrsamkeit? Nein! Karls Machtpolitik schuf das solide Fundament, auf dem die kulturelle Einheit des Abendlandes errichtet werden konnte. Schon zu Lebzeiten wurde er deshalb als „Vater Europas“ gepriesen.

Auf dem Zenit der Macht erhielt er die Kaiserkrone – ein Augustus aus den einst barbarischen Ländern des Nordens. Was Karl mit dem Schwert geschaffen hatte, zerfiel rasch nach seinem Tod. Auf den Trümmern seines Imperiums erblühten neue Reiche. Doch der Franke blieb Vorbild und Maßstab sowohl für französische Könige als auch für römisch-deutsche Kaiser. Karl war eben überlebensgroß.

Ihr, Euer

Dr. Klaus Hillingmeier
Chefredakteur

Schwerpunkt dieser Ausgabe

Der Kaiser und der Kalif
Wie Karl der Große zu dem weißen Elefanten Abul Abbas kam

Momentaufnahme 768
Das Frankenreich in der Krise

Die Awaren
Ein Volk reitet aus der Geschichte ­

Aufsteiger
Die Karriere der Karolinger

Jugendjahre eines Königs
Wie Karl ein Großer wurde

Dreißig Jahre Krieg
Karl gegen die Sachsen

Schuldig?
Die Akte Tassilo von Bayern

Der Ritt nach Roncesvalles
Entstehung des Rolandsmythos

Kaiser des Abendlandes
Wie man Erbe der römischen Imperatoren wird ­

Offa von Mercia
König der Angelsachsen ­

„Die Lockungen des Fleisches“
Fünf Ehefrauen sind Karl offensichtliche nicht genug

Renaissance im Norden
Aachen entwickelt sich zur Kulturmetropole 

Gichtiger Greis
Ein Gigant wird alt

Momentaufnahme 814
Das Frankenreich auf dem Zenit seiner Macht

Das Reich zerfällt
Erbschaftsstreit auf Fränkisch

Vom Sachsenschlächter zum „Vater Europas“
Das Karlsbild im Wandel

 

Weitere Themen

Blickpunkt
Die Pinochet-Junta stürzt Allende

Serie Die Weltwunder
Golden Gate Bridge

Geschichte im Alltag
Die Schraube

Porträt
Romy Schneider – Jenseits von Sissi

 

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