G/GESCHICHTE April 2015

Mysterien des Mittelalters – Reliquien und Pilgern

Liebe Leserinnen und Leser!

Luther bezeichnete die Reliquien als „Tote Dinge“ und Wallfahrten nannte er „Jahrmärkte des Teufels“. Trotz aller berechtigter Kritik an zahlreichen Auswüchsen seiner Epoche, übersah Luther als Mann der Schrift, wie sehr die Verehrung von Reliquien den Menschen geholfen hat, abstrakte Glaubensvorstellungen im wahrsten Sinne des Wort erfassen zu können. Doch in der Spätantike und im Mittelalter waren Reliquien viel mehr als nur Gegenstände der religiösen Verehrung: Sie galten als Symbole der Macht, sollten Wohlstand garantieren oder den Sieg in der Schlacht bringen.

Dieser Glaube hatte sehr konkrete Auswirkungen. Der Fund des Wahren Kreuzes durch die Mutter Konstantins des Großen legitimierte auch dessen Religionspolitik, die das Christentum als neuen Staatskult etablieren sollte. Und als Barbarossa nach der Plünderung Mailands seinem Kanzler Rainald von Dassel die Gebeine der Heiligen Drei Könige anvertraute, unterstrich er damit zugleich einen kaiserlichen Herrschaftsanspruch gegenüber dem Papst und den aufmüpfigen Städten Italiens. Angenehmer – und lukrativer – Nebeneffekt für seine Kölner Untertanen: Die Stadt wurde beliebtes Pilgerziel.

Die Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela oder Jerusalem sind nicht nur ein Beleg für die unerwartete Mobilität der Menschen des Mittelalters und die Bereitschaft, für ihr Seelenheil das Leben zu riskieren. Sie waren auch Auslöser epochaler Veränderung: Das Bild vom heiligen Jakobus als Santiago Matamoros (Maurentöter) feuerte die Reconquista Spaniens an. Und als die türkischen Seldschuken 1070 Jerusalem eroberten und christlichen Pilgern aus Europa den Zugang zu den Heiligen Stätten erschwerten, formte sich die Kreuzzugsidee im Abendland. Das lateinische Wort für Kreuzzug lautete übrigens Peregrinatio – Pilgerfahrt.

Ihr, Euer

Dr. Klaus Hillingmeier
Chefredakteur

Schwerpunkt dieser Ausgabe

Die Heilige Lanze
Wie eine Wunderwaffe den Kreuzzug rettete

Das Wahre Kreuz
Die Mutter Konstantins des Großen findet die wichtigste Reliquie der Christenheit

Heilige Schmuggelware
Wie der Evangelist Markus nach Venedig kam

Die Heiligen Drei Könige
Mit Barbarossa von Mailand nach Köln

11 000 Jungfrauen
Die Heilige Ursula von Köln und ihre Gefährtinnen

Compostela und Jerusalem
Pilgern im Mittelalter

Felix Fabri
Pilgerbericht aus dem Mittelalter

Thomas von Canterbury
Pilgern zum Mordschauplatz

Altötting
Zu Besuch bei der Jungfrau Maria

Das Turiner Grabtuch
Gottesbeweis oder geniale Fälschung?

Interview mit Manfred Schedlowski
Wie Reliquien heilen können

Der Abgott von Halle
Albrecht von Brandenburg gegen Luther

Pilgerziele der Weltreligionen
Zwischen Mekka und Benares

 

Weitere Themen

Extra
Kriegsende vor 70 Jahren – Fotografin Lee Miller mit der US-Army in Deutschland

Blickpunkt
Napoleon – Wie Bayern zum Königreich wurde

Serie – Unterwelten
Kelten und katholische Kirche – Die Salzwelten Hallein

Geschichte im Alltag
Der Gameboy – Willkommen in den Neunzigern

Porträt
Josephine Baker – Revuestar und Résistance

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