G/GESCHICHTE Juli 2022

Weiße Sklaven –
Menschenhandel mit Europäern

Liebe Leserin, lieber Leser,

wussten Sie, dass Miguel de Cervantes fünf Jahre lang als Sklave in Nordafrika vegetierte, bevor er seinen weltberühmten Romanhelden Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen ließ? Dass er nur einer von rund 3,7 Millionen Europäern war, die in der Neuzeit, also seit 1500, versklavt wurden? Dass weite Küstenabschnitte in Italien menschenleer waren, weil die Bewohner aus Angst vor den Sklavenjägern ihre Dörfer am Meer verließen?

Das millionenfache Leid der „weißen Sklaven“ – den Begriff prägte der US-Senator und Anti-Sklaverei-Kämpfer Charles Sumner 1847 – ist heute weitgehend vergessen. Es wird im Geschichtsunterricht allenfalls am Rande gestreift, in Büchern kaum thematisiert. Mein Verdacht ist: Dass Europäer nicht die Täter sind, sondern ohnmächtige Opfer, passt weder in das rechte Narrativ von der überlegenen europäischen Zivilisation noch in das linke Narrativ von der europäischen Unterdrückung der anderen Völker. Und wird daher allseits ignoriert.

Dabei ist kaum ein Thema so gut geeignet, den Menschen hier nahezubringen, was eine Versklavung für die Betroffenen bedeutet und was für ein Horror die Institution Sklaverei ist. Denn für die einzelne Person war es gleich, ob sie aus einem Dorf in Westafrika als Sklave nach Amerika verschleppt wurde oder aus einem Dorf in England nach Nordafrika.

Ihr

Dr. Christian Pantle
Chefredakteur

Themen dieser Ausgabe

„Noch kaum erforscht“
Professor Michael Zeuske über die Formen der „Weißen Sklaverei“

In den Fängen Sultan lsmails
Ab 1716 ist der Engländer Thomas Pellow für 23 Jahre die Beute eines Sadisten

Eunuchen für den Orient
Wie Wikinger, Christen, Juden und Muslime grausam kooperieren

Dublins finstere Geburt
841 gründen Nordmänner die irische Stadt als Sklavenmarkt

Knabenlese auf dem Balkan
Die Sklavenkrieger der Osmanen

Aufstieg der Piratenstaaten
Ab 1500 werden Marokko, Algier, Tunis und Tripolis die Stützpunkte für die Jagd nach Europäern

Sklavenmärkte
Von Rhodos bis Algier

Genie in Ketten
Fünf Jahre lebt Miguel de Cervantes als Sklave in Nordafrika. Das verarbeitet er in seiner Weltliteratur

Albtraum auf hoher See
Das Schicksal der Galeerensklaven

Menschenjagd im Norden
Korsaren fahren auf Beutezügen von Nordafrika bis nach Island

Eine unglaubliche Karriere
Jan Janszoon wird Sklave, dann Präsident der Piratenrepublik Salé

Im Harem
Erotische Fantasien und brutale Wirklichkeit

Nordfriese in Nordafrika
Hark Olufs’ bewegtes Leben

Attacke auf die Piratenstaaten
1625 bis 1815: Befreiungsaktionen

Blutiger Schluss
Das Bombardement von Algier 1816 beendet die Sklavenjagden

Weiße Sklaven in New Orleans
Bilder aus dem US-Bürgerkrieg

Europas letzter Sklavenstaat
Nazideutschland verschleppt Millionen Menschen

Weitere Themen

Blickpunkt: Bedrohte Freiheit im Baltikum
Greift Russland nach Estland, Lettland und Litauen? Es wäre nicht das erste Mal

Serie: Dynastien des Geldes
Fiat-Familie Agnelli – heimliche Herrscher Italiens

Geschichte im Alltag
Sonnenwende – Feiern mit der Ekliptik

Porträt
E.T.A. Hoffmann – Genie der Romantik