Was verbindet Protestbewegungen damals und heute? Das erklären die Macherinnen der Großen Landesausstellung in Baden-Württemberg zu 500 Jahren Bauernkrieg.
Interview: Christian Pantle
G/GESCHICHTE: Sie spannen in der Ausstellung »Protest!« den Bogen vom Bauernkrieg bis hin zu den aktuellen Klimaprotesten. Inwieweit lassen sich beide vergleichen?
Dr. Maaike van Rijn, Kuratorin der Ausstellung: Wir stellen keinen direkten Vergleich an, dafür sind die gesellschaftlichen Umstände zu verschieden – damals herrschte die Leibeigenschaft, heute haben wir eine Demokratie. Was sich aber gut vergleichen lässt, ist die Perspektive des Einzelnen: Die Emotionen und Impulse der Menschen sind damals wie heute ähnlich.
Welche Emotionen sind im Spiel?
Sarah Happersberger, Kuratorin der Ausstellung: Am Anfang stehen das Nicht-Gehört-Werden und eine empfundene Ungerechtigkeit. Diese kann einen selbst betreffen oder eine Gruppe, mit der man sich solidarisiert. Das triggert Wut, und darauf folgt die Frage: Was kann ich tun?
Damit beginnt der Protest. Finden sich ab dann auch historische Parallelen?
van Rijn: Ja, etwa in der Frage: Wie vernetze ich mich mit anderen, damit sich möglichst viele am Protest beteiligen?
Prof. Dr. Christina Haak, Direktorin des Museums: Um ein Beispiel zu nennen: Die Bauern nutzten damals das Flugblatt, die heutigen Menschen die sozialen Medien, um Netzwerke zu bilden und ihren Protest voranzubringen. Die Kommunikationsmittel sind verschieden, das Ziel ist das gleiche.
Die Flugschrift war damals eine neue Methode der Massenkommunikation, die sozialen Medien sind es heute. Ist es typisch für Protestbewegungen, dass sie zu innovativen Mitteln greifen?
Happersberger: Protestbewegungen suchen immer nach Methoden, wie sie mit möglichst wenig Geld und möglichst wenig Zeitaufwand möglichst viele Leute erreichen. Das heißt aber nicht, dass sie nur neue Methoden verwenden. Noch heute werden auf Demonstrationen Flugblätter verteilt.
Haak: Man bedient sich immer einer breiten Kommunikation, auch der Musik in Form von Liedern und Protestsongs, wie wir in der Ausstellung zeigen.
Schon die Aufständischen im Bauernkrieg setzten auf Musikanten: Sie hatten auf ihren Zügen durchs Land Trommler und Querpfeifer dabei, die der Bevölkerung eine gute Show boten.
Haak: Die wollen wir nächstes Jahr auch liefern – mit der Roadshow „Uffrur! on the road“: An 17 Orten, die Schauplatz des Bauernkriegs waren, werden wir jeweils ein Stadtfest mit Theaterstück und künstlerischem Mittelaltermarkt organisieren. Das ist neben der „Protest“-Ausstellung ein weiteres der fünf Projekte, die zusammen das Großprojekt „500 Jahre Bauernkrieg“ des Landesmuseums bilden.
In einigen Projekten wollen Sie KI, Künstliche Intelligenz, einsetzen. Wie kann man sich das vorstellen?
van Rijn: In der Ausstellung „Uffrur!“, die ab April 2025 von den Ereignissen des Bauernkriegs erzählt, tauchen acht historisch überlieferte Figuren auf – darunter Georg Truchsess von Waldburg und die damaligen Aktivistinnen Magdalena Scherer und Margarete Renner. Von den meisten ist kein Bild überliefert. Diese Leerstelle haben wir gefüllt, indem wir eine KI mit Stichworten zu den historischen Personen gefüttert haben. Daraus hat die KI das Aussehen generiert – es ist der Versuch einer optischen Annäherung.
Haak: Was die Figuren sagen, wurde hingegen von Schauspielern eingesprochen und ist faktenbasiert.
Kommen diese Figuren auch in den anderen Projekten vor?
van Rijn: Vor allem in dem Digitalprojekt „Laut seit 1525“, das ab September auf Instagram läuft. Es lässt elf Protagonisten des Bauernkriegs KI-generiert auftreten, darunter den berühmten Ritter Götz von Berlichingen, der zeitweise ein Bauernheer anführte. Die KI-Figuren stellen ein verbindendes Element der verschiedenen Projekte dar.
Happersberger: In der „Protest“-Ausstellung tritt die KI-Figur der Magdalena Scherer in einen Dialog. Dazu gibt es Interviews mit heutigen Aktivistinnen und Aktivisten. Sie bieten uns einen Einblick in ihr Protesterlebnis: ihre Wut, Ängste und Wünsche.
Bietet der Bauernkrieg eine Botschaft für uns heute?
Haak: Ich würde eher von einer zentralen Aussage sprechen: dass der Mensch aufsteht, wenn er Ungerechtigkeit empfindet, und sich seine Mittel und Wege sucht.
Happersberger: Die Leute im Bauernkrieg hatten Ideen für die Zukunft. Sie haben nicht nur gegen etwas protestiert, sondern auch für etwas: für ihre Utopie einer besseren Welt. Das thematisieren wir auch am Ende unserer „Protest“-Ausstellung: „Was sind Ihre Utopien? Wie sähe eine Welt aus, in der Sie nicht mehr protestieren wollen?“
Ausstellungen „Protest“ und „Uffrur“
Die Große Landesausstellung „500 Jahre Bauernkrieg“ des Landesmuseums Württemberg umfasst drei Ausstellungen:
- „Protest! Von der Wut zur Bewegung“, Altes Schloss in Stuttgart, 27. Oktober 2024 bis 4. Mai 2025
- „Zoff!“, Mitmachausstellung für Kinder ab vier Jahren, selber Ort, 27. Oktober 2024 bis 3. August 2025
- „Uffrur! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25“, Kloster Schussenried, 26. April bis 5. Oktober 2025
Hinzu kommen die Projekte:
- „LAUTseit1525“ auf der Plattform Instagram, ab September, lautseit1525.de
- „Uffrur! on the road“ an 17 Orten, ab Mai 2025
Alle Infos auf landesmuseum-stuttgart.de und bauernkrieg-bw.de
Weitere Landesausstellungen zum Bauernkrieg laufen dezentral in Sachsen-Anhalt (gerechtigkeyt1525.de) und ab April 2025 in Mühlhausen und Bad Frankenhausen in Thüringen (bauernkrieg2025.de).
G/GESCHICHTE-Chefredakteur Christian Pantle hat ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Der Bauernkrieg. Deutschlands großer Volksaufstand“ (Propyläen 2024, 336 S., € 22,–). Es schildert den dramatischen Kampf des Volkes um mehr Rechte und bringt den Konflikt anhand zweier Gegenspieler nahe: Georg Truchsess und Matern Feuerbacher.