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1819 – 1878: Abschied vom Welfenthron

Georg V. ist mehr Schöngeist als Staatsmann – genau wie Ludwig II., sein Zeitgenosse. Beide sind tragische Figuren der Geschichte. Nur dass der Bayer dank Bismarcks Welfenfonds von Georg profitiert.

Rückwärtsgewandt: Georg V. von Hannover um 1860. | Bild: Wikimedia/Residenzmuseum im Celler Schloss/BM 1232/Hajotthu

von Michael Feldhoff

Für gut zehn Euro kann man heute im Netz eine CD mit seinen Klavierwerken ordern, sein Abendlied hat bei YouTube knapp 170 Aufrufe. Georg V. von Hannover war Pianist und Komponist und verfasste rund 200 Werke. Zu seinen engsten Freunden gehörten Schumann, Wagner und Brahms. Er wollte Hannover unbedingt zu einer europäischen Musikmetropole machen. Aber das funktionierte auf Dauer nicht, und Georg, im Hauptberuf König, macht auch sonst kaum was richtig.

Trotzdem, auch jetzt noch im 21. Jahrhundert versammeln sich jedes Jahr treue Hannoveraner unter ihren gelbweißen Fahnen am Gedenkstein Georgs V. Und der Boulevard berichtet alle Jahre über das zwischen Rapsfeldern und Wald gelegene Traumschloss, das der Welfe einst seiner geliebten Ehefrau und Königin Marie geschenkt hat, welches „der König aufgrund seiner Sehbehinderung nie selbst erblicken konnte und ihm deshalb ein Modell aus Kork angefertigt wurde, damit er es ertasten konnte“. Dass auf der baufälligen Marienburg heutzutage gerne Märchenfilme gedreht werden, passt perfekt ins tragisch-romantische Gesamtbild.

Der letzte König von Hannover wird am 27. Mai 1819 in Berlin geboren. Bereits als Kind erblindet er völlig. Beim Spielen schleudert er sich ein an der Schnur hängendes Säckchen ins rechte Auge, wenig später erblindet auch das schwache linke Auge vollends. Bitter schreibt Georg als junger Erwachsener in einem Gedicht: „Blind oder tot ist ziemlich einerlei.“

Georg ist sicher: Gott hat den Welfen ihren Thron gegeben

Trotzdem erhält er eine sorgfältige Erziehung, zumeist in Großbritannien. Der Prinz hat ein hervorragendes Gehör und ein bemerkenswertes Gedächtnis. Eine militärische Ausbildung kommt für ihn aber nicht infrage. Als nach Ende der Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover 1837 sein Vater Ernst August den Thron in Hannover besteigt, wird er Kronprinz. Ernst August will unbedingt, dass ihm sein einziger Sohn auf den Thron folgt und erlässt 1840 ein neues Landesverfassungsgesetz, nach dem körperliche Defekte kein Ausschließungsgrund für eine Regentschaft sind.

Doch schnell zeigt sich, dass der Kronprinz ein unrealistisches Weltbild pflegt. Er überhöht seine „von Gott gegebene“ königliche Bedeutung und die Stellung des Welfenhauses. Zwar hat auch Ernst August eine autokratische Staatsauffassung, ist aber flexibler. Georg dagegen steuert nach der Thronbesteigung 1851 zielbewusst einen reaktionären Kurs an. Mit der Hilfe seines Innenministers, des Grafen Wilhelm von Borries, der noch rückwärtsgewandtere Ansichten vertritt, hebt er Hannovers liberale Verfassung von 1848 auf. Während seiner 15-jährigen Regierungszeit verschleißt er sechs Kabinette. Er will „ganz König sein oder gar nicht“.

Für die Eheschließung braucht er die Erlaubnis der britischen Königin

Georgs Ehefrau: Königin Marie mit Kronprinz Ernst August, um 1846. | Bild: Wikimedia/Bernd Schwabe in Hannover

Wesentlich positiver wirkt sich für Hannover seine Liebe zur Kunst und speziell zur Musik aus. Er fördert Oper und Theater und zeigt sich als Gönner zeitgenössischer Komponisten, mit denen er selbst musiziert. Verheiratet ist Georg V. seit 1843 mit seiner großen Liebe Marie von Sachsen-Altenburg. Die Erlaubnis zur Vermählung musste er sich bei der britischen Königin Viktoria einholen, auch wenn die Personalunion zwischen beiden Ländern beendet ist.

Während Georg V. innenpolitisch immer konservativer wird und die liberale Opposition im Königreich Hannover bekämpft, orientiert er sich in der Außenpolitik, anders als sein den Preußen zugeneigter Vater, an Österreich. Unerschütterlich hält er am Deutschen Bund fest, der ihm einzelstaatliche Souveränität zu garantieren scheint. Die deutsche Einheitsidee passt nicht in sein Weltbild. Seine Antipathie gegenüber den Hohenzollern ist so groß, dass er ein preußisches Ultimatum ablehnt, sich im bevorstehenden Krieg zwischen Preußen und Österreich neutral zu verhalten. Er verzichtet auf den Bruch mit dem Deutschen Bund, schließt aber weder mit Österreich ein formelles Bündnis, noch verständigt er sich mit den süddeutschen Staaten auf eine gemeinsame Kriegsstrategie.

Die vollkommene Fehleinschätzung der Lage spielt Otto von Bismarck in die Karten. Das Königreich Hannover wird westlich und östlich von preußischem Staatsgebiet in die Zange genommen, und Preußens Ministerpräsident bekommt jetzt unverhofft die Gelegenheit, sich den unliebsamen Korridor einzuverleiben.

Hannover gegen Preußen: Die besseren Waffen entscheiden

Preußische Artillerie attackiert 1866 bei Langensalza die Hannoveraner. | Bild: Wikimedia/Georg von Boddien

Am 27. Juni 1866, ein heißer Tag, stehen sich bei Langensalza in Thüringen 16 500 Hannoveraner und 9500 Preußen gegenüber. Die Preußen sind in Unterzahl, haben aber die moderneren Waffen. Während Georgs Truppen noch mit Vorderladern schießen, benutzt der Gegner Zündnadelgewehre, die besonders schnell und leicht zu laden sind. Mehrere Durchbrüche der Hannoveraner werden zurückgeschlagen.

Schlussendlich lassen sich die Preußen zwar zurückdrängen, aber die Verluste der Hannoveraner sind hoch und die Überlebenden so geschwächt, dass sie nicht die Verfolgung aufnehmen. Schlacht gewonnen – Feldzug verloren. Zwei Tage später erfolgt die Kapitulation. Die von Marie vorgeschlagene Abdankung zugunsten des Sohnes Ernst August, die vielleicht den Thron gerettet hätte, lehnt Georg V. strikt ab und flieht nach Wien. Sein Königreich, das es erst seit 50 Jahren gibt, wird als Provinz Hannover in das Königreich Preußen eingegliedert.

Als die Preußen in Hannover einmarschieren, gibt es Partisanenbewegungen, nachts werden die Bürgersteige gelb-weiß angestrichen. Als die Preußen das Leineschloss übernehmen und beim Hochziehen der preußischen Fahne der Flaggenstock bricht und in die Leine fällt, bricht großer Jubel unter den Zuschauern aus.

Wie sich Preußen im 19. Jahrhundert immer mehr ausbreitet. | Karte: Michael Floiger

Georg will den Verlust seines Königreiches nicht wahrhaben

Der ehemalige König will sich partout nicht mit der Situation abfinden und lässt in Frankreich die Zeitschrift „La Situation“ herausgeben, die die neue politische Lage in Deutschland angreift. Georg will so den Hass der Franzosen gegen das preußische Deutschland anfachen. Außerdem stellt er eine Privatarmee aus hannoverschen Flüchtlingen und Offizieren auf. Die sogenannte Welfenlegion soll bei einem möglichen Krieg auf französischer Seite kämpfen und sein verlorenes Königreich zurückerobern.

Daraufhin setzt Bismarck die großzügige Entschädigung für den Verlust des Königreiches für Georg V. aus und beschlagnahmt das Vermögen des Hauses Hannover, 16 Millionen Vereinstaler, rund 48 Millionen Mark. Die Erträge aus dem Welfenfonds, der zunächst geheim bleibt, nutzt er zur politischen Einflussnahme, insbesondere im Kulturkampf der 1870er-Jahre, aber auch zur Beeinflussung von kritischen Journalisten und innenpolitischen Gegnern, die er als „Reptilien“ bezeichnet. Daher auch der Name Reptilienfonds. Mehrere Millionen fließen zudem in die Schatulle des Bayernkönigs Ludwig II., der damit seine Traumschlösser finanziert. Als Gegenleistung unterstützt er die deutsche Reichsgründung 1871. Erst nach Ludwigs Tod und Bismarcks Rücktritt als Reichskanzler 1890 werden die Zahlungen bekannt. 1892 hebt Wilhelm II. die Beschlagnahme des Welfenfonds auf. Das Kapital wird in eine Staatsschuld verwandelt, die Zinsen gehen an die Erben Georgs V.

Am 12. Juni 1878 stirbt der letzte König von Hannover an Knochentuberkulose in Paris. Er wird in der St.-Georges-Kapelle in Schloss Windsor beigesetzt. Bis zuletzt hält er an seinen Thronansprüchen fest. Zeitlebens gibt auch sein Sohn, der neue Herzog von Cumberland, nie den Thronanspruch auf Hannover auf.

 

Der Artikel stammt aus unserem aktuellen Heft zu den Welfen. Weitere Infos zur Ausgabe 3/2022 hier, zu bestellen hier.