Vor 500 Jahren erheben sich Hunderttausende Bauern und Bürger quer durch Deutschland. Sie fordern Menschenrechte und formen eine Bewegung, die bis heute ihresgleichen sucht. Doch ihr Aufstand eskaliert zum Bauernkrieg.
von Christian Pantle
Am 8. Mai 1525 steht das Rebellenheer erstmals vor verschlossenen Toren – nach einem beeindruckenden Siegeszug, der drei Wochen zuvor begann: Mitte April marschierten 2000 bewaffnete Bauern und Bürger im Norden Württembergs los, angeführt von dem Gastwirt Matern Feuerbacher, den sie zum obersten Hauptmann gewählt hatten. Die Aufständischen nahmen kampflos einen Ort nach dem anderen ein, sogar die Landeshauptstadt Stuttgart, und rekrutierten dabei immer weitere Truppen aus dem Volk. Auf 12 000 Mann schwoll so ihre Streitmacht an, die nun vor Herrenberg steht, einem befestigten Städtchen südwestlich von Stuttgart.
Die Aufständischen sind nicht die einzigen, die es auf Herrenberg abgesehen haben. Nur einen Tagesmarsch entfernt steht eine 8000 Mann starke Armee des Adels, angeführt von dem Feldherrn Georg Truchsess von Waldburg. Der hatte schon einige Hundert bayerische Landsknechte vorausgeschickt, und diese Vorhut blickt jetzt von den Stadtmauern herab auf ein Meer aus kampfbereiten Bauern und Bürgern, die zudem 33 Kanonen mit sich führen.
Der Rebellenführer Matern Feuerbacher achtet auf Disziplin in seinen Reihen
Feuerbacher fordert Herrenberg schriftlich zur friedlichen Übergabe auf, ohne Erfolg. Um 10 Uhr beginnt der Angriff: Von drei Seiten rennen die Rebellen auf die Stadtmauern zu. Doch die Landsknechte und Einwohner Herrenbergs werfen die Anstürmenden von den Leitern und wehren zwei Angriffswellen ab. Die Aufständischen allerdings haben kriegserfahrene Männer in ihren Reihen – und weitere Belagerungstechniken in petto: Sie schießen Feuerpfeile über die Mauern, setzen so 18 Häuser in Brand, und sie sprengen mit Pulver ein Stadttor in die Luft.
Nun kapitulieren die Herrenberger. 200 Rebellen kamen bei dem Kampf ums Leben. Trotzdem verhalten sich die Sieger diszipliniert, ihr Anführer Feuerbacher lässt die gefangenen Landsknechte sogar eigens vor Rache beschützen.
Von Südtirol bis Thüringen übernehmen die Aufständischen die Macht
Georg Truchsess von Waldburg zieht am nächsten Morgen mit seiner Söldnerarmee nach Herrenberg, wagt aber fürs Erste keinen Angriff, da ihn die Rebellen bereits in Schlachtordnung erwarten. In der Nacht entschwinden sie dann unbemerkt, hin zu der 16 Kilometer entfernten Stadt Böblingen. Noch einmal sind Feuerbacher und seine Männer dem Truchsess entschlüpft. Es sollte der letzte Aufschub sein vor der großen Schlacht um Württemberg, die einen Wendepunkt darstellen wird im größten Volksaufstand, den Europa bis zur Französischen Revolution 1789 erlebt.
Denn Feuerbacher und sein Heer sind nur ein Teil des umfassenden Freiheitskampfes, den der kommunistische Vordenker Friedrich Engels 1850 mit Recht den „großartigsten Revolutionsversuch des deutschen Volkes“ nennt: Geschätzt 200 000 Bauern und Bürger erheben sich 1525 gegen ihre adligen Herren und organisieren sich in paramilitärischen Verbänden quer durch die deutschsprachigen Länder. Vom Bodensee bis Thüringen, von Salzburg bis Südtirol übernehmen sie die Macht im Land und entwickeln demokratische Reformideen, die heute noch faszinierend progressiv erscheinen.
Seinen Anfang nahm der Aufstand Mitte 1524 in Stühlingen ganz im Südwesten Deutschlands. Von dort verbreitete er sich über Schwaben und erhielt im März 1525 einen entscheidenden Schub: 50 Delegierte der Rebellenvereinigungen tagten in Memmingen und beschlossen ihr politisches Programm, die „Zwölf Artikel“.
Ihre „Zwölf Artikel“ enthalten eine der frühesten Forderungen nach Menschenrechten
Die Aufständischen fordern unter anderem die Abschaffung der Leibeigenschaft, denn Jesus Christus habe alle erlöst, „den Hirten gleich wie den Höchsten, keinen ausgenommen“. Daraus folge, „dass wir frei sind und sein wollen“. Sprich: Alle Menschen sollen frei sein! Zudem soll es eine unparteiische Rechtsprechung nach dem Gesetz geben, „sodass nach der Sache verhandelt wird, und nicht nach Gunst“.
Die Bauern zeigen sich hier fortschrittlicher als die größten Denker ihrer Zeit; ihre „Zwölf Artikel“ enthalten eine der frühesten Forderungen nach Menschenrechten. Am 19. März 1525 geben sie das Manifest in Augsburg in Druck. Sie gehören damit zu den Ersten, die das neue Massenmedium Flugschrift politisch einsetzen – mit verblüffendem Erfolg: Die Zwölf Artikel verbreiten sich rasend schnell; binnen zwei Monaten wird das Manifest in 14 weiteren Städten gedruckt, von Zürich bis nach Breslau im heutigen Polen. Die Gesamtauflage beträgt geschätzt 25 000 Stück, damals eine ungeheuer hohe Zahl.
Das Programm der Aufständischen bringt quer durch Süd- und Mitteldeutschland die Menschen in Bewegung. An verschiedensten Orten formieren sich wie aus dem Nichts Bauernheere, die sich auf die Zwölf Artikel berufen.
Der Adel reagiert nach anfänglicher Schockstarre mit Waffengewalt, und der zunächst friedliche Aufstand eskaliert zum sogenannten Bauernkrieg. Feldherr Georg Truchsess schlägt am 4. April 1525 bei Leipheim nahe Ulm die erste Schlacht: Er vertreibt ein Bauernheer und lässt die Fliehenden zu Tausenden niedermetzeln.
Zwölf Tage später erstürmen Rebellen die Stadt Weinsberg und richten zehn Adlige durch einen Spießrutenlauf hin. Dies bleibt ihre einzige derartige „Bluttat“. Trotzdem fordert Martin Luther nun in der Hetzschrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“, die Aufständischen erbarmungslos zu töten.
70 000 Bauern und Bürger sterben für Freiheit und Gleichheit
Anfang Mai nähert sich Georg Truchsess dem eingangs erwähnten Rebellenheer unter Matern Feuerbacher. Dieses stellt sich am 12. Mai bei Böblingen zur großen Schlacht um Württemberg. Der Kampf wogt über Stunden hin und her, am Ende siegt der Truchsess. Erneut töten seine Soldaten Tausende. Feuerbacher entkommt.
Wenige Tage später folgen weitere Entscheidungsschlachten: am 15. Mai in Thüringen, vom 16. bis 20. Mai im Elsass. An diesen Kämpfen ist der Truchsess nicht beteiligt; er vernichtet am 2. und 4. Juni noch zwei Rebellenheere in Franken und erhält den Spitznamen „Bauernjörg“.
Insgesamt werden von April bis Juni 1525 an die 70 000 Bauern und Bürger getötet, ihre Ideen von Freiheit und Gleichheit im Blut erstickt. Im Dezember 1525 ist der Bauernkrieg in Deutschland endgültig niedergeschlagen, im Juli 1526 auch in Österreich und Südtirol. Er ist eine der furchtbarsten Tragödien der deutschen Geschichte, die langfristig aber auch positive Folgen zeigt, weil der aufgeschreckte Adel der Bevölkerung fortan mehr Rechte einräumt.
Württembergs Rebellenführer Matern Feuerbacher kann zunächst untertauchen, wird aber 1527 verhaftet und vor das Kaiserliche Hofgericht in Rottweil gestellt. Es folgt ein monatelanger Mammutprozess, in dem 75 Zeugen verhört werden und am Ende zwölf Geschworene das Urteil fällen: „nicht schuldig“. Es ist ein sensationeller Freispruch – ohne weitere Begründung und zum gewaltigen Ärger der Württemberger Landesregierung.
Passagen des Artikels stammen aus dem neuen Buch von G/GESCHICHTE-Chefredakteur Christian Pantle: „Der Bauernkrieg. Deutschlands großer Volksaufstand“ (Propyläen 2024, 336 S., € 22,–). Es schildert den dramatischen Kampf des Volkes um mehr Rechte und bringt den Konflikt anhand zweier Gegenspieler nahe: Georg Truchsess und Matern Feuerbacher.