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Freiheit statt Knute

Zwischen Tatarensteppe und Moskauer Reich gab es eine Chance für mutige Männer, die lieber ihr Leben riskierten, statt als leibeigene Bauern zu vegetieren. Es ist die Wiege der Kosaken, die später im 17. Jahrhundert den ersten unabhängigen ukrainischen Staat gründen.

von Regina Stürickow

Das Museumsdorf Chortycja in der ukrainischen Metropole Saporischschja erinnert an die wilden Tage der Zaporožer Kosaken. | Bild: istockphoto.com/kaetana

Der österreichische Diplomat Erich von Lassota zögerte und ließ Seiner Majestät Kaiser Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, König von Böhmen, König von Ungarn und Erzherzog von Österreich, am 27. Januar 1594 „untertänigst“ übermitteln, dass er in aller Ergebenheit zu der Reise bereit sei. Da es sich aber um eine äußerst gefährliche Mission handele, und er leicht ins Gefängnis oder „andere Ungelegenheiten“ geraten könne, wäre seine „gehorsamste Bitte“, der Kaiser möge sich in einem solchen Falle „allergnädigst“ seiner annehmen. Lassota war vorsichtig geworden. 1590 war er im Auftrag des Erzherzogs Maximilian zu einer Mission nach Russland aufgebrochen. Doch die Schweden hielten ihn für einen Spion, fingen ihn ab, nahmen ihn gefangen und drohten ihm mit Folter. Erst 1593 erreichte Rudolf II. seine Freilassung.

Seiner Karriere hatte die gescheiterte Mission keinen Abbruch getan und Lassota wurde Rudolfs „Mann für alle Fälle“. 1594 entsandte er ihn zu den Zaporožer Kosaken, um diese als militärische Unterstützung gegen die gefürchteten Krimtataren, die Ungarn bedrohten, zu gewinnen. In diplomatischen Kreisen war bekannt, dass jene unerschrockenen „freien Krieger“ im Kampf mit den Tataren Erfahrung hatten und sich gern für die Teilnahme an Feldzügen gewinnen ließen.

Ein österreichischer Aristokrat im Land der wilden Steppenreiter

Lassota ließ sich auf das Abenteuer ins Ungewisse ein und brach am 5. März 1594 über Ungarn in Richtung Osten auf. Ein kaiserliches Gefolge begleitete ihn und im Gepäck hatte er 8000 Golddukaten, mit denen er die Kosaken freundlich stimmen sollte. Das Wort Kosak (‚kazak‘ turk-mongolisch: der freie Nomade) bezeichnete Siedler, die sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in den Steppengebieten Osteuropas, der breiten ­Grenzzone, dem Niemandsland zwischen den muslimischen, orthodoxen und katholischen Machtbereichen, angesiedelt hatten: Bauern, die vor der Ausbeutung der Gutsbesitzer in die Steppen flohen. Ein entbehrungsreiches, aber freies Leben. Sie ließen sich in den Flusswäldern an den Unterläufen von Dnjepr, Don, Terek, Wolga und Jaik (heute: Ural) nieder, lebten von der Jagd, vom Fischfang, der Bienenzucht und von der Beute aus Raubzügen. Die undurchdringlichen Wälder schützten sie vor den tatarischen Reitern, die im Dickicht gezwungen waren, von ihren Pferden abzusteigen.

Als Reiter vermochten die Kosaken mit den Tataren nicht zu konkurrieren. Ihr bevorzugtes Fortbewegungsmittel war daher lange das Boot. Auf den Inseln in den Mündungsgebieten der Flüsse errichteten die Kosaken befestigte Lager. Auf einer Dnjeprinsel schufen sie einen festen Stützpunkt, die Sič. Die erste wurde von den Tataren zerstört, hinter den Dnjeprstromschnellen (za porogamy) aber neu errichtet, daher der Name Zaporožer Kosaken.

Eine kriegerische Gemeinschaft mit demokratischen Prinzipien

Kosak mit Muskete. | Bild: Wikimedia/Alex Tora

Die überwiegende Mehrheit der Kosaken waren orthodoxe Ostslawen, die sich besonders durch den Hass auf Katholiken und Muslime, die sie gleichermaßen bekämpften, verbunden fühlten. Vor allem Menschen, die die Ausbreitung des Katholizismus in der Ukraine nicht akzeptierten, schlossen sich vorübergehend den Kosaken an. Obwohl die Kosaken nicht explizit religiös waren, galten sie als die Beschützer der orthodoxen Bevölkerung Polen-Litauens.

Nach dem Prinzip der Freiheit und der Gleichheit gründeten die Kosaken ein demokratisch anmutendes Gemeinwesen. Oberstes Entscheidungsorgan war die Versammlung aller Kosaken, der Ring (kolo oder krug). Der Ring wählte den Anführer, den Hetman oder Ataman, hielt Gericht und traf wichtige Entscheidungen. Der Hetman erhielt zwar Entscheidungskompetenzen und alle Kosaken hatten ihm Gehorsam zu leisten, aber er konnte auch abgewählt werden. Der früheste Augenzeugenbericht über die Organisation der Zaporožer Kosaken ist von Erich Lassota überliefert.

Schwierige Verhandlungen und Überfälle

Lassota traf am 9. Juni 1594 auf der Dnjeprinsel ein und wurde wie ein Staatsgast vom Ring empfangen. Die Verhandlungen gestalteten sich schwierig. Die Beratungen im Ring verliefen kontrovers, und es kam zu keiner Einigung. Der Ring spaltete sich in Offiziere und „gemeine Leute“ auf, die nach Tagen zu einer Entscheidung kamen, die sie später aber widerriefen. Am Ende wurde ein Kompromiss gefunden und am 2. Juli 1594 trat Lassota in Begleitung von zwei zaporožischen Abgesandten die Rückreise an. Schließlich kam es doch zu einem Bündnisversprechen.

Für die Kosaken an Dnjepr und Don waren ständige Auseinandersetzungen mit Krimtataren und Osmanen an der Tagesordnung. Regelmäßig fielen Tataren in die Grenzgebiete ein, raubten Vieh und Pferde, brandschatzten, verschleppten Menschen und verkauften sie als Sklaven an die Osmanen oder nach Persien. Die Kosaken ihrerseits überfielen Tataren und osmanische Karawanen.

Die Don- und die Dnjeprkosaken fuhren mit ihren kleinen, beweglichen Schiffen, čajki (Möwen) genannt, bis ins Schwarze Meer. Bis zu 70 Mann fanden in solch einem Boot Platz. Zudem waren sie mit Feuerwaffen, Säbeln und leichten Kanonen und jeder Menge Kanonenkugeln bewaffnet. Damit enterten sie osmanische ­Galeeren und raubten sie aus. Auch die Küstenstädte waren vor den Kosaken nicht sicher. 1604 plünderten sie die Hafenstadt Warna, 1615 und 1623 gelangten sie sogar bis nach Konstantinopel, verheerten die Vorstädte und setzten sie in Brand. Eine osmanische Flotte verfolgte die Feinde, wurde aber von den Kosaken, dem „Fluch des Schwarzen Meeres“, versenkt. 1637 gelang es den Don- und Dnjeprkosaken, die an der Mündung des Don ins Asowsche Meer gelegene osmanische Festung Asow zu erobern, was der Zar in Moskau jedoch äußerst missbilligte, denn er wollte keinesfalls in einen offenen Konflikt mit dem Osmanischen Reich gezogen werden.

Der wehrhafte Palisadenzaun von Chortycja ist eine moderne Rekonstruktion. | Bild: istockphoto.Com/Siempreverde22

Von den Küsten des Schwarzen Meers zu den unendlichen Weiten Sibiriens

Neben den „wahren Kosaken“ gab es seit dem 16. Jahrhundert die sogenannten Dienstkosaken, die als Wehrbauern mit Grundbesitz an den Grenzen dienten. Sie standen als Grenzposten im Dienste des Moskauer Reichs und des Königreichs Polen-Litauen oder kämpften als Söldner gegen Tataren und Osmanen. Eine große Streitmacht von Kosaken, die Quellen sprechen von 40 000 Mann, soll bei der Schlacht bei Chotyn 1621 den Polen zum Sieg über die Osmanen verholfen haben. Die Dienstkosaken erhielten Sold und ein kleines Grundstück zur Selbstversorgung. Sie waren freie Dienstleute, die keine Steuern oder Abgaben bezahlen mussten.

Die Kosaken waren eine reine Männergesellschaft, eine Art Bruderschaft, in der es keine Frauen gab. In der Anfangszeit war die Sič den Frauen sogar verboten. Doch diese Bestimmung ließ sich nicht lange aufrechterhalten. Da es einen großen Mangel an Frauen gab, entführten die Kosaken auf ihren Raubzügen tatarische und kaukasische Frauen. Bei den Zaporožer Kosaken gab es jedoch eine Besonderheit. Die meisten hatten Familien in den Grenzstädten, in die sie, meist im Winter, zurückkehrten. Viele ins Steppengebiet geflüchtete Bauern hatten auch ihre Familien mitgenommen. Als die Kosaken begannen, Viehzucht zu betreiben, wurden die Frauen immer wichtiger, denn sie kümmerten sich um Haus und Hof, wenn die Männer im Krieg waren und übernahmen dann auch reine „Männeraufgaben“ wie die Grenzbewachung. Bei diesem Dienst waren sie sogar bewaffnet. Die Kosakenfrauen standen im Ruf, selbstständig und selbstbewusst zu sein.

An der Expansion Russlands nach Osten und Süden waren die Kosaken maßgeblich beteiligt. Eine entscheidende Rolle spielten sie bei der Eroberung Sibiriens. Der legendäre Wolgakosak Jermak führte im Auftrag der Kaufmannsfamilie Stroganow 1582 den ersten Feldzug über den Ural aus. Bis ins 18. Jahrhundert dienten Kosaken an der Südgrenze Sibiriens als Grenzwächter gegen Einfälle von Mongolen und gaben Handelskarawanen Begleitschutz. Sie wurden von der Regierung besoldet und mit Lebensmitteln versorgt, doch ihre Traditionen behielten sie auch in Sibirien bei. „Die sibirischen Kosaken waren einerseits Agenten der zarischen Kolonialherrschaft, andererseits bewahrten sie in den Weiten Sibiriens bis ins 18. Jahrhundert hinein eine gewisse Eigenständigkeit, die sich in häufigen Aufständen gegen die lokalen Behörden zeigte“, schreibt der österreichische Historiker und Russlandkenner Andreas Kappeler.

 

Der Artikel stammt aus Heft 11/2018 zu den Kosaken.
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