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Deutsches Reich

Im Schatten der Kaiser-Wilhelm-Spitze

1889 erklimmen Österreicher erstmals den Gipfel des Kilimandscharo und benennen ihn nach dem deutschen Kaiser. Welche Tragödien sich zu Füßen des höchsten Bergs Afrikas abspielen, wird dabei gern übersehen.

von Karin Schneider-Ferber

Der Gipfel heißt heute „Uhuru Peak“, „Freiheitsgipfel“. | © Istockphoto.com/1001slide

Für Hans Meyer, den begeisterten Forscher, Geographen und Erstbesteiger des Kilimandscharo, war allein der Anblick des gigantischen Bergmassivs in Ostafrika ein überwältigendes Erlebnis: „Über den Wolken strahlt plötzlich aus dem Himmelsblau ein erhabenes Bergbild in schneeblendender Weiße hervor wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Es ist der Kibo, der Hauptgipfel des Kilimandscharo.“ Wie eine magische Erscheinung nahm sich der knapp 6000 Meter hohe, nebelumhüllte Vulkankegel, der höchste Berg Afrikas, aus. Der abenteuerlustige Verlegersohn, dessen Vater das berühmte „Mayers Konversationslexikon“ herausgab, war erst nach zwei gescheiterten Versuchen endlich am 6. Oktober 1889 um 10.30 Uhr an seinem erträumten Ziel und betrat die aus „losen Trümmern bestehende Felsspitze“.

1889: Der Kilimandscharo ist der höchste Punkt Deutschlands

Die Spitze des höchsten Berges in Ostafrika ist zeitweise nach ihm benannt: Kaiser Wilhelm II. | © Wikimedia/Imperial War Museum

Mit seinem Mitstreiter, dem österreichischen Alpinisten Ludwig Purtscheller, nahm er den Gipfel offiziell für den deutschen Kaiser in Besitz: „Ich pflanzte auf dem verwetterten Lavagipfel mit dreimaligem, von Herrn Purtscheller kräftig sekundiertem, Hurra eine kleine, im Rucksack mitgetragene deutsche Fahne auf und rief frohlockend: Mit dem Recht des ersten Ersteigers taufe ich diese bisher unbekannte, namenlose Spitze des Kibo, den höchsten Punkt afrikanischer und deutscher Erde, auf den Namen: Kaiser-Wilhelm-Spitze.“ Damit hatte das Kaiserreich eine neue Attraktion: der Kilimandscharo löste bis 1918 die Zugspitze als höchsten Berg Deutschlands ab. Wilhelm II. erhielt ein Stück Lavagestein vom Gipfel.

Welche menschlichen Tragödien sich zu Füßen der neuen „Kaiser-Wilhelm-Spitze“ abspielten, wurde von den Zeitgenossen dagegen leichtfertig übersehen. Bezeichnenderweise hatte auch Hans Meyer nicht überliefert, ob einer seiner einheimischen Träger und Führer, die ihm trotz unzureichender Ausrüstung den Aufstieg erst ermöglicht hatten, beim Gipfelsturm mit dabei war. Ein schwarzer Erstbesteiger, eventuell Yohana Lauwo, passte weder ihm noch den anderen preußischen Hurra-Patrioten ins Weltbild.

Des Kaisers neues „Kronjuwel“ ist groß und bevölkerungsreich

Deutsch-Ostafrika, die größte und bevölkerungsreichste Kolonie des Deutschen Reiches auf dem Gebiet der heutigen Staaten Tansania, Ruanda und Burundi, war in der Tat ein bedeutendes Stück vom Kuchen der kolonialen Weltordnung. Des Kaisers neues „Kronjuwel“ lag zwischen den Ufern des Indischen Ozeans, des Victoria-, des Taganjika- und des Malawisees und erstreckte sich über eine Fläche von sagenhaften 995.000 Quadratkilometern, auf denen etwa acht bis zehn Millionen Menschen unterschiedlicher Ethnien und Sprachen lebten – für die allermeisten Deutschen „terra incognita“, für die ihnen jedes Verständnis fehlte.

Ihre Existenz verdankte die Kolonie denn auch allein dem Fanatismus eines Mannes, der weder für die Vielfalt der Kulturen noch für die zahlreichen Naturwunder Augen und Ohren hatte: Carl Peters, Pastorensohn aus Neuhaus an der unteren Elbe, glühender Nationalist und gefühlter Herrenmensch qua Geburt. „Ich behaupte, dass wir die erste Rasse in der Welt sind und dass es umso besser für die menschliche Rasse ist, je mehr von der Welt wir bewohnen“, meinte er selbstbewusst. Nachdem er eine Weile bei seinem Onkel in England gelebt und dort die Vorzüge des Empire kennengelernt hatte, gründete er 1884 in Berlin die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“, um Siedlungsland in Afrika zu erwerben. Mit dem Geld seiner Kleinanleger begab er sich zusammen mit zwei Mitstreitern, Carl Ludwig Jühlke und Graf von Pfeil, noch im gleichen Jahr nach Sansibar. Von dort begann er, ohne jegliche staatliche Unterstützung an der ostafrikanischen Küste Landgebiete aufzukaufen, indem er einheimische Stammesführer beschwatzte und mit Hilfe von Alkohol und kleinen Geschenken dazu brachte, auf Deutsch verfasste Verträge zu unterzeichnen. In den von Stammeskonflikten und Sklavenjagden geschundenen Regionen fiel es ihm leicht, sich durch das Abfeuern einiger Gewehrsalven als „Schutzherr“ aufzuspielen. In nur drei Wochen bekam Peters auf diese Weise ein Gebiet von rund 140.000 Quadratkilometern zusammen.

Ausbeutung, legitimiert durch den Schutzbrief des Kaisers

Bismarck hielt von diesem Geschacher nichts. Doch nach Beendigung der Kongo-Konferenz lenkte der Reichskanzler ein und sorgte dafür, dass Kaiser Wilhelm I. am 27. Februar 1885 die Erwerbungen unter den Schutz des Reiches nahm. Der Schutzbrief übertrug Peters praktisch alle Machtbefugnisse in Ostafrika und gab ihm Gelegenheit, sich „ein Reich nach meinem Geschmack“ zu ergaunern. Mit seiner neu gegründeten „Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft“ (DOAG) jagte er den Einheimischen immer mehr Gebiete ab, wobei seine „Erwerbs-Expeditionen“ nichts weniger als Raub- und Plünderungszüge ins Landesinnere waren, begleitet von Exzessen gegen die Zivilbevölkerung. Wirtschaftlich blieb die Kolonie chronisch defizitär, denn es konnten nur einige wenige Baumwoll-, Sisal- und Kautschukplantagen gegründet werden.

Aufstände gegen die fremden Herrscher enden blutig

Nach einem Aufstand der Küstenbevölkerung greift Bismarck ein. | © Wikimedia

Dafür gab es reichlich Ärger. Nachdem ein Aufstand der Küstenbevölkerung die Herrschaft der DOAG 1888 an den Abgrund geführt hatte, sah sich Bismarck zum Eingreifen genötigt und schickte einige Kriegsschiffe in den Indischen Ozean. Sein Offizier Hermann von Wissmann schlug die Rebellion blutig nieder. 1891 übernahm das Deutsche Reich offiziell die Herrschaft über die Schutzgebiete, die nun erst zur Kolonie Deutsch-Ostafrika wurden. Um internationale Querelen zu vermeiden, hatte sich Bismarck bereits im Jahr zuvor mit England im sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrag über die Interessensphären in Ostafrika geeinigt. England übergab Helgoland dem Deutschen Reich und anerkannte die Kolonie Deutsch-Ostafrika, behielt aber seine Hoheit über Sansibar sowie einige anderer ostafrikanischer Grenzgebiete. Peters tobte. Seinem Plan eines mittelafrikanischen Reiches von der Ost- bis zur Westküste – ein „deutsches Indien“ – war ein Riegel vorgeschoben worden.

In der neuen Kolonie regierten von Anfang an Angst und Schrecken. Da es zu keiner nennenswerten Siedlungsbewegung kam, herrschte eine hauchdünne Minderheit aus deutschen Beamten und Offizieren über Millionen von Einheimischen, was nur mit drakonischer Härte möglich war. Peters, der zum Reichskommissar für das gesamte Kilimandscharo-Gebiet ernannt worden war, errichtete im Schatten des „afrikanischen Riesen“ eine wahre Terrorherrschaft: „Peters ist halb verrückt“, gestand einer seiner Mitarbeiter ein. „Es ist kaum zu glauben, welche Angst die Leute haben.“ Peters gefiel sich in der Rolle des absolutistischen Herrschers. Willkürliche Todes- und Leibesstrafen waren an der Tagesordnung. Er überzog aber den Bogen, als er seinen jungen Diener Mabruk und seine schwarze „Geliebte“ Jagodja grausam hinrichten und das Dorf, in dem Jagodja Zuflucht gesucht hatte, niederbrennen ließ. Peters wurde abberufen. August Bebel macht 1896 den Skandal um „Hänge-Peters“ im Reichstag bekannt, doch strafrechtlich belangt wurde der Missetäter nie.

Die Deutschen hinterlassen ein Meer von Blut und Tränen

Die Eingeborenen wehrten sich verzweifelt gegen diese Tyrannei. Jahrelang zog das Volk der Hehe unter ihrem König Mkwawa gegen die fremden Herren zu Felde und fügte ihnen zum Teil schmerzhafte Niederlagen zu. Sieben Jahre lang tobte der Krieg – bis sich Mkwawa schließlich 1898 zur Aufgabe durch Selbstmord genötigt sah. 1905 kam es zu einer neuen, noch gefährlicheren Aufstandsbewegung, als sich über 20 ostafrikanische Stämme trotz traditioneller Feindschaft gegen die weißen Machthaber und ihr drückendes Steuersystem vereinigten. Ermutigt durch einen religiösen Führer und Heiler, der ihnen Unverwundbarkeit durch einen Zaubertrank, dem geweihten Wasser Maji-Maji, versprach, preschten sie zu Tausenden los. Der Ruf: „Maji-Maji, Tod den Deutschen“ hallte durch das Land.

Deutsche Kolonialisten zu Füßen des ­Kilimandscharo. ­Ein­heimische tragen das Gepäck. Brockhaus-Illustration von 1911. | © Wikimedia/Rudolf Hellgrewe

Trotz erster Erfolge konnten die Aufständischen gegen die Schnellfeuergewehre der Kolonialherren nichts ausrichten. Sie wurden durch den Einsatz von Maschinengewehren wie Gras niedergemäht. Zwei Jahre lang wandten die Schutztruppen daraufhin eine Taktik der verbrannten Erde an, bis die Kräfte der Einheimischen zu Gänze erschöpft waren. Die Vernichtung von Feldern und Dörfern lösten Hungersnöte und Seuchen aus. Schätzungsweise 100.000 bis 300.000 Menschen kamen infolge des Maji-Maji-Krieges ums Leben. So hinterließ die deutsche Kolonialmacht nichts als ein Meer von Blut und Tränen in Ostafrika. Das Wilhelminische „Kronjuwel“ verströmte keinen Glanz.

 

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