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Seuchen und ihre Leugner

Angst vor einer Gesundheits-Diktatur, Sorge vor wirtschaftlichen Einbußen und ein Forscher im Zentrum der Kritik: Kommt einem irgendwie bekannt vor.

Die Beulenpest wütete 1720 in Marseille und Umland. Das Bild zeigt die Vorbereitung einer Massenbestattung. | © Wikimedia


von Michael Feldhoff

Der letzte Ausbruch der Pest in Westeuropa ereignete sich vor 300 Jahren: 50 000 Menschen starben 1720 im französischen Marseille an der Seuche. Das sind wenige im Vergleich zu den großen Pestwellen, trotzdem wurden bald Verschwörungstheorien verbreitet – mit überraschenden ­Parallelen zur heutigen Zeit.

Als die Pest in Frankreich wütete, ergriff England umfassende Quarantänemaßnahmen und rief dadurch Pest-Leugner auf den Plan, wie der Historiker André Krischer von der Universität Münster jetzt herausgearbeitet hat. Gerüchte wurden laut über dunkle Machenschaften der Regierung, die Freiheiten beschneiden, Militär im Land einsetzen und Familien voneinander trennen wolle. Damals gab es im eigentlich aufgeklärten Großbritannien noch genügend Menschen, die die Pest für eine Strafe Gottes hielten und nicht für eine infektiöse Krankheit.

England hatte einen Drosten

1720: Arzt und Epidemiologe Richard Mead empfahl strikte Maßnahmen zum Eindämmen der Pest. | © Wikimedia/National Portrait Gallery/NPG 4157

Zielscheibe der Debatte war der Arzt und Epidemiologe Richard Mead, den Krischer als „Christian Drosten des 18. Jahrhunderts“ bezeichnet: Mead empfahl strikte Maßnahmen zum Eindämmen der Pest – und schuf sich so viele Feinde. Seine Nähe zur Politik und die Tatsache, dass er Quäker und nicht Anglikaner war, machten ihn für viele Engländer verdächtig. Erst nach Abflauen der Pest in Marseille flauten auch die Verschwörungstheorien ab.