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„Sultan, küss unseren Hintern“

Der tapfere ukrainische Widerstand hat eine große Geschichte, wie der Artikel aus unserem Heft 11/2018 „Die Kosaken“ zeigt. Gleichheit, Freiheit, Abenteurertum – In den Zaporožer Kosaken steckt die Quint­essenz des Kosakentums. Und das wird nirgendwo so deutlich wie auf einem der berühmtesten russischen Gemälde.

von Christoph Driessen

Die Kosaken haben eine diebische Freude beim Verfassen eines unflätigen Briefes an den Sultan. | Bild: Wikimedia/The Yorck Project

Auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise hängen 2014 auf dem Maidan in Kiew Plakate mit der Aufforderung „Wähle!“. Dazu sind die beiden bekanntesten Bilder des russischen Malers Ilja Repin (* 1844,† 1930) abgebildet. Das eine, „Die Wolgatreidler“, zeigt eine Reihe von zerlumpten Männern an einem Flussufer, die an einem Strick einen Lastkahn hinter sich herziehen (siehe oben). Es ist eine furchtbare Plackerei. Auf dem zweiten Bild dagegen sind die Zaporožer (alte Transkription: Saporoger) Kosaken zu sehen, die einen Spottbrief an den Sultan aufsetzen (siehe unten). Das also ist die Wahl, die die Ukrainer dem Plakat zufolge haben: entweder Sklaverei unter russischem Joch – oder selbstbewusster Widerstand gegen einen scheinbar übermächtigen Potentaten, sprich Putin.

Bootsfahrer auf der Wolga (1870-73), bekanntes Gemälde von Ilja Repin. | Bild: Wikimedia/lj.rossia.org

Das Beispiel zeigt, wie präsent und hochpolitisch das Monumentalgemälde „Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief“ auch heute noch ist. Repin hatte 1878 an einem geselligen Abend bei einem Kunstmäzen zum ersten Mal von jenem legendären Brief gehört, den die Zaporožer Kosaken der Überlieferung zufolge 1676 an den Sultan geschickt hatten. Der Herrscher ärgerte sich seit Langem über ihre Piratenfahrten bis weit aufs Schwarze Meer hinaus. Nicht genug damit, dass die Kosaken Schiffe kaperten, 1637 hatten sie sogar die türkische Festung Asow erobert.

Ein Brief, an Unflätigkeit kaum zu überbieten

Doch jetzt hatte der Sultan genug und verlangte unter Kriegsandrohung die sofortige Unterwerfung des wilden Haufens. Doch davon wollten die stolzen Steppenkrieger nichts wissen. Sie setzten einen Antwortbrief auf, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: „Du türkischer Teufel! […] Dein Heer fürchten wir nicht, werden zu Wasser und zu Lande uns mit dir schlagen, gefickt sei deine Mutter! Du Küchenjunge von Babylon, Radmacher von Mazedonien, Ziegenhirt von Alexandria, Bierbrauer von Jerusalem, Sauhalter des großen und kleinen Ägypten, Schwein von Armenien, tatarischer Geißbock, Verbrecher von Podolien, Henker von Kamenez und Narr der ganzen Welt und Unterwelt, dazu unseres Gottes Dummkopf, Enkel des leibhaftigen Satans und der Haken unseres Schwanzes. Schweinefresse, Stutenarsch, Metzgerhund, ungetaufte Stirn, gefickt sei deine Mutter! So haben dir die Saporoger geantwortet, Glatzkopf […] Nun müssen wir Schluss machen. Das Datum kennen wir nicht, denn wir haben keinen Kalender. Der Mond ist im Himmel, das Jahr steht im Buch und wir haben den gleichen Tag wie ihr. Deshalb küss unseren Hintern!“

Repin reist zum Ursprungsort der Zaporožer Kosaken

Sobald Repin von der Geschichte erfahren hatte, entwarf er sofort eine detaillierte Kompositionsskizze für ein großformatiges Gemälde. Um sich weiter inspirieren zu lassen, unternahm er 1880 eine Reise zum Fluss Dnjepr, dem Ursprungsort der Zaporožer Kosaken in der heutigen Ukraine. Das turksprachige Wort kasak bedeutet „freier Krieger“, und das Wort Zaporožer leitete sich von za porogamy ab – „hinter den Stromschnellen“.

Dort, auf einer Insel mitten im Dnjepr, hatten die Kosaken ihre uneinnehmbare Freibeuterfestung gehabt. Natürlich gab es sie nun schon lange nicht mehr, doch noch immer liefen Repin Charakterköpfe mit farbenprächtigen Trachten und exotischen Mützen und Kappen über den Weg. Diese urigen Typen faszinierten den Künstler, der es zu dieser Zeit als sein wichtigstes Ziel betrachtete, in das Leben und die Psyche des einfachen Volks einzutauchen. „Der Kopf dröhnt einem von ihrem Lärm“, berichtete er in einem Brief. „Ich lebe nun schon seit zweieinhalb Wochen mit ihnen und komme nicht davon los, – ein lustiges Völkchen!“ Fast hatte er das Gefühl, tatsächlich unter Zaporožer Kosaken zu sein: „Niemand auf der ganzen Welt empfand Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit so stark wie sie!“

Repin spielte damit auf die berühmte „Steppendemokratie“ der Zaporožer Kosaken an. Völlige politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit konnten sie zwar nie erlangen, doch im „Wilden Feld“, der endlosen Ebene im Spannungsbereich zwischen Russland, Polen-Litauen und dem Osmanischen Reich, waren sie weitgehend sich selbst überlassen. Welcher Herrscher konnte schon wissen, was sich in diesem Niemandsland zwischen Orient und Okzident abspielte? So konnten die Zaporožer ein wildes Räuber- und Kriegerleben führen.

Die größte Insel im Dnjepr, Hortitsia, beherbergt heute ein Museum zu den Zaporožer Kosaken. | Bild: Wikimedia/Alexey Tolmachov

Basisdemokratie und Hass gegen jeden Zwang

Allmählich waren die Zaporožer Kosaken aus herumstreifenden Reiternomaden und entlaufenen Bauern zusammengewachsen, ein bunter Haufen vom Adligen bis zum früheren Leibeigenen. Kein Volk, sondern eine Gesinnungsgemeinschaft. Ihre Anführer wählten sie selbst – und setzten sie auch wieder ab. Entscheidungen wurden nach langen Debatten durch Abstimmung gefällt. Man könnte sagen: basisdemokratisch. „Die Saporoger verkörperten all das, was die besondere Lebensform des Kosakentums ausmachte“, schreibt der Slawist Klaus J. Gröper. „Gleichheit und Freiheit, romantisches Abenteurertum, Verwegenheit und Todesverachtung, Leichtlebigkeit und Hass gegen jeden Zwang.“

Repin fertigte am Dnjepr zahlreiche Skizzen für sein Gemälde an, aber es dauerte dann letztlich noch elf Jahre, bis er es 1891 vollendete. Die Arbeit hat sich gelohnt: Noch im selben Jahr wurde das Werk von Zar Alexander III. erworben – für 35 000 Rubel. Das war die höchste Summe, die je für ein Bild eines russischen Künstlers gezahlt worden war. Noch heute nimmt das Kolossalbild durch seine Lebendigkeit jeden Betrachter gefangen. Es ist unmöglich, sich seiner Kraft zu entziehen.

Das Bild zeigt den anarchischen Charakter der Steppenpiraten

In der Mitte sitzt an einem einfachen Holztisch der Schreiber des Briefs, in der Hand eine Feder, vor sich das Blatt Papier. Um ihn herum beugen sich seine Kumpane über seine Schulter und rufen ihm lachend die unterschiedlichen Spottnamen zu. Man glaubt geradezu, sie zu hören. Die Kosaken tragen fantasievolle Kostüme und Kopfbedeckungen, einige wiederum bieten ihren kahl geschorenen Schädel dar, von dem nur eine einzelne Haarsträhne herabhängt.

Was sie verbindet, ist ihre ausgelassene Stimmung. Aus manchen platzt es geradezu heraus, sie brüllen vor Lachen, ein Glatzkopf im Vordergrund kippt fast von dem Holzzuber, auf dem er sitzt. Ein feister Alter mit Pelzmütze und gewaltigem Schnauzbart hält sich vor Vergnügen den Bauch, direkt über dem Schreiber thront ein Pfeifenraucher mit blitzenden Augen, der mit diebischer Freude über eine besonders obszöne Beschimpfung nachsinnt.

Der Schreiber selbst hat ein amüsiertes Schmunzeln auf den Lippen. Was er zu Papier bringt, hat gerade ein ihm schräg gegenüber sitzender Kosak mit freiem Oberkörper zum Besten gegeben. Sein Nebenmann schlägt ihm dafür anerkennend auf den Rücken. So hat Repin hier wirklich alle Arten des Lachens auf einem Bild vereint. Der anarchische Charakter dieser Steppenpiraten wird von ihm auf geniale Weise eingefangen. Derbe Lebenslust, urwüchsige Kraft, wilde Exotik und Ungezähmtheit prägen die Atmosphäre. Noch heute – siehe das Beispiel Maidan – würden viele gern so sein wie die Kosaken.

 

 

Der Artikel stammt aus Heft 11/2018 zu den Kosaken.
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