Am Weihnachtstag des Jahres 800 krönt Papst Leo III. den Frankönig Karl den Großen zum Römischen Kaiser. Der Pontifex schafft damit eine neue Herrscherwürde und setzt damit einen Konflikt in Gang, der das Mittelalter beschäftigen wird.
Er gehört zu den bekanntesten und markantesten Daten der Weltgeschichte, der Weihnachtstag des Jahres 800: Da setzte Papst Leo III. dem Frankenkönig Karl einen Kronreif aufs Haupt und erhob ihn zum Römischen Kaiser. Eine Proklamation, die durch die Zurufe des anwesenden Volks von Rom bestätigt wurde.
Der Ablauf dieses historischen Aktes ist uns von Augenzeugen genau überliefert, etwa in den Reichsannalen: „Als der König sich am Weihnachtstag gerade vom Gebet vor dem Grabe des seligen Apostels Petrus erhob, setzte ihm Papst Leo eine Krone aufs Haupt und das ganze Römervolk rief dazu aus: ›Dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten großen und friedbringenden Kaiser der Römer, Frieden und Sieg!‹ Und nach den Zurufen
wurde er nach dem Brauch der alten Kaiser durch den Kniefall geehrt und fortan Kaiser und Augustus genannt.“
Biograf Einhard: Karl soll der Kaisertitel zuwider gewesen sein
Über das Dass und Wie kann es also keine Zweifel geben, doch was ist mit dem Warum und Wofür? Fügt doch ein anderer Augenzeuge der Krönung, der Kaiserbiograf Einhard, die überraschende Bemerkung hinzu, Karl sei der neue Titel „so zuwider gewesen, dass er sagte, er hätte die Kirche sogar an diesem hohen Feiertag nicht betreten, wenn er den Plan des Papstes geahnt hätte“.
Der mächtigste Mann des Abendlandes und nunmehriger Kaiser, der sich derart überrumpeln lässt? Keine sehr wahrscheinliche Geschichte, vor allem, wenn man die Ereignisse in Betracht zieht, die der Krönung vorangegangen waren: Der Frankenherrscher und der Papst waren seit über einem Jahr in engstem Kontakt gestanden, seit der Papst mit knapper Not seinen römischen Feinden entkommen war. Die warfen ihm schwerste Verfehlungen vor, hatten ihn misshandelt und sogar zu blenden versucht. In seiner Not hatte sich Leo III., dessen großer Fehler es war, nicht dem römischen Stadtadel anzugehören, unter den Schutz des Frankenkönigs geflüchtet. Der hielt sich damals in der „Karlsburg“ zu Paderborn auf und konnte den Heiligen Vater vor Ort überzeugen, welch großartige Verdienste sich sein Gastgeber um die Ausbreitung des christlichen Glaubens unter den heidnischen Sachsen erworben hatte. 773/74 hatte Karl mit dem Langobardenreich das Herzland des alten Imperiums unterworfen und konnte sich seither König von Italien und Schutzherr (patricius) der Römer nennen. Damit hatte der Franke auch die Macht und die Mittel, um Papst Leo III. nach Rom zurückzuführen und dessen Feinde in die Schranken zu weisen.
Es ist kaum vorstellbar, dass sich Karl und Leo bei ihren ausgedehnten Treffen in Paderborn und dann in Rom nicht auch über die »K-Frage« unterhalten hätten. Die war am fränkischen Hof durchaus präsent; vor allem Alkuin, der angelsächsische Gelehrte und „Kulturminister“ des Reiches, wurde nicht müde, Assoziationen und Anspielungen in Dokumente und Zeremonien einfließen zu lassen, die kaiserliche Ehren für Karl implizierten. Das Problem: Die Würde und den Kaiser gab es ja. Der regierte im fernen Byzanz und wurde inzwischen griechisch als basileios tituliert; an seiner Legitimität als Nachfolger und Erbe der Imperatoren Roms gab es aber keinerlei Zweifel. Mit der Ausübung kaiserlicher Macht war es westlich der Adria aber nicht weit her. Sahen sich Völker dort von Feinden angegriffen, konnten sie lange auf kaiserliche Hilfe warten. Beim Frankenkönig Karl sah dies dagegen anders aus. Der war nicht nur nahe, sondern verfügte auch über die erforderliche militärische Schlagkraft.
Eine Frau als oberste Autorität der Christenheit?
Nun hatte auch das Römerreich in seiner krisengeschüttelten Spätphase Zeiten gekannt, in der zwei Kaiser den Osten oder den Westen regierten. Eine solche Teilung der Würde war aber stets als einvernehmlich und widerrufbar betrachtet worden. Man wäre am Karlshof also von der Kooperation des Kollegen am Bosporus abhängig gewesen, was den Franken wenig gefallen konnte, umso mehr sich Ost und West immer häufiger um die rechte Auslegung der christlichen Lehre stritten. Hinzu kam ein tiefes gegenseitiges Misstrauen, wie es der Gelehrte Einhard beschreibt: „Tatsächlich wurde die Macht der Franken von den Griechen und Römern mit scheelen Augen betrachtet, wie es das griechische Sprichwort besagt: ‚Hab den Franken zum Freund, aber nicht zum Nachbarn!'“
Im Jahr 797 änderte sich die Lage jedoch dramatisch: Die Kaiserin-Witwe Irene, die seit 780 für ihren Sohn Konstantin VI. die Regentschaft führte, entledigte sich des eigenen Sprösslings und bestieg als basilissa selbst den Thron. Eine Frau als Kaiserin und damit oberste Autorität der Christenheit? Unmöglich! Der Theologe Theodulf von Orléans fasste die Meinung des Abendlandes trocken zusammen: „Die Schwäche ihres Geschlechts und die Wankelmütigkeit des weiblichen Gemüts verbieten es einer Frau, in Glaubensfragen und kirchlichen Amtsangelegenheiten die Oberherrschaft über Männer auszuüben!“
In den Augen des Westens war der Kaiserthron somit vakant. Dies war jedenfalls Papst Leos Standpunkt. Ob Karl selbst pragmatischer dachte, ist Streitpunkt der Gelehrten geblieben. Der Frankenkönig tauschte jedenfalls mit der basilissa weiterhin hochoffizielle Gesandtschaften aus, und in einer der Botschaften Irenes lässt sich sogar so etwas wie ein Heiratsangebot an den Franken herauslesen. Wie eine solche west-östliche Herrscherpartnerschaft praktisch umgesetzt hätte werden können, bleibt rätselhaft. Für die Kaiserin hätte sie aber eine wichtige politische Rückendeckung dargestellt, und für Karl hätte Irenes Zustimmung die Legitimität seiner eigenen Kaiserwürde gesichert. Sollte es eine solche Abmachung zwischen Byzanz, Aachen und Rom gegeben haben, dann wäre sie von Papst Leo in der Krönungszeremonie geflissentlich unterschlagen worden, und manche Forscher erklären damit Karls Zorn am Weihnachtstag: Er wäre vor den Byzantinern als wortbrüchig dagestanden.
Die Päpste beharren darauf, dass sie den Kaiser bestimmen
Vermutlich hatte der Papst aber mit einer anderen Eigenwilligkeit den nunmehr kaiserlichen Unwillen erregt: Leo hatte Karl die Krone aufgesetzt, bevor ihn das römische Volk zum Kaiser ausgerufen hatte. Wer also hatte die Kaiserwürde verliehen? Richtig: der Papst! Mit diesem geistesgegenwärtigen Eingriff in das Protokoll hatte Papst Leo in doppelter Hinsicht Geschichte gemacht: Er hatte nicht nur eine neue – oder erneuerte – Herrscherwürde geschaffen, die ein Jahrtausend lang Bestand hatte. Er hatte auch den Konflikt losgetreten, der Jahrhunderte lang die Träger dieser Würde in erbitterte Auseinandersetzungen verwickelte und letztlich dazu führte, dass mit dem Glanz der Kaiserkrone immer weniger Macht verbunden war. Das ganze Mittelalter hindurch beharrten die Päpste darauf, dass sie es waren, die den Kaiser bestimmten – waren sie denn nicht die Stellvertreter Christi und damit Gottes auf Erden? Könige mochten kommen und gehen, wie es die dynastische Erbfolge oder die Ergebnisse von Machtpolitik bestimmten. Das Kaisertum dagegen hatte eine sakrale Dimension und war damit der Zustimmung des Heiligen Vaters unterworfen – so der päpstliche Standpunkt. Die Kaiser akzeptierten die Sakralität ihres Amtes durchaus. Sie leiteten daraus aber den Anspruch ab, ihrerseits unwürdige und unliebsame Päpste aus dem Amt zu entfernen. Der Konflikt erschien unlösbar und führte Papsttum und Kaisertum an den Rand des Untergangs.
Als ein verärgerter Kaiser Karl am 25. Dezember 800 die Peterskirche verließ, ahnte er nichts von den schweren Krisen, die auf seine späteren Erben warteten. Zu klar war zu seinen Lebzeiten die Machtverteilung: Der Papst war und blieb vom Schutz und der Unterstützung des Kaisers abhängig. Noch vor der Krönung hatte Karl in einem Schreiben an Leo die Rollenverteilung klar definiert: „Uns steht es mit Hilfe der göttlichen Liebe zu, die Heilige Kirche Christi nach außen gegen Heiden und Ungläubige mit der Waffe zu schützen und im Inneren durch die Aufrechterhaltung des katholischen Glaubens zu schirmen. Euch, heiligster Vater, kommt es zu, mit zu Gott erhobenen Händen wie einst Moses durch Gebet unsere Waffe zu unterstützen.“
Mehr beschäftigte den neuen Imperator denn auch die Abklärung seiner Würde mit dem Kollegen in Byzanz. Dort war Irene 802 gestürzt und ins Exil geschickt worden, und ihre männlichen Nachfolger sahen es gar nicht ein, dass sie ihren ehrwürdigen Titel von nun an mit einem „Barbaren“ und „Emporkömmling“ teilen sollten.
Es bedurfte viel diplomatischen Geschicks und zahlreicher Gesandtschaften, bis der basileios Michael I. 812 Karl seinerseits mit dem Kaisertitel und als „Bruder“ ansprach. Wie wichtig dem Franken diese Verständigung mit dem anerkannten Träger des Imperatoren-Amtes war, zeigt sich daran, dass er bis 813 wartete, ehe er seinen Sohn Ludwig zum Mitkaiser krönte – wohlgemerkt persönlich, ohne die Mitwirkung eines Papstes, wie es Einhard schildert: „Er berief Ludwig mit der einmütigen Zustimmung aller Großen des Reiches, um mit ihm zusammen über das Reich zu regieren, und ernannte ihn zum Erben des Kaisertitels. Dann setzte er den Kronreif auf das Haupt seines Sohnes und forderte auf, ihn zum Kaiser auszurufen, was alle Anwesenden mit Heil-Rufen taten.“
Damit war die Kaiserwürde in die fränkisch-germanische Herrschertradition übernommen, und vollzogen wurde dieser Schritt in Aachen, das von Karl so zu einem neuen Rom, wenn nicht sogar Jerusalem erhoben wurde. Alkuin, 804 gestorben, wäre zufrieden gewesen. Die Konflikte der Zukunft blieben den neuen Kaisern des Abendlandes gnädigerweise verborgen.
Franz Metzger
Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 9/2013 „Karl der Große. Pate des Abendlandes“
Zuletzt geändert: 22.11.2018