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Zheng Hes Seereisen

Des Kaisers Admiral

China, das „Reich der Technik“, entwickelte wenig Ehrgeiz als Seefahrernation. Mit einer Ausnahme: Zheng He. Unter Kublai Khan machte er Karriere – und wurde Opfer von Kosten-Nutzen-Rechnungen.

Flotte Kublai Khans

Die Flotte Kublai Khans vor Indien, um 1280. | © istockphoto.com/wynnter

 

Zu den großen Merkwürdigkeiten der chinesischen Geschichte gehört der geringe maritime Ehrgeiz, den das „Reich der Mitte“ entwickelte. Schließlich lag es keineswegs in der Mitte des eurasischen Kontinents, sondern an dessen pazifischem Rand. Es verfügte damit über eine riesige Küstenlinie voller Häfen und Buchten, und dort setzen seit frühesten Zeiten Fischer und Kaufleute auch die Segel ihrer durchaus hochseegängigen Dschunken.

Eine überwiegend militärisch operierende Seemacht gab aber keiner der „Himmelsöhne“ in Auftrag – mit einer Ausnahme: Kublai Khan. Der Mongolenkaiser und Nachkomme des Reiterkriegers Dschingis Khan schickte 1274 und 1281 zwei gewaltige Eroberungsflotten gegen Japan aus, die aber beide das Schicksal erlitten, vom „Götterwind“ (Kamikaze) schwerer Taifunstürme vernichtet zu werden. Dieses traumatische Erlebnis – und wohl auch der Umstand, dass China seinerseits bis zur Ankunft der Europäer nie von der Seeseite her bedroht wurde – führte zur weitgehenden maritimen Abrüstung Chinas. Die Gewässer Ostasiens blieben zunächst und vor allem Handelswege.

Aber auch für eine Kaufmanns-Nation konnte es nicht schaden, gelegentlich Muskeln zu zeigen. Dies dachte jedenfalls der Kaiser Yongle aus der Ming-Dynastie (1402–1424), unter dem das Kaiserreich einen glanzvollen Höhepunkt erreichte. Den Weg dazu hatte sich der Kaiser durch einen blutigen Bürgerkrieg erkämpft, und es mag wohl mit sein Streben nach Legitimation gewesen sein, welches ihn zu prachtvoller Repräsentation seiner Macht nach Innen und Außen antrieb. Daneben war der Yongle-Kaiser aber auch schlicht neugierig. Er wollte wissen, was für Menschen, Tiere, Sensationen es jenseits der Meere gab, mit denen seine Hauptstadt Nanjing durch den Yangste verbunden war.

Am kaiserlichen Hof waren nur Eunuchen geduldet

Und der Kaiser besaß in seinem Gefolge auch die richtige Persönlichkeit, Repräsentationswunsch und Neugier zu befriedigen: Zheng He (*1371) stammte aus der südchinesischen Binnen-Provinz Yunnan und war ein Muslim, Nachfahre eines Ministers der Mongolen-Dynastie. Bei der Unterwerfung seiner Heimatprovinz unter die Ming wurde er gefangengenommen und dem kaiserlichen Hof zugeteilt. Damit standen ihm höchste Ämter offen, allerdings für den hohen Preis seiner Männlichkeit: Am Hof waren nur Eunuchen geduldet. Mit seinen Genitalien nicht verloren hatte Zheng He aber seine kriegerische Einstellung. Er kämpfte erfolgreich an der Seite des späteren Yongle-Kaisers, in dessen engsten Beraterkreis er aufstieg.

1403 ernannte Yongle seinen getreuen Eunuchen zum Admiral und beauftragte ihn damit eine große „Schatzflotte“ aufzubauen, mit der er aller Welt die Macht der Ming zeigen sollte. Kern der Flotte waren die „Schatzschiffe“, bis zu über 80 Meter lange Dschunken, die mit Tausenden von Tonnen chinesischer Handelsgüter beladen wurden. Soldaten zu deren Begleitschutz reisten auf den Schatzschiffen selbst oder auf kleineren Booten mit.

1405 war die erste der Großen Flotten bereit. Sie umfasst 62 Schiffe mit insgesamt fast 28 000 Mann Besatzung. Über Vietnam, Java, Malakka und Ceylon (Sri Lanka) erreichte Zheng He Calicut in Südindien, wo er chinesische Luxusgüter wie Porzellan oder Seide gegen Gewürze, aber auch exotische Tiere und Kuriosa eintauschte. Zwei weitere Reisen schlugen denselben Weg nach Westen ein, wobei gelegentlich auch die Soldaten zum Einsatz kamen – gegen Piraten, aber auch gegen nicht kooperationswillige einheimische Fürsten.

Mit seiner Vierten Reise zwischen 1413 und 1415 griff Zheng He weiter aus: Jetzt stießen die Schiffe des Ming-Kaisers bis zum Persischen Golf und dann die Südküste Arabiens entlang sogar bis Ostafrika vor. Neben Juwelen und noch ausgefalleneren Beispielen afrikanischer Fauna und Flora nahm der Admiral auch diplomatische Gesandtschaften arabischer und afrikanischer Potentaten an Bord, die er stolz seinem Kaiser präsentieren konnte. Dauerhafte Handelsstützpunkte oder Militärbasen wurden allerdings nirgends angelegt – der Admiral des Kaisers verließ sich auf die überwältigende Macht seiner Flotte.

Hat Zheng He Amerika entdeckt?

Tatsächlich entwickelte sich aus den Afrika-Fahrten ein lebhafter Austausch von Diplomaten und Gütern. Zwischen 1417 und 1422 führte Zheng He zwei weitere Schatzflotten über den Indischen Ozean bis nach Afrika. Allein der Aufwand, der für diese Großunternehmungen Richtung Süden und Westen erforderlich war, spricht gegen phantasievolle Spekulationen, Zheng He hätte bei einer weiteren Expedition gen Osten gar den Pazifik überquert und Amerika „entdeckt“. Vielmehr erlitt der unternehmungslustige Admiral im Jahr 1424 den Schicksalsschlag seinen kaiserlichen Mentor zu verlieren. Unter dem neuen „Sohn des Himmels““ gewannen die Erbsenzähler im kaiserlichen Schatzhaus die Oberhand: Die Erträge der Erkundungsfahrten standen in keinem Verhältnis zum Aufwand. Die Schatzschiffe wurden trockengelegt, die Seeleute nach Hause geschickt, und Zheng He erhielt einen Schreibtischjob in Nanjing.

Doch noch einmal griff das Schicksal ein: Der sparsame neue Kaiser starb bereits 1425, und der nächste Kaiser, Yongles Enkel Xuande, war schon immer von den Exotika seines Großvaters fasziniert gewesen. So reaktivierte er den getreuen Admiral und die eingemotteten Dschunken. 1431 führte Zheng He nochmals eine gewaltige Flotte von 100 Schiffen durch das Südchinesische Meer Richtung Thailand, um die alten Handelskontakte neu zu beleben.

Ob der Admiral noch auf dieser Reise starb oder kurz nach der Rückkehr der 7. Schatzflotte ist umstritten; sein Marmorgrab in der alten Hauptstadt Nanjing ist jedenfalls leer. Mit ihm war aber auch der maritime Ehrgeiz der Ming-Dynastie erloschen; China kehrte in seine selbstgewählte Isolation zurück.

 

Franz Metzger

 

Zuletzt aktualisiert: 09.07.2015

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