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Jüdische Einwanderung in die USA

Die Geschichte des Joseph Seligmann

Als 17-Jähriger wandert Joseph Seligmann mit den Ersparnissen seiner Mutter in die Vereinigten Staaten aus. Für den jüdischen Migranten ist es der Beginn einer Erfolgsgeschichte.

 

Freiheitsstatue New York

Die Freiheitsstatue steht wie kein anderes Symbol für die Einwanderungs-Kultur der Vereinigten Staaten. Ihr Versprechen ist der American way of life: Jeder kann es schaffen. | © istockphoto.com/mariusz_prusaczyk

Joseph Seligman ist 17 Jahre alt, als er 1837 die Gangway eines Schiffes betritt, das ihn nach New York bringen soll. In eine Gesäßtasche eingenäht trägt er 100 Dollar, die Ersparnisse der Mutter. Nicht viel für ein neues Leben, aber mehr, als die meisten seiner Glaubensbrüder aufbringen können. Die Familie Seligmann gehört zu den gut 300 000 Juden, die in den deutschen Ländern ein Leben als „Bürger zweiter Klasse“ führen müssen, oft am Rande der Armutsgrenze. Viele von ihnen setzen darum ihre Hoffnung in die noch junge Nation jenseits des Atlantiks.

Nur wenige Jahre zuvor waren die Hoffnungen der deutschen Juden enttäuscht worden. Während sich die Fürsten Napoleon unterwerfen mussten, erhielten ihre jüdischen Untertanen mehr Rechte denn je. Doch mit dem Ende der französischen Herrschaft kehrte die alte Ordnung zurück.
Berufe, die einen gesellschaftlichen Aufstieg versprechen, sind den Juden vielerorts verwehrt, auch ihren Wohnort dürfen sie häufig nicht frei wählen. Zu der staatlichen Diskriminierung kommen die alltäglichen Schikanen der nichtjüdischen Mitbürger. So manchen locken daher die Erzählungen von einer besseren, freieren Gesellschaft nach Amerika. Sie sind nicht die Ersten, die gehen, aber erst jetzt gehen sie in großer Zahl.
Da oft das Geld nicht reicht, brechen selten ganze Familien auf. Der älteste Sohn bildet die Vorhut. Hat er in der Fremde genug verdient, holt er die Geschwister nach. So besteigt auch Joseph Seligman den Dampfer allein, seine acht Brüder werden ihm später folgen.
In New York angekommen entscheiden sich Dreiviertel der jüdischen Einwanderer gleich in der Stadt zu bleiben, oder in eine der anderen großen Metropolen weiterzuziehen. Kaum einer siedelt auf dem Land. Bauern gibt es nur wenige unter ihnen, denen in Preußen oder Bayern lange der Erwerb von Grundbesitz verboten war. In den Städten finden sie zudem Gemeinschaften eingewanderter Deutscher, die Rat und Unterkunft bieten. Die Solidarität unter den Zugereisten überwiegt oft den hergebrachten Antisemitismus. In Chicago etwa hilft ab 1853 die „Deutsche Gesellschaft“, an deren Gründung auch Juden beteiligt sind.

Ihr Geld verdienen die Neuankömmlinge zum Beispiel als fliegende Händler, verkaufen  Kurzwaren oder Kleider. Manche betreiben Finanzgeschäfte.
Was in den deutschen Landen aus der Not geboren wurde, kommt vielen Juden nun zugute: höchste Flexibilität und Risikobereitschaft. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten werden diese Eigenschaften zur Grundlage sensationeller Erfolgsgeschichten.

Die USA als sicherer Hafen für Flüchtlinge

Joseph Seligmann kann nur drei Jahre nachdem er in New York von Bord gegangen ist seinen ersten Laden eröffnen. Dank gewagter und kluger Investitionen hat er schnell genug Kapital, um in New York ein Importgeschäft zu gründen. Nebenbei tut er das, womit er schon in der alten Heimat die Haushaltskasse aufgebessert hatte, er betreibt Geldgeschäfte. 1864 schließlich gründet er ein Bankhaus das bald Dependancen an allen wichtigen Handelsplätzen der Welt besitzt.
Bei ihren Geschäften halten die Seligmanns und ihre Glaubensbrüder an einem durch die Erfahrungen in Europa verinnerlichten Grundsatz fest: Es sind in erster Linie die Familienbande, auf die man sich verlassen kann. So betraut auch Joseph Seligmann seine Brüder mit der Leitung seiner Filialen.
Doch so groß das Misstrauen gegen die Außenwelt auch sein mag, so sehr haben sie, das Bedürfnis, sich der Neuen Welt anzupassen. Was zählt ist die Zukunft, und die heißt Amerika. In reformierten Gemeinden predigen Rabbis bald auf Englisch, sitzen Männer neben Frauen während Orgelmusik erklingt.
Zwar sind Juden auch im „Land der Gleichen“ nicht vor Anfeindungen gefeit. So erregt etwa 1877 ein Fall Aufsehen, als die Leitung des noblen Western Union Hotel „Israeliten“ den Zutritt verweigert, darunter auch einem der einflussreichsten Bankiers der USA, Joseph Seligman. Doch anders als in Deutschland ist die Diskriminierung nicht staatlich sanktioniert.
Im Land der Selfmademänner erfahren sie durchaus auch Anerkennung. Seligmann etwa wird zum Freund und Berater zweier Präsidenten. Und 1894 wählt die Stadt San Francisco den aus Aachen stammenden jüdischen Geschäftsmann Adolph Sutro zu ihrem Bürgermeister.
Im Lauf der Jahre werden Einwanderungsquoten immer rigider. Die werden auch nicht gelockert als ab 1933, dem Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung, deutsche Juden über den Atlantik fliehen. Bis 1944 kommen dennoch mehr als 130 000 aus Deutschland und Österreich, darunter Intellektuelle, wie der Romancier Lion Feuchtwanger, die Philosophin Hannah Arendt oder der Physiker Albert Einstein. Ein Verlust für Deutschland von dem Wissenschaft und Kultur Amerikas bis heute profitieren.
Die neue Einwanderungswelle trägt nun vermehrt ganze Familien in die rettenden Häfen der USA. Wieder bleiben viele in New York, wo die inzwischen weltweit größte jüdische Gemeinschaft sich ihrer annimmt. Kaum einer kehrt zurück.

Svenja Muche

 

Zuletzt geändert: 11.06.2015

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