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König der Tafelrunde

Artus

Es ist nicht sicher, ob es König Artus überhaupt je gegeben hat. Das hinderte ihn nicht daran, zum englischen Nationalhelden zu werden – mit ganz realen Folgen.

Erst im Mittelalter wurde Artus so richtig berühmt. Fiktive Darstellung der Burg Camelot und das Schwerts Exkalibur | © istockphoto.com/ratpack223

England im Jahr 1136 ist ein zerrissenes Land. Selbst drei Generationen nach Wilhelm dem Eroberer konnte der Graben zwischen Normannen und Angelsachsen noch nicht überwunden werden. Immer noch haben die Normannen auf der Insel das Machtmonopol, immer noch sprechen sie eine andere Sprache als ihre angelsächsischen Untertanen. Und nun zerfleischt sich das Land zudem in einem brutalen Bürgerkrieg, weil König Heinrich I. ohne legitimen Erben gestorben war. In diesen dunklen Tagen schenkt der Mönch Geoffrey von Monmouth seinen Landsleuten eine historische Utopie: Ein gerechter Kriegerkönig, der einst das Land vereinte und so mächtig war, dass er selbst das römische Imperium in die Knie zwingen konnte.

Die Artus-Geschichte veränderte die Welt des Mittelalters

Das Buch, das Geoffrey von Monmouth zu jener Zeit schreibt, wird die Welt des Mittelalters verändern: „Die Geschichte der britischen Könige“ („Historia regum Britanniae“). Was für ein Epos, das Geoffrey seinen Zeitgenossen präsentiert. Es beginnt mit dem Untergang Trojas. Während die meisten Flüchtlinge in Italien ihre neue Heimat finden, gelangt der trojanische Prinz Brutus nach Albion. Keine Menschen, sondern furchtbare Giganten herrschen auf der dieser Insel am Rand der Welt. Doch der trojanische Held besiegt sie, nimmt die Insel in seinen Besitz, die fortan den Namen Britannien, Land des Brutus, trägt. In den folgenden Kapiteln präsentiert Geoffrey eine wundersame Melange von Mythen und Geschichte, historische Figuren wie Cäsar, oder Konstantin der Große betreten die Bühne, aber auch legendäre britische Könige wie Lear, Cole oder Cymbeline.

Keine Gestalt ist jedoch fantastischer als Merlin, Sohn einer Nonne und eines Dämons. Der Zauberer ist der Vertraute König Uther Pendragons, eines Nachfahren des Brutus. Als der König auf der Burg Tintagel der schönen Ygerna, Frau des Herzogs von Cornwall, verfällt, muss Merlin ihm die Gestalt des Herzogs verleihen, damit er ihr beiwohnen kann. Und während der echte Herzog auf dem Schlachtfeld verblutet, zeugt Uther mit Ygerna einen Sohn: Artus.

Vor Geoffrey von Monmouth war Artus ein Niemand

Nach Uthers Tod wird Artus zum König gekrönt. Obgleich noch ein halber Knabe, vereinigt der Heldenkönig das Land, unterwirft Sachsen und Pikten und schmiedet ein mächtiges Königreich, das von Norwegen bis Frankreich reicht. Als der römische Kaiser Tribut fordert, stellt sich Artus ihm entgegen. In einer Völkerschlacht siegt der Brite und steigt zum mächtigsten Herrscher der Christenheit auf. Aber am Ende zerfleischt sich auch das Artusreich in einem Bürgerkrieg. Artus ist gezwungen, gegen seinen bösartigen Neffen Mordred bei Camlann zu kämpfen. Es kommt zur Heldendämmerung, die Blüte seiner Ritterschaft fällt durch das Schwert. Artus selbst wird schwer verwundet und wird auf die Feen-Insel Avalon entrückt.

Vor Geoffrey von Monmouth war Artus ein nahezu unbekannter Name. Außer einigen keltischen Liedern hatte einzig der Chronist Nennius zu Beginn des 9. Jahrhunderts etwas über diesen König und seinen Abwehrkampf gegen die Sachsen um 500 n. Chr. notiert: „In dieser Zeit wuchs die Macht der Sachsen in Britannien durch ihre Stärke und ihre große Zahl gewaltig. Als Hengist gestorben war, rückte sein Sohn Octha vom nördlichen Britannien her in das Königreich Kent ein und von ihm stammen die Könige von Kent ab. In dieser Zeit kämpfte Artus gegen ihn gemeinsam mit den Königen von Britannien, aber Artus selbst war der Kriegsherr.“ Bei Nennius erschien Artus als christliche Lichtgestalt, der mit dem Bild der Jungfrau Maria in den Kampf zog. Nach elf epischen Schlachten, so der Chronist, fiel die Entscheidung am Badon Hill: „In dieser Schlacht starben an einem Tag 960 Männer durch Artus selbst.“

Hat es König Artus wirklich gegeben?

Nach Nennius verschwand Artus für über zwei Jahrhunderte aus dem Geschichtsbewusstsein. Die Geschichtsschreiber der Angelsachsen schwiegen genauso über den König wie die nachfolgenden normannischen Chronisten. Woher hatte Geoffrey von Monmouth also seine Informationen über den legendären König? Gab es verschollene Quellen, mündliche Erzählungen oder hatte der Mönch schlicht seiner Fantasie freien Lauf gelassen? Darüber wird bis heute noch heftig diskutiert.

Tatsache ist, dass schon einige zeitgenössische Gelehrte Zweifel äußerten. Dem Erfolg der „Historia“ tat dies allerdings keinen Abbruch. Das Werk wurde mit über 200 Handschriften zum mittelalterlichen Bestseller. So mutig die Ritter, so edel der Heldenkönig, so groß die Macht Britanniens, dass man auf eine Trennung von Geschichtsschreibung und Sage keinen sonderlichen Wert legte. „Die Geschichte der britischen Könige“ avancierte zum nationalen Gründungsmythos. Bereits 1155 verfasste der anglonormannische Dichter Wace eine französische Fassung der „Historia Regum“, die den Titel „Roman de Brut“ trug. Später folgte auch eine Fassung in der mittelenglischen Volkssprache.

Mit Richard Löwenherz‘ Hilfe wurde Artus zum Pilgerziel

Aber nicht nur in der Literatur wurde Artus zur Kultfigur. Der legendäre Britenkönig erlebte auch eine Karriere als beliebtes Pilgerziel. 1184 hatte eine Brandkatastrophe die Benediktinerabtei von Glastonbury vernichtet. Das Kloster brauchte dringend Geld, und das meiste davon hatte natürlich der König. Geschickt propagierten die Mönche bei Hofe die Legende, dass ihre Abtei auf der ehemaligen Insel Avalon errichtet worden sei. Und irgendwo in diesem heiligen Boden müssten daher auch die Gebeine des einzigartigen Artus ruhen.

Richard Löwenherz, der ein Schwert namens Exkalibur besaß und während seines Kreuzzugs mit dem Drachenbanner des legendären Britenherrschers gegen Saladin in die Schlacht zog, war sofort bereit, den Mönchen beim Wiederaufbau zu helfen und sie bei ihrer Suche nach den Artus- Reliquien zu unterstützen. 1191 wurde das Grab des Artus und seiner Gemahlin „entdeckt“ – inklusive eines Bleikreuzes mit der Inschrift: „Hier ruht der berühmte König Artus in seinem Grab auf der Insel Avalon.“

Der Adel begann, die Artus-Sage nachzuspielen

Die Knochen eines großen Mannes sowie einer Frau mit einst blonden Haaren wurden gehoben und später in einen prachtvollen Schrein in der Marienkapelle der Abtei umgebettet. Bis ins 16. Jahrhundert pilgerten englische Monarchen immer wieder zum Grab ihres legendären Vorgängers und brachten Glastonbury Ansehen und Einkommen. Dann zerstörte 1539 die radikale Reformation Heinrichs VIII. das Kloster, die Marienkapelle und den Artusschrein. Von den Gebeinen fehlt seitdem jede Spur.

Die Geschichten um Artus und seine Tafelrunde avancierten im Hochmittelalter zum beliebtesten Thema der weltlichen Literatur. Zwischen Sizilien und Island erschienen immer neue Bearbeitungen des Stoffes. Besonders beliebt waren neben den mystischen Gralserzählungen und den abenteuerlichen Rittergeschichten voller Monster, Zauberer und Riesen die bittersüßen Liebesgeschichten von Tristan und Isolde sowie Lancelot und Guinevere. Und die adlige Gesellschaft beginnt, diese faszinierende Welt nachzuleben. Im 14. Jahrhundert inszenierte man in Lübeck Artusturniere, in Magdeburg Gralsfeste und in Köln lud man ausgewählte Gäste zu Tafelrunden ein.

Der englische König gründete eine echte Tafelrunde

Zentrum der Artusverehrung war Windsor Castle, eine der Lieblingsresidenzen Eduards III. Der englische König begann 1344 mit dem Bau einer runden Festhalle von circa 60 Meter Durchmesser, in der er eine neue Tafelrunde zelebrieren wollte. Das Projekt wurde zwar aus bislang ungeklärten Gründen nie beendet, aber die Idee einer Rittergesellschaft überlebte. 1348 gründete der König mit dem Hosenbandorden einen weltlichen Ritterorden. Der flämische Chronist Jean le Bel: „Und daher ließ der König in seinem ganzen Reich ein großes Fest kundmachen und einen Hoftag zur Einsetzung seiner Tafelrunde und rief aus allen Ländern Damen und Jungfrauen, Ritter und Knappen herbei, damit sie anwesend seien beim großen Fest in Windsor.“

Aber im Gegensatz zum schwärmerischen Artuskult in den anderen Teilen Europas verband sich in England mit der Verehrung des Britenkönigs auch ein konkretes politisches Programm. Seit 1337 stand England im Krieg mit Frankreich. Eduard beanspruchte für sich nichts weniger als die Krone Frankreichs. Ein kühner Machtanspruch, der auch mit den Eroberungen seines Vorgängers Artus untermauert wurde. Im Sommer 1453 endete das Projekt der Eroberung Frankreichs in der Niederlage von Castillon. Nicht die einzige Katastrophe in diesem schrecklichen Jahr, denn wenige Monate später verfiel Englands labiler König Heinrich VI. endgültig dem Wahnsinn. Was folgte, war der blutige Machtstreit zwischen den Häusern York und Lancaster, der aufgrund der Wappen als Rosenkrieg („War of Roses“) in die Geschichte einging.

Heinrich VII. behauptete, direkt von Artus abzustammen

Am Ende des Konflikts, der beinahe beide Familien auslöschte, erlebte England die Morgenröte einer neuen Dynastie: Am 30. Oktober 1485 bestieg Heinrich VII., der erste König der Tudordynastie, den Thron. Auf dem Schlachtfeld von Bosworth hatte im August des Jahres König Richard III. aus dem Hause York gegen den Tudor seine Krone und sein Leben verloren. Doch Heinrichs Anspruch auf die englische Krone war anfechtbar – sein Vater war nur ein Halbbruder des Lancasterkönigs Heinrich VI. Es gab andere Kandidaten und auch das Parlament in London zeigte sich nicht sonderlich enthusiastisch.

Aber Heinrich hatte walisische Vorfahren und präsentierte seinen Zeitgenossen eine Abstammung vom König Cadwaladr, dem letzten König der ehrwürdigen britischen Blutlinie, die nach Geoffrey von Monmouth mit Brutus ihren Anfang nahm und in Artus triumphierte. Fleißig bestätigten Hofdichter und Historiografen die Herkunft des neuen Herrschers. Im Krönungsjahr Heinrichs VII. erschien zudem die erste Druckausgabe von Malorys „Morte d’Arthur“, das Finale der englischen Artusdichtung des Mittelalters. In 21 Büchern verwebt Sir Thomas Malory alle bekannten Erzählstränge der Artusliteratur zu einem farbenprächtigen Bildteppich. Herausragende Gestalten sind Lancelot und sein Sohn Galahad, der reine Ritter. Durch seine Liebe zur Königin zerstört Lancelot sich und die Tafelrunde, Galahad hingegen findet den Gral und die göttliche Gnade.

Klaus Hillingmeier 

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 1/2013 „Der Heilige Gral: Artus‘ Tafelrunde und die ewige Suche“

Zuletzt geändert: 28.1.2018