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Neue Siedlungsplätze gesucht

Athens Kolonien

Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. brachen die Hellenen zur „Großen Kolonisation“ auf. Sie gründeten Siedlungen im gesamten Mittelmeerraum.

 

Delphi

Die griechische Kolonisation führte auch dazu, dass sich ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelte. Dabei spielten wichtige Orte wie Delphi eine große Rolle. | © istockphoto/kozmabelatibor

 

Um 750 v. Chr.  war das griechische Mutterland in eine schwere, langwierige Krise geraten. Ein rapider Anstieg der Bevölkerung sorgte in vielen Städten für erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Gleichzeitig erlebten die Bauern auf dem Lande eine harte Zeit: Der antike römische Geschichtsschreiber Marcus Iunianus Iustinus spricht von der „Kleinheit und Kargheit ihres Ackerbodens“. So kam es immer wieder zu politischen und sozialen Unruhen. Für viele Menschen blieb nur der Ausweg, die Heimat zu verlassen und sich nach neuen Siedlungsplätzen umzusehen – aber wo?

In der engeren Nachbarschaft waren die besten Plätze schon besetzt, nachdem über 200 Jahre zuvor im Rahmen der ersten, der „Ionischen Kolonisation“ die kleinasiatische Ägäisküste mit griechischen „Pflanzstädten“ (Apoikien) besiedelt worden war. Man musste sich also ferner liegende Gestade suchen. Es begann die zweite, die „Große Kolonisation“. Als führende „Mutterstadt“ der Siedlungsbewegung, deren Kern aus jungen, waffenfähigen Männern bestand, gilt Chalkis auf Euböa. Doch zogen Griechen aus allen Regionen in die Fremde – nur die Athener nicht.

Besonders Italien hatte es den Griechen angetan

Es war wohl eine Epidemie, die um 700 die Bevölkerung sehr dezimiert hatte und die Athener veranlasste, zu Hause zu bleiben. Erst sehr spät, gegen Ende des 7. Jahrhunderts, raffte sich eine Siedlertruppe unter Führung des Fünfkampf-Olympiasiegers Phrynon auf, eine eigene Expedition zu starten. Ihre Mitglieder nahmen die Stadt Sigeion am Eingang der Dardanellen in Besitz. Zu Anfang ihrer Reisen wandten sich die Hellenen Richtung Nordosten, zu den Dardanellen und dem Bosporus, wo sie die nachmals so berühmte Stadt Byzanz gründeten. Andere segelten weiter Richtung Norden und gründeten mehrere Städte am Schwarzen Meer. Wieder andere segelten die heutige türkische Südküste weiter Richtung Osten und landeten an der Levanteregion an, allerdings blieb den Griechen hier eine dauerhafte Festsetzung durch den Widerstand der Herrscher der vorderasiatischen Großreiche verwehrt.

Doch längst hatte man mehr oder minder klare Kenntnisse von den weiten Gebieten des westlichen Mittelmeerraumes. Seefahrer und Händler hatten von fruchtbaren Küsten und günstigen Häfen berichtet. Nicht wenige ließen, Odysseus’ Erzählungen reflektierend, abenteuerliche  Schilderungen einfließen, was den mediterranen Westen für die Griechen nur noch interessanter erscheinen ließ. Besonders Süditalien hatte es ihnen angetan. So kam es, dass man in der Antike alsbald Apulien und Sizilien, Kampanien und Kalabrien das „Große Griechenland“ nannte: Megále Hellás im Griechischen, Magna Graecia im Lateinischen. Der Erfinder der Bezeichnung ist unbekannt. Die Fruchtbarkeit der Region, das günstige Klima, die Vielzahl der blühenden Stadtgründungen, die grandiosen neuen Tempelanlagen und die zahlreichen hier tätigen Künstler ließen die neue Heimat größer und bedeutender erscheinen als das alte Hellas.

Die Griechen gründeten auch Marseille

Einige Neusiedler zog es noch weiter. Die einen segelten gen Süden an die nordafrikanische Küste der Cyrenaika. Andere wandten sich Richtung Norden und Westen, nach Südfrankreich und nach Spanien – bis zu den „Säulen des Herakles“, der Straße von Gibraltar, die in der Antike als das „Ende der Welt“ galt. Die neuen Ländereien wurden im Prinzip so erschlossen, wie Homer in der „Odyssee“ die Gründung einer Stadt durch den König der Phaiaken beschreibt: „Er zog eine Mauer um die Stadt und baute Häuser und schuf Tempel der Götter und verteilte die Äcker“. Den König muss man bei der Großen Kolonisation nur durch die adligen Anführer der siedelnden Seefahrer ersetzen.

Die wohl bedeutendste Stadtgründung im westlichen Mittelmeer war Massilia im Rhônedelta, das heutige Marseille. Der oben erwähnte antike Geschichtsschreiber Iustinus berichtet ausführlich, wie die Griechen diesen Siedlungsplatz um 600 v. Chr. in Besitz nahmen: „Sie fuhren von Italien kommend mit ihren Schiffen in die tiefste Meeresbucht Galliens ein, gründeten dort Massilia im Gebiet zwischen den Ligurern und den noch wilden Stämmen der Gallier und vollbrachten große Taten“.

 

Harry D. Schurdel

 

 

Zuletzt geändert: 02.06.2015