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Söhne der Schlangengöttin

Auf den Spuren der Skythen

Während der späten Bronzezeit stürmte das indogermanische Reitervolk der Skythen aus der Steppe in den Westen vor. Faszinierend sind nicht nur die Geschichten über ihre Grausamkeit, sondern auch ihre goldbestückten Gräber. Ihre flexible Kampftechnik machte sie fast unbesiegbar.

Herodot schreibt im 5. Jahrhundert v. Chr.: „Ihre große Kunst besteht darin, dass keiner, den sie verfolgen, ihnen entkommt, und keiner sie einholen kann, wenn sie sich nicht einholen lassen wollen.“ Die Vorstellung, die der griechische Historiograf von den Skythen hat, wird in diesem Satz mehr als deutlich. Für ihn ist dieses Reitervolk „unüberwindlich und unnahbar“, denn „es baut weder Städte noch Burgen, führt seine Häuser mit sich, schießt Pfeile vom Pferde herab, lebt nicht vom Ackerbau, sondern von der Viehzucht und wohnt auf Wagen“. (Historien IV, 46)

Der Ursprung dieses „unnahbaren“ Volkes liegt nach heutigen Erkenntnissen irgendwo in den Weiten der Steppengebiete Südsibiriens und der nördlichen Mongolei. Was uns Herodot über diese weit entfernten Regionen zu berichten weiß, ist allerdings ausgesprochen spärlich. Wir erfahren von den Argippäern, die kahlköpfig seien und mit ihren »eingedrückten« Nasen auf eine mongolide Bevölkerung schließen lassen. Je weiter wir uns nach Osten bewegen, desto fantastischer werden seine Beschreibungen. Während er den Issedonen, die nördlich des Aralsees lokalisiert werden können, Kannibalismus und Schädelkulte unterstellt, hält er die noch ferneren Arimaspen gar für zyklopisch, das heißt einäugig. Östlich von ihnen lebten schließlich gar keine Menschen mehr, sondern nur noch die goldhütenden Greifen.

Herodot berichtet von Wanderbewegungen

Mehr Aufschluss über diese fernen Gebiete geben uns die archäologischen Zeugnisse. Sie belegen, dass die Angehörigen der Völker zwischen dem Altaigebirge und dem Baikalsee eine reiternomadische Lebensweise praktizierten, Schmuckstücke mit dem markanten Tierstil verzierten und ihre kriegerische Führungsschicht in aufwendig errichteten gewaltigen Grabhügeln, den Kurganen, bestatteten.

Im Verlauf des 7. Jahrhunderts v. Chr. setzte eine Wanderbewegung nach Westen ein. „Von den Arimaspen seien die Issedonen vertrieben worden, dann von den Issedonen die Skythen, dann von den Skythen gedrängt, hätten die Kimmerier ihr Land am Südmeer verlassen müssen.“ Ob Herodot in den Einzelheiten recht hatte, ist noch nicht geklärt. Immerhin bestätigen assyrische Quellen die Vertreibung der Kimmerier durch die Skythen. Unaufhaltsam breiteten sie sich nach Süden hin aus, durchquerten Palästina und konnten nur mühsam vom Ägyptischen Reich ferngehalten werden. Der Prophet Jeremias berichtete von diesem „Volk von Mitternacht her“, das mit „Bogen und Lanze grausam und unbarmherzig“ wütete. Erst der Aufstieg der Meder drängte die Skythen nach Norden zurück, sodass wir sie im 6. Jahrhundert v. Chr. schließlich im Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres, eben jenes Südmeeres, antreffen.

Noch handelte es sich dabei aber lediglich um den Zusammenschluss verschiedener mobiler Stammesverbände, der erst langsam zu einer festgefügten Einheit wurde. Eine unter Skythen, Griechen und Mongolen gleichermaßen verbreitete Fabel berichtet vom sterbenden Skythenkönig Skiluros. Er überreichte seinen 70 Söhnen ein Bündel Pfeile mit dem Auftrag, diese zu zerbrechen. Als es ihnen misslang, nahm er das Bündel, griff sich jeden Pfeil einzeln und zerbrach ihn. „Ebenso werdet auch ihr, meine Söhne, für die Gegner unbezwinglich sein, wenn ihr eines Sinnes seid; wenn ihr euch aber zerstreitet, werdet ihr leicht zu besiegen sein.“

Einigkeit tat Not, denn auch in ihrer neuen Heimat bekamen sie es schon bald mit einem mächtigen Gegner zu tun – den Persern. Diese hatten ein Auge auf das Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres geworfen und schickten sich an, es unter ihre Kontrolle zu bringen.

Doch als im Jahr 514 v. Chr. der persische Großkönig Dareios mit einem Heer von rund 700 000 Mann auf das Gebiet der Skythen vordrang, fand er sich in einer menschenverlassenen Gegend wieder. Da war nichts, was er erobern konnte. Keine Stadt, keine Festung – und kein Gegner. In seiner Verzweiflung appellierte er an die Ehre seines Feindes. Er schickte dem Skythenkönig Idanthyrso einen Boten.“Wunderlicher!“, sprach er ihn an, „Warum fliehst du immer? Wenn du mir gewachsen zu sein glaubst, so lass das Wandern, steh und kämpfe!“

Selbst in Scharmützeln gefährlich

Doch der Skythenkönig antwortete lediglich: „Ich bin nie aus Furcht vor einem Menschen geflohen, auch jetzt nicht vor dir. Ich tue nichts anderes als das, was ich auch im Frieden zu tun pflege. Wir Skythen haben nicht Städte, nicht Ackerland; so drängt uns keine Furcht, dass jene erobert, dieses verwüstet werden könnte, zur Schlacht. Aber wenn ihr schnell mit uns zusammenstoßen wollt, so seht euch um und gewahrt die Grabstätten unserer Väter. Rührt sie nur an, und ihr werdet sehen, ob wir mit euch kämpfen werden oder nicht.“

Ob Dareios die Grabstätten der Skythen je gefunden hat, bleibt fraglich. Doch er mag es bedauert haben, seinen Fuß jemals in dieses Land gesetzt zu haben. Bei den Scharmützeln sah das schwerfällige persische Heer nicht gut aus. Die Pfeilhagel der im schnellen Galopp heranstürmenden Reiter forderten zahlreiche Tote. Und selbst beim scheinbaren Rückzug waren sie gefährlich. Die Kampfesweise der Skythen war legendär und gefürchtet. Mit ihren vortrefflichen Kompositbögen, Lanzen, Streitäxten und den Kurzschwertern waren sie den Gegnern in jeder Situation weit überlegen. Und noch Platon (427 – 347 v. Chr.) weist in seinem Werk über die Tapferkeit darauf hin, „dass sie auf der Flucht ebenso gut kämpfen wie auf der Verfolgung“. Völlig entnervt verließ Dareios schließlich das Skythenland, geschlagen durch einen Gegner, mit dem er sich nicht messen konnte.

Ganz anders war das Verhältnis zwischen den Skythen und den Griechen gewesen. Seit die Ionier im Verlauf des 7. Jahrhunderts v. Chr. die ersten Kolonien an der Nordküste des Schwarzen Meeres gegründet hatten, entwickelten sich zunehmend intensive Handelsbeziehungen. Mehr und mehr konzentrierte sich die skythische Bevölkerung in etwa auf das Gebiet der heutigen Ukraine, vereinzelt ließ man sich auch dauerhaft nieder. Herodot berichtete denn auch nicht nur von den nomadischen Stämmen, sondern er kannte auch die Pflugskythen, die „Getreide, ferner Zwiebeln, Knoblauch, Linsen und Hirse“ anbauten.

Sie lebten in Siedlungen, von denen wir inzwischen eine ganze Reihe kennen: Eine davon ist die am unteren Dnjepr gelegene Kamenskoje Gorodischtsche. Sie wurde am Übergang vom 5. zum 4. Jahrhundert v. Chr. gegründet und umfasste eine Fläche von zwölf Quadratkilometer. Zahlreiche einfache Holzbauten und die Überreste eines blühenden Metallhandwerks verliehen der Ansiedlung einen städtischen Charakter. In ihrem Südwesten befand sich zudem ein erhöht liegender und separat befestigter Bereich, der sich nicht nur durch Steinbauten, sondern auch durch zahlreiche griechische Importgüter auszeichnete. Hier lebte eine Oberschicht, die durch den Handel mit den Griechen zu großem Reichtum gelangt war und die man durchaus als königlich bezeichnen darf.

Sie lieferte Getreide, Fisch, Honig, Wachs, Felle, Holz, Vieh sowie Sklaven und erhielt im Gegenzug dafür Geschirr, Wein, Olivenöl, Duftstoffe und vieles andere. Dieser vermutlich seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. florierende Handel erreichte im 4. Jahrhundert v. Chr. seinen Höhepunkt. In diese Zeit gehörte auch der Rex Skytharum (Skythenkönig) Atheas, der vermutlich in Kamenskoje residierte und 339 v. Chr. im Kampf gegen den Makedonenkönig Philipp II. zu Tode kam. Griechische Quellen berichten über ihn, er habe als erster über die Masse der Barbaren des Nordschwarzmeergebietes geherrscht. Wenngleich er sicher nicht der erste war, so war Atheas wohl wirklich ein König, der über große Teile Skythiens regierte.

Bestattungsrituale der Skythen

Die Macht und der Reichtum solcher Herrscher werden nirgends deutlicher als in ihren letzten Ruhestätten, den Kurganen. Dank Herodot wissen wir um den Aufwand, den die Skythen beim Tod eines Königs betrieben. Nach dem Tod wurde »der Bauch geöffnet und gereinigt, mit gestoßenem Safran, mit Räucherwerk, Eppich- und Dillsamen gefüllt und wieder zugenäht«. Schließlich wurde der Körper mit konservierendem Wachs überzogen. Das war auch nötig, denn anschließend wurde er 40 Tage lang in seinem Reich herumgefahren. Erst dann trugen ihn die Skythen zu Grabe. Doch nicht ihn allein. Herodot schrieb: „Man tötet eines seiner Weiber, seinen Mundschenk, seinen Koch, Pferdeknecht, Leibdiener, Boten, ferner seine Pferde, die Erstlinge alles anderen Viehs und begräbt sie in dem weiten Raum der Grube, der noch leer ist; ebenso auch goldene Schalen. Darauf türmen sie einen großen Grabhügel auf und suchen ihn so gewaltig wie möglich zu machen.“

Archäologische Forschungen haben inzwischen bewiesen, dass Herodot nicht übertrieben hat. Die aus Grassoden sorgfältig konstruierten Kurgane hatten gigantische Ausmaße. Mit einer Basis von bis zu einhundert Metern Durchmesser erreichten sie die Höhe eines dreistöckigen Wohnhauses. Auch die makabre Sitte der Mitbestattung stimmt. In beinahe allen Großkurganen, ob im Schwarzmeergebiet oder in den Weiten Sibiriens, fanden sich zwischen drei und zehn gewaltsam Getötete, die zusammen mit dem Herrscher begraben worden waren.

Doch nicht nur Personal gaben die Skythen dem König in das Geisterreich mit, auch seine Waffen, Kleider, Schmuck, Hausrat und nicht zuletzt seine Pferde. Aus einem Grabhügel im nördlichen Kaukasus sind uns nicht weniger als 360 Pferdekadaver bekannt! Aus den Eiskurganen Sibiriens kennen wir prachtvolle Kleidung, Teppiche, Alltagsgegenstände aus Holz, Leder, Filz und vieles mehr.

Wenngleich wir dank archäologischer Ausgrabungen inzwischen eine Menge über die Bestattungsrituale der Skythen wissen, sieht es mit unseren Kenntnissen der ihnen zugrunde liegenden Religion noch immer düster aus. Da sie selbst keine Schriften hinterließen, sind wir auf Deutungen und vage Hinweise in griechischen Texten angewiesen. Auch hier steht Herodot an erster Stelle. Er vergleicht den skythischen Götterhimmel mit dem griechischen und findet zahlreiche Parallelen. So setzt er den skythischen Himmelsgott Papaios mit Zeus gleich. Es ist allerdings fraglich, ob wir hier die ursprüngliche skythische Religion fassen oder nicht vielmehr eine stark vom Griechischen beeinflusste Gedankenwelt. Der bereits bei den frühen Reitervölkern im Altai bekannte Tierstil, in dem hauptsächlich Hirsche, Raubkatzen und Raubvögel dargestellt wurden, lässt eher an Schamanismus denken. Es mag zauberkundige Männer gegeben haben, die sich mit Hilfe von Drogen den höheren Mächten nähern konnten. Funde von Hanfsamen in einigen Kurganen sowie Beschreibungen von Herodot legen dies nahe.

Im Verlauf des 3. Jahrhunderts v. Chr. brach das Reich der Skythen zusammen. Aus dem Osten kamen die Sarmaten, aus dem Westen keltische Stämme. Doch ob Skythen, Sarmaten, Hunnen oder Mongolen – reiternomadische Völker aus den weiten Steppen Asiens spielten auch weiterhin eine wichtige Rolle in der europäischen Geschichte.

 

Klaus-Dieter Dollhopf

 

Zuletzt geändert: 08.10.2015