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Erfolgsrezept für römische Kaiser

Brot und Spiele

Nach dem Untergang der römischen Republik herrschten Kaiser wie Nero fast uneingeschränkt. Allerdings mussten sie das Volk bei Laune halten. Eine To-do-Liste für römische Herrscher hätte vor allem drei Punkte umfasst: Essen, Hygiene und Unterhaltung.

Römische Gladiatoren

Gladiatorenkämpfe waren ein wichtiger Bestandteil der römischen Unterhaltungsindustrie. | © istockphoto.com/Lusky

 

Wenn es stimmt, dass wir heute in einer Spaßgesellschaft leben, dann trifft das auf die Römer erst recht zu. Unterhaltung hatte bei ihnen einen noch größeren Stellenwert als bei uns, denn nach der Qualität des Circusprogramms wurde die jeweilige Regierung beurteilt. Waren die Spiele gut, lobten die Leute den Kaiser in den höchsten Tönen. Es gibt so manche Parallele zwischen Rom und einer modernen Metropole. Schon Rom war eine kosmopolitische Stadt. Griechen, Syrer, Juden und Ägypter bevölkerten den Moloch, an jeder Ecke wurden fremde Sprachen gesprochen. Als Cäsar im Jahr 46 v. Chr. Triumphfeiern veranstalten ließ, ordnete er an, dass Theaterstücke von „Schauspielern aller Sprachen“ aufgeführt werden sollten. Auch sonst war die Bevölkerung sehr bunt. Es gab Freie und Sklaven, Reiche und Arme. Aber zum Beispiel auch arme Freie und reiche Sklaven. Man konnte Karriere machen in Rom. Allerdings blieb das die Ausnahme. Die meisten Einwohner lebten vermutlich am Existenzminimum, denn Rom war der teuerste Fleck des Universums. Dennoch erwarteten diese Plebejer etwas vom Leben. Zuerst Essen und Trinken. Dann einen gewissen Komfort mit der Möglichkeit, sich nach vollbrachtem Tagewerk zu entspannen. Und eben: gute Unterhaltung. Für all das hatte der Staat zu sorgen. Wenn es nicht klappte, konnte das Volk ungemütlich werden. Blutige Unruhen waren keine Seltenheit. Herrscher, denen politische Stabilität am Herzen lag, sollten also einige Ratschläge befolgen. Einer der wichtigsten:

Sorge für ausreichend Nahrung

Vor allem mit der Nahrungsmittelversorgung haperte es des Öfteren. Rom war zwar reich, aber gerade das war das Problem: Mit dem Grundnahrungsmittel Getreide ließ sich nicht richtig viel Geld verdienen. Deshalb bauten die Bauern in Italien lieber Wein an oder züchteten Vieh. Das Getreide musste von weit her angeliefert werden, aus Sizilien, Spanien und Nordafrika. Dadurch ergaben sich so lange Transportwege, dass es zwangsläufig immer wieder zu Versorgungsengpässen kam. Und dann begann es in den Straßen Roms zu brodeln. Ganz schnell forderte das Volk dann den Kopf des führenden kaiserlichen Beraters. Normalerweise aber, wenn alles gut ging, war Getreide erschwinglich. Bedürftige wurden vom Kaiser sogar mit regelmäßigen Getreideabgaben versorgt. Auch sonst gab es so manche Schenkung an den Plebs. Das war der sicherste Weg, um das Volk ruhig zu halten. Erst mal Brot – und dann Spiele. Obschon, genau genommen kam vor den Spielen noch etwas: die Hygiene.

Sorge für Latrinen und Thermen

Zur Grundversorgung der römischen Bürger zählte eine reibungslose Frischwasserzufuhr über die berühmten Aquädukte. Das antike Rom versorgte sich aus elf großen Leitungen, die das Wasser aus bis zu 90 Kilometern Entfernung transportierten. Die ausgereifte Technik blieb mehr als 1500 Jahre unübertroffen und wurde erst um die Wende zum 20. Jahrhundert wieder erreicht. Probleme gab es selten. Die Leitungen mussten zwar ständig inspiziert und instandgesetzt werden, doch den Römern standen stets enorme Mengen Wasser zur Verfügung. Erheblich zur Volksgesundheit beigetragen haben die luxuriös ausgestatteten Thermenanlagen, deren Besuch für alle Einwohner Roms, auch die Sklaven, kostenlos war. Die Thermen waren eine Mischung aus Spaßbad und Wellness-Oase mit Fitnessraum, Sauna und Massage. Aber sie hatten eben auch eine wichtige hygienische Funktion: Sie dienten zum Waschen. Eine normale römische Stadtwohnung hatte kein Badezimmer – noch nicht einmal eine Toilette. Die öffentlichen Toiletten in den Thermen zeugten von römischem Erfindergeist: Sie verfügten bereits über eine Wasserspülung, einen Kanal mit fließend Wasser, der alles entsorgte. Vor dem Latrinenbesucher floss außerdem noch einmal Wasser durch eine Rinne – damit konnte er sich unter Zuhilfenahme eines kleinen Schwamms reinigen. Dank dem Kaiser für die schönen Toiletten!

Sorge für Spitzen-Entertainment

Das Schönste im Leben der Römer aber waren die Spiele, eine Leistungsschau kaiserlicher Macht. Der jeweilige Herrscher wurde gemessen an der Exotik der Tiere, der Blutrünstigkeit der Kämpfe, der Zahl der Statisten und den Special Effects. Besonders wenn es einen militärischen Sieg zu feiern galt, wollten die Spiele kein Ende nehmen und wurden mal eben auf mehr als 100 Tage angesetzt. So waren im Jahr 354 n. Chr. ganze 176 Tage im Jahr für die staatlich organisierten Unterhaltungsshows reserviert. Forscher gehen davon aus, dass die Einwohner Roms 20 bis 30 Prozent ihrer Tage im Circus verbrachten. Unglaublich – aber vielleicht auch nicht mehr, als ein Sportbesessener heute fernsieht. Die Spiele kosteten Unsummen Geld. Aber diese Mittel nicht im Circus zu verpulvern, sondern vielleicht in Sozialleistungen zu stecken, kam nicht in Frage. So dachten die Römer einfach nicht.

Neben der Unterhaltungsfunktion hatten die Spiele auch eine politische Seite. Wie kein Geringerer als Cicero ausführte, konnte das Volk dort seine Meinung bekunden, etwa durch Applaus, Pfiffe und Sprechchöre. Manch mal wurden so ganz konkrete Forderungen erhoben. Zum Beispiel verlangte das Volk von Kaiser Caligula einmal die Senkung der indirekten Steuern, worauf dieser allerdings mit gezielten Hinrichtungen reagierte. Im Circus traten im übrigen nicht nur Gladiatoren auf, sondern zum Beispiel auch Pantomimen und Komiker, die Verse zu aktuellen Themen vortrugen und dabei zuweilen ätzende Kritik übten. Der Komiker Datus trieb wie ein politischer Kabarettist seinen Spott mit den Mächtigen, in einem Fall sogar mit Kaiser Nero: Er sang „Auf Wiedersehen Vater, auf Wiedersehen Mutter“ und führte dabei Ess- und Schwimmbewegungen aus. Damit spielte er darauf an, dass Neros Mutter Agrippina ihren Mann Claudius mit einem Pilzgericht vergiftet hatte, um Nero auf den Thron zu bringen, bevor sie selbst von ihm ermordet worden war. Wobei er zunächst versucht hatte, sie mit einem Schiff untergehen zu lassen. Das Publikum konnte durch seine Reaktion auf solchen Spott – Zustimmung oder Missfallensbekundung – seine eigene Meinung deutlich machen.

Die Mächtigen fanden allerdings Mittel, um die Massen im Circus nach ihren Wünschen zu steuern. Sie setzten Einflüsterer, Claqueure, ins Publikum, die darauf spezialisiert waren, die Menge möglichst unauffällig zu manipulieren. Ihr Ziel war es, schlussendlich den ganzen Circus dazu zu bringen, lauthals im Chor eine vom Kaiser erwünschte Parole oder Forderung zu rufen. Im besten Fall glaubte das Volk anschließend, seine ganz eigene Meinung aus freien Stücken heraus geäußert zu haben. So erreichte zum Beispiel Kaiser Titus mithilfe von Claqueuren, dass das Circuspublikum die von ihm erwünschte Bestrafung einiger missliebiger Personen einforderte.

Waren die Römer Sadisten?

Aus heutiger Sicht könnte man diese Frage mit Ja beantworten. Aber sie selbst sahen sich nicht so. Wenn in der Arena Verurteilte hingerichtet wurden, indem man sie den wilden Tieren vorwarf, dann bekamen sie in den Augen der Zuschauer nur das, was sie verdienten. Der Kaiser übte Gerechtigkeit. Mit den massenhaft abgeschlachteten Tieren hatte man schon mal gar kein Mitleid, denn das waren Bestien, Ausgeburten einer damals noch ungezähmten Natur, vor der man sich fürchtete. Und die Gladiatoren? Die bewunderte man für ihre Tapferkeit. Dass sie in großer Zahl umkamen, empfand man im römischen Militärstaat nicht als Drama. Jeder musste bereit sein, für Rom zu kämpfen und zu sterben. Formel-1-Rennen unterscheiden sich im Übrigen nur graduell von römischen Wagenrennen. Und vielleicht wird man mit zeitlichem Abstand von einigen Jahrzehnten auch so manches heutige Plebs-Programm als menschenverachtend bezeichnen.

Christoph Driessen

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 2/2013: „Gladiatoren“

 

Zuletzt geändert: 17.03.2016