Als Rumänien im 19. Jahrhundert seine gerade erst mühsam errungene Staatsgründung nicht gefährden wollte und einen Herrscher suchte, wurde ein Prinz aus dem Haus der Hohenzollern unter dem Namen Carol I. König von Rumänien. Für sein Umfeld war das eine Überraschung.
„König Carol war einer der weisesten Regenten, denen ich begegnet bin“, urteilte der deutsche Reichskanzler Berharnd von Bülow über den rumänischen Regenten Carol I. An Karl Eitel Friedrich, wie er ursprünglich hieß, war jeder Zoll ein Preuße: Der zweitgeborene Sohn des „Hohenzollern-Chefs“ Karl Anton hatte seine Ausbildung als Offizier in der preußischen Armee erfahren und die Tugenden der Pflichterfüllung, der Pünktlichkeit und des Fleißes voll verinnerlicht. Dass ausgerechnet Karl Eitel in dem kleinen, eben erst zur Unabhängigkeit strebenden Karpatenstaat Rumänien als Herrscher an die Macht kam, war für alle in seiner Umgebung eine Überraschung. Gestützt durch Volksabstimmung und Parlamentsbeschluss trat Karl am 10. Mai 1866 unter dem Namen Carol I. sein Amt als Fürst von Rumänien an.
Als der Hohenzollernprinz erstmals den Boden seiner neuen Heimat betrat, sah er sich vielen politischen Herausforderungen gegenüber. Erst kurz zuvor hatten die Donaufürstentümer Moldau und Walachei, bis dahin jahrhundertelang unter osmanischer Oberhoheit stehend, zueinander gefunden. Nach dem Krimkrieg (1853 – 1856) hatten die europäischen Großmächte darauf geachtet, den russischen Einfluss auf dem Balkan einzudämmen und daher selbst die Herrschaft über die beiden Fürstentümer übernommen. Der Frieden von Paris, der 1856 den Krimkrieg beendete, sah ihre größtmögliche Eigenständigkeit bei nomineller Beibehaltung der osmanischen Oberhoheit sowie ihre halbherzige „Vereinigung“ vor. Beide Landesteile sollten eigene Fürsten, eigene Parlamente und Minister erhalten, gleichzeitig aber gemeinsame Gesetze in Verwaltung und Rechtsprechung beachten. Die politische Klasse in Moldau und Walachei ergriff ihre Chance und wählte jeweils für ihren Landesteil Oberst Alexandru Ioan Cuza zum Staatsoberhaupt, was die Vereinigung der beiden Fürstentümer in einer Personalunion bedeutete. Cuza vertraute auf das Wohlwollen der Großmächte, die den vollendeten Tatsachen schließlich zähneknirschend zustimmten – allerdings nur für Cuzas siebenjährige Amtszeit.
Die Gründung des rumänischen Staates
Auf dem einmal eingeschlagenen Weg schritt Cuza mutig voran: Er schloss mit Zustimmung des Sultans die Länder verwaltungsmäßig zusammen und benannte sie 1861 in Rumänien um. Zur neuen Hauptstadt und zum Sitz des gemeinsamen Parlaments wurde Bukarest erklärt; die Farben der Fahne waren die Farben der 1848er Rumänischen Revolution Blau-Gelb-Rot. „Rumänen! Die Vereinigung ist erreicht. Die rumänische Nationalität begründet“, rief Cuza im Januar 1862 seinen Landsleuten entgegen.
Eine prekäre Situation entstand jedoch, als der selbstbewusste Fürst wegen seiner Machtfülle 1866 durch einen Offiziersputsch zum Rücktritt gezwungen wurde. Plötzlich schienen alle Errungenschaften wieder infrage gestellt, galten doch alle Neuerungen nur für Cuzas Amtszeit. Die neue Übergangsregierung musste sich daher rasch nach einem neuen Staatsoberhaupt umsehen. Da der erste Kandidat, Prinz Philipp von Flandern, zweitgeborener Sohn des belgischen Königs, bereits abgesagt hatte, suchte eine rumänische Abordnung bei Kaiser Napoleon III. in Paris um Rat und Hilfe nach. In die engere Wahl kam nun der 27-jährige Hohenzollernprinz Karl, der ein enger Verwandter des preußischen Königs Wilhelm und Napoleons war: Seine Mutter war eine Tochter von Stephanie de Beauharnais, einer Adoptivtochter von Napoleon. Nach einigem Zögern sagte Karl zu. Mit gefälschtem Pass und unter falschem Namen reiste er durch Österreich in sein neues Heimatland ein, da das Habsburgerreich einen Preußenspross in dieser sensiblen Region zunächst nicht akzeptieren wollte. Auch in Istanbul zeigte man sich nicht glücklich über die Wahl, akzeptierte sie aber schließlich, nachdem der Kandidat am Sultanshof die üblichen Verbeugungen gemacht hatte.
Carol modernisierte Rumänien nach preußischem Vorbild
Entschlossen modernisierte Carol das Agrarland, sanierte die Staatsfinanzen, reorganisierte die Armee nach preußischem Vorbild, baute Eisenbahnlinien und kurbelte die Wirtschaft an. Rumänien stieg zu einem der führenden Getreideexporteure und Erdölproduzenten vor dem Ersten Weltkrieg auf. Fabriken und Gewerbebetriebe entstanden erstmals in größerer Zahl, die Urbanisierung nahm zu. Der wirtschaftliche Aufschwung ermöglichte den Ausbau Bukarests zu einer Metropole mit breiten Boulevards, prächtigen Gebäuden im Stil der Gründerzeit, eleganten Stadtvillen. Eine der glücklichsten Stunden Carols schlug, als er an der Seite Russlands 1877 in den Krieg gegen das Osmanische Reich eintrat und die osmanische Oberherrschaft endgültig abschütteln konnte. Rumänien erhielt die volle Unabhängigkeit und erklärte sich 1881 zum Königreich.
Der neue König blieb indes bescheiden, arbeitete pflichtbewusst in einem streng geregelten Tagesablauf und legte auch seinen Untertanen die „heilsamen Grundsätze der Redlichkeit, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit« ans Herz. Geist und Esprit brachte dagegen seine Gattin Elisabeth zu Wied ein, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva selbst dichtete, rumänische Literatur und Volksdichtungen ins Deutsche übersetzte und damit ihr Land stärker im Westen bekannt machte. Obwohl Rumänien sozial tief gespalten blieb, wuchs es unter dem ersten Königspaar zu einem stabilen Staat heran. Carols Nachfolger regierten bis 1947.
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Karin Schneider-Ferber
Zuletzt geändert: 28.11.2016