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Kochbuch aus dem 18. Jahrhundert

Der Geschmack der Geschichte

Ein in England entdecktes Kochbuch beweist: Schon im 1793 landete indische Küche auf europäischen Tischen. Doch wie schmeckt Curry nach einem über 200 Jahre alten Rezept? G/Geschichte hat das Gericht mal nachgekocht – mit ungeahnten Problemen.

image-2016-04-21Kein Symbolbild: Genauso sah das Curry beim Servieren aus | ©Katharina Behmer

Ziemlich zitronig, so ist er zunächst – der Geschmack der Geschichte. Und das schon beim ersten Abschmecken.

Das Curry, das da vor mir im Topf schmort, wurde so schon vor über 200 Jahren gekocht. Das Rezept stammt aus einem Kochbuch von 1793.

Benediktinermönche der Downside Abtei im südenglischen Somerset hatten die Rezeptsammlung Anfang 2016 in ihrem Archiv entdeckt.

Einst gehörte das Buch wohl dem Koch einer wohlhabenden britischen Familie, denn für das 18. Jahrhundert sind die Zutaten für das Curry durchaus exklusiv: Hühnerfleisch, Kalbsfond, Butter und Zitrone.

Außerdem finden sich Reis, Salz und Zwiebeln auf der Zutatenliste. Das klingt erst mal einfach nachzukochen, doch in der Zubereitung gestaltet sich das Gericht schwieriger.

Ein einfaches Rezept mit ungeahnten Schwierigkeiten

nHandschriftliche Hinweise: das originale Kochbuch | ©Downside Abbey

„Nehme eine Unze Butter und erhitze sie in einer heißen Bratpfanne.“ So der erste Schritt. Eine Unze – das Internet sagt, das seien 28,3495 Gramm.

Doch unterscheidet sich eine britische Unze von heute, von der von 1793? Einfachheitshalber entscheide ich: nein. Und haue die Butter (ich habe mich für irische entschieden) in die Pfanne.

Hinzufügen soll ich nun zwei Löffel Reis „pounded fine“. Zu deutsch übersetzt „fein gestoßen“. Verwirrung. Ich hole einen Mörser aus dem Küchenschrank, bin mir jedoch unsicher.

Eine kurze Recherche ergibt, dass es sich bei der Beschreibung lediglich um geschälten Reis handelt. Das ist der Basmatireis, für den ich mich entschieden habe, ohnehin.

Ich pack den Mörser wieder weg. Und stehe vor dem nächsten Problem: zwei Löffel? Da das Rezept an anderer Stelle auch von Teelöffeln spricht, landen zwei Esslöffel Reis bei der Butter.

Historisch korrekte Küche

Ein Teelöffel Salz und drei Teelöffel Currypulver müssen nun mit in die Mischung. Gott sei Dank fällt mir noch ein, dass in Großbritannien mit dem weit weniger intensiven Meersalz gekocht wird. Wie sich am Ende zeigen sollte, eine weise Entscheidung.

Madras-Curry! Diesen Rat hatte mir noch der G/Geschichte-Chefredakteur Klaus Hillingmeier mit auf den Weg gegeben. Schließlich will ich möglichst historisch korrekt kochen. Und im 18. Jahrhundert wurde hauptsächlich mit Waren aus Madras gehandelt.

Als Geheimtipp nennt mir Herr Hillingmeier noch die Adresse eines indischen Spezialitätenladens. Dort angekommen das nächste Problem: „Mild oder scharf“?, fragt mich der Verkäufer.

Er persönlich würde mild empfehlen, doch gab es damals schon mildes Curry, extra für den europäischen Gaumen? Ich nehme beide Sorten und füge der Mischung zwei milde und einen scharfen Löffel hinzu.

Im nächsten Schritt soll ich etwas „veal gravy“ dazugeben und das Ganze aufkochen. „Veal gravy“?

Alles für den Geschmack

Gravy kenne ich von meinen Besuchen in Großbritannien. Es ist eine klassische braune Soße, die häufig zu Fleisch und Kartoffelbrei gegessen wird. „Veal“ ist Kalbsfleisch.

Soweit so gut. In Kombination existiert braune Kalbssoße jedoch nicht. Zumindest nicht im deutschen Supermarkt. Ich entscheide mich kurzerhand für Kalbsfond – wegen des Geschmacks.

Geschmack bringt auch die nächste Zutat: Zwei große Zwiebeln sollen mit dem Hühnerfleisch in einer separaten Pfanne mit Butter gebraten werden. Da hier das Rezept nicht konkret ist und mir zwei ganze Zwiebeln als ungenießbar erscheinen, hacke ich sie. Das Huhn – ich nehme 500 Gramm Brustfleisch – wird wie Frikassee geschnitten.

Nun werden Fleisch und Zwiebeln zu den Zutaten vom Anfang gegeben und solange geschmort, bis alles zart ist. Bevor ich das Essen jedoch vom Herd nehme, kommen noch der Saft einer Zitrone und der Abrieb ihrer Schale hinzu. Das erklärt auch die Zitrusnote des Gerichts.

Das komplette Rezept steht am Ende des Artikels.

Bitte zu Tisch!

Die Säure ist auch das Erste, das meinen Kollegen bei der Verkostung am nächsten Tag auffällt. „Exotisch“. Ansonsten, so sind wir uns einig, schmeckt es aber eigentlich recht gewohnt: Mild-würzig, homogen, lecker. Die Schüsseln sind leer.

Nicht lange später macht sich jedoch Durst in der Redaktion breit. „Zu viel Salz“, ist nun die etwas verspätete Einsicht. Im 18. Jahrhundert wollte man durch teure Gewürze, wie Salz wohl noch seinen Wohlstand demonstrieren.

Heute imponiert den Gästen vielleicht auch einfach ein Curry mit Tischanekdote: „Das Rezept ist übrigens über 200 Jahre alt…“

Katharina Behmer

Das Originalrezept (Deutsch + Englisch):
Die Angaben in () sind kleine Hilfestellungen.

„Nimm eine Unze Butter und erhitze sie in einer Bratpfanne, füge etwa zwei (Ess)Löffel geschälten Reis hinzu. Dazu noch ein Teelöffel Salz und drei mit Currypulver. Koch das Ganze mit ein wenig brauner Soße vom Kalb (Kalbsfond) auf. Brate dann, das wie Frikassee geschnittene Hühnerfleisch (in einer separaten Pfanne) mit zwei großen (gehackten) Zwiebeln in Butter. Gib dies nun zu den anderen Zutaten und lass alles schmoren, bis es zart ist. Bevor du das Gericht vom Herd nimmst, kommen noch der Abrieb einer Zitronenschale und ihr Saft dazu. Eine kleine Menge Indian Pickle (indisches eingelegtes Gemüse) wird das Gericht verbessern. Hummer, Kalbsfleisch oder Hase lassen sich auf die selbe Weise zubereiten.“

„Take an ounce of butter and make it hot in your stew pan, put to it about two spoonful’s of rice pounded fine. A tea spoonful of salt and 3 of curry powder. With a little veal gravy boil it up and then take your chickens and cut them fricassee fashion and fry them in butter with two large onions. Then put them to the other ingredients and let it all stew together till tender. Before you take it off put in the rind of a lemon rubbed in salt and the juice of a large one. A small bit of Indian pickle will improve it. Do lobsters veal or rabbits the same way.“

Zuletzt geändert: 21.4.2016