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Naturgewalt in der Kunst

Der Schrei und der Vulkan

Indonesien ist fern, doch wenn seine mächtigen Berge Feuer speien, muss sich auch Europa Sorgen machen: Munchs „Schrei“, eine Reaktion auf den Ausbruch des Krakatau, war berechtigt.

Krakatau

Der Krakatau in Indonesien speit Feuer. Der große Ausbruch von 1883 soll Edvard Munch zu seinem „Schrei“ inspiriert haben. | © istockphoto.com/andersen_oystein

 

Der Ausbruch des Vulkans Krakatau erschütterte die Welt. Weit über die gleichnamige indonesische Insel hinaus war die Naturgewalt im August 1883 zu spüren. Die Folgen wurden rund um den Globus sichtbar – und im fernen Norwegen von Edvard Munch sogar im Bild festgehalten, wie einige Forscher meinen. Denn Kunst kann Klimadaten liefern.
In Munchs (1863 – 1944) berühmtem Werk „Der Schrei“ erkennen Physiker ein Naturphänomen, das sie auf den Vulkanausbruch zurückführen. Der „blutrote Himmel“, den der Künstler in einer Version des Bildes zeigt und auch in seinem Tagebuch eindringlich beschreibt, kann durch Staub aus der Aschewolke des Krakatau bewirkt worden sein. Kunsthistoriker bringt diese Theorie ins Grübeln, denn das Gemälde müsste neu datiert werden: Demnach wäre es 1883 entstanden – und damit zehn Jahre früher entstanden als angenommen.
Den Zusammenhang zwischen Kunst und Katastrophe untersuchten Physiker von der Texas State University und vom National Observatory in Athen. Durch Lawinen aus Gestein und Gas, durch Lavaströme, Flutwellen und Ascheregen waren beim Ausbruch des Krakatau 36 000 Menschen  ums Leben gekommen. Teilchen von Magma und Gestein, das über der weitgehend zerstörten indonesischen Insel bis zu 80 Kilometer in die Höhe geschossen war, gerieten in noch höhere Luftschichten und umrundeten den Erdball. Der Staub in der Stratosphäre dämpfte in weiten Teilen der Welt das Sonnenlicht. Dadurch sank die durchschnittliche Lufttemperatur um bis zu 0,8 Grad Celsius. Diese Klimaschwankung sorgte vielerorts für Missernten – und für Sonnenuntergänge mit ungewöhnlich starker rötlicher Färbung, die für Norwegen im Winter nach dem Vulkanausbruch dokumentiert sind.
Ein solches Naturschauspiel könnte es sein, das Edvard Munch nach einem Spaziergang mit zwei Freunden als „Wolken aus Blut und Flammen“ und „Feuerzungen“ über dem „blau-schwarzen Fjord und der Stadt“ beschrieben und in „Der Schrei“ verarbeitet hat. Die Brücke auf dem Bild wird auf der Straße Ljabrochausseen (heute Mosseveien) vermutet, der Blick soll zum Hafen von Christiania (heute Oslo) gerichtet gewesen sein. Im Mittelpunkt steht ein angstverzerrtes Gesicht, zu dem alle Farben und Linien hinführen. „Ein Schauer von Traurigkeit“ bewegte den  norwegischen Maler, der einer der Wegbereiter des Expressionismus war. Der Künstler notierte außerdem, er habe empfunden, „dass ein gewaltiger, unendlicher Schrei durch die Natur ging“.

Jahr ohne Sommer

Weitere Kunstwerke werden heute mit anderen Augen gesehen und erforscht. In Bildern von Caspar David Friedrich (1774 – 1840), etwa der „Küstenlandschaft im Abendlicht“ aus der Zeit nach 1816, ist der Himmel ungewöhnlich verfärbt, und auch hier wird ein Zusammenhang mit einem Vulkanausbruch in einem anderen Erdteil vermutet. Die Gemälde sind nach der Eruption des Tambora entstanden. Die Naturkatastrophe im April 1815 auf der Insel Sumbawa, ebenfalls in Indonesien, gilt als stärkster Vulkanausbruch der Neuzeit. Die Explosion riss fast ein Drittel des etwa 4000 Meter hohen Berges ab, tötete jedes Leben in der Umgebung, im Umkreis von mehr als 300 Kilometern wurde es drei Tage lang nicht hell.
Die Zeit danach ist weltweit als „Jahr ohne Sommer“ bekannt. Der Ausbruch des Tambora hatte ähnliche Auswirkungen auf das globale Klima wie später der des Krakatau. Asche und Schwefelgase bildeten weit über dem riesigen Krater Schwebepartikel, die in alle Winde verstreut wurden. Diese so genannten Aerosole ließen das Sonnenlicht auf der Erde schwinden und die durchschnittliche Lufttemperatur sinken – in Europa um bis zu 2,5 Grad Celsius. Durch die Kältewelle brachen in Europa, Asien und Nordamerika Hungersnöte aus. Viele Menschen starben. Den Grund für die Klimaveränderung kannten sie nicht.
Mehrere hundert Gemälde aus den vergangenen Jahrhunderten sind inzwischen untersucht. Durch Analysen von Farben und Farbkontrasten sehen Forscher Zusammenhänge zwischen Kunst- und Klimaphänomenen bestätigt, weil Maler wie Munch und Friedrich ihre Umgebung nach Ereignissen wie den großen Vulkanausbrücken in einem anderen Licht, weil sie Rot gesehen haben.
Jutta Wieloch

 

Zuletzt geändert: 02.09.2015