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Mehr als Märchen

Die Brüder Grimm

Es waren einmal zwei Brüder mit einer revolutionären Vision. Sie stießen die Erforschung der deutschen Kultur an und schufen beinahe zufällig eines der bekanntesten literarischen Werke überhaupt.

Rotkäppchen

Die Märchensammlung der Brüder Grimm ist weltweit bekannt. Ursprünglich ging es den Grimms nicht um Literatur, sondern um den Erhalt von kultureller Identität. | © Library of Congress

 

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ – „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen über den Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als Ihr!“ Die Geschichte von der liebreizenden Königstochter mit Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut und Haaren so schwarz wie Ebenholz kennt beinahe jedes Kind. „Schneewittchen“ ist aber nur eins von über 200 Märchen, die die Brüder Jacob Grimm, geboren 1785, und Wilhelm Grimm, geboren 1786, im Laufe ihres Lebens gesammelt und aufgeschrieben haben. Neben der Luther-Bibel ist ihre Märchensammlung das weltweit am meisten verbreitete Buch der deutschen Kulturgeschichte. Rotkäppchen und Co. wurden bislang in über 160 Sprachen übersetzt.

Märchen sammeln für den Nationalstaat

Dabei hatten die Grimms ursprünglich gar nicht vor, ein Buch voller Geschichten für Kinder zu schreiben. Eigentlich war das Märchensammeln Teil eines kulturhistorischen Projekts. Denn angesichts des erdrückenden französischen Einflusses auf die deutschen Lande Anfang des 19. Jahrhunderts hatten die Grimms Sorge, traditionelles deutsches Kulturgut wie alte Sitten und Sprachformen oder eben alte Sagen und Mythen könnten bald verloren gehen. Die Brüder schrieben die mündlichen Überlieferungen auf, um sie für die Zukunft zu erhalten. Ihrer Meinung nach war die Erforschung der deutschen Kulturgeschichte außerdem die Voraussetzung für einen modernen deutschen Nationalstaat wie er auf dem Wiener Kongress 1815 so vehement gefordert wurde.

Sie glaubten, eine nationalstaatliche Einheit könne erst dann erreicht werden, wenn sich die Menschen ihrer gemeinsamen kulturellen Herkunft bewusst seien – und wenn sie sprachliche Gemeinsamkeiten erkennen würden: ein Volk gleich eine Sprache; das heißt, deutsch ist, wer deutsch spricht. Das war ein durchaus revolutionäres Denken. Auf dem Wiener Kongress setzte sich Jacob Grimm dafür ein. Er favorisierte eine Neuordnung der europäischen Staaten nach sprachlichen und kulturellen Gesichtspunkten.

Denkmal für die Brüder Grimm in Hanau

Denkmal für die Gebrüder Grimm in Hanau. | © Istockphoto.com/sensationaldesign

Sprache hatte eine politische Dimension

Die Erforschung der deutschen Sprache hatte demnach für die Brüder Grimm vor allem eine politische Dimension. Mit der Ausarbeitung eines umfassenden Deutschen Wörterbuchs wollten sie ihre „Liebe zum Vaterland“ und die „Begierde nach seiner festeren Einigung“ zum Ausdruck bringen. Das Nachschlagewerk zeichnet die historische Entwicklung des deutschen Wortschatzes seit seinen Anfängen nach. Die Brüder Grimm legten damit den Grundstein für die moderne Germanistik.

Im Gegensatz zu dieser rein wissenschaftlichen Arbeit gestaltete sich das Märchensammeln im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einer literarischen Arbeit. Angesichts des großen Erfolgs fällt es schwer zu glauben, dass die erste Ausgabe ein riesen Flop war. 200 Jahre nach der Erstveröffentlichung im Dezember 1812 ist die Märchensammlung heute aus den Kinderzimmern auf der ganzen Welt nicht mehr wegzudenken. Und weil sich im September auch der Todestag des älteren Grimmbruders, Jacob, zum 150. Mal jährt, hat man 2013 zu einem Gedenkjahr ernannt. Zu Ehren eines deutschen Bestsellers und seinen beiden Autoren. Denn obwohl sie gestorben sind, leben sie noch heute.

 

Lisa Schmitz

 

Zuletzt geändert: 20.03.2019

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