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Interview mit Esther Sophia Sünderhauf

Der Diktator und die Lederhosen

Die Kunsthistorikerin Esther Sophia Sünderhauf forscht zum Kleidungsverhalten Adolf Hitlers. Was der Diktator gegen Lederhosen hatte, wann er Schlapphut trug und warum das alles nichts mit Mode zu tun hat, verrät die Leiterin der „Von Parish Kostümbibliothek“ München im Interview mit G/GESCHICHTE.

Deutsches Historisches Museum

Uniformen der Nationalsozialisten bei einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM), 2010 | © istockphoto.com/de/portfolio/EdStock

 

G/GESCHICHTE: Sie erforschen das Kleidungsverhalten des Diktators Adolf Hitler. Wie sind sie auf die Thematik aufmerksam geworden?

Esther Sophia Sünderhauf: Im Zuge einer Ausstellungsvorbereitung habe ich das Fotoarchiv des Deutschen Historischen Museums auf Bilder aus der NS-Zeit durchgesehen. Dabei fiel mir auf, dass Hitler mit seiner Kleidung ständig wechselnde Rollen einnimmt. Als „ICOM Costumes“ ein Symposium zum Thema „Dress & Politics“ in Griechenland organisierte, habe ich ein Referat zu „Hitler’s Dress Code“ angemeldet, war mir doch genau dieser Zusammenhang zwischen Bekleidung und Politik aufgefallen. Inzwischen habe ich einen Aufsatz darüber publiziert, den Vortrag weiter ausgebaut und nun ist auch ein Buch geplant.

G/GESCHICHTE: Welche Quellen haben Sie für Ihre Forschung herangezogen?

Esther Sophia Sünderhauf: Es gibt tausende Fotos. In seiner Zeit war Hitler einer der meistfotografierten Männer der Welt. Hitlers persönlicher Fotograf – er nannte ihn „Leibfotograf“ – war seit September 1923 Heinrich Hoffmann. Alleine von Hoffmann sind über 13 000 Fotos erhalten. Es gibt somit ein lückenloses Archiv, bei dem Hitler jedes einzelne Foto zensiert hat – er hatte die absolute Kontrolle über sein Bild. Zudem gab es auch das Interesse ausländischer Agenturen, aber diese hat Hitler nur äußerst ungern zu Fototerminen zugelassen, eben weil er dann keine Kontrolle hatte.

G/GESCHICHTE: Erschwert diese Zensur die wissenschaftliche Betrachtung seines Kleidungsverhaltens?

Esther Sophia Sünderhauf: Das Fotoarchiv enthält auch die Aufnahmen, die Hitler nicht für gut befunden hat. Insofern wissen wir also genau, wie er sich sehen wollte und wie nicht. Zum Beispiel hat er Hoffmann ab 1933 verboten, weiter Aufnahmen von ihm in Lederhosen zu verbreiten, und wollte sogar, dass Fotografien, die noch im Handel im Umlauf waren, zurückgerufen wurden.

In Lederhosen wäre Hitler „ein bayerisches Phänomen“ geblieben

G/GESCHICHTE: Warum war gerade die Lederhose ein so großes Problem für Hitler?

Esther Sophia Sünderhauf: Hitler hat während seiner Haft in Landsberg 1924 angefangen, Lederhosentracht zu tragen. Dazu muss man sagen, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Bekleidungskodex für ihn als Parteiführer gab. Nach seiner Haftentlassung zeigte er sich noch bis 1927 öffentlich in Lederhosen. Danach wollte er sich als Kanzlerkandidat für Gesamtdeutschland ins Spiel bringen und trug nun verstärkt Anzug. Vorher war er ja doch eher ein bayerisches Phänomen und wäre es in Trachtenhosen auch geblieben. Außerdem wollte er sich mit seiner Kleidung unangreifbar machen.

G/GESCHICHTE: Inwiefern kann Kleidung denn angreifbar machen?

Esther Sophia Sünderhauf:  Es gab diese Geschichte von Friedrich Ebert, der von der rechten Presse 1919 in Badehosen fotografiert und verhöhnt wurde. Ebert hat dagegen geklagt, aber dieses Bild von ihm mit Bauch und Badehose war in der Welt. Hitler war das bekannt und er sagte sich: „Das passiert mir nicht“. Er ist später als Reichskanzler nie in einem offenen Jackett herumgelaufen, geschweige denn in Hemdsärmeln. Er hat sich überhaupt keinerlei Blöße geben wollen. Eine solche Blöße wären natürlich auch nackte Knie in Lederhosen gewesen. Selbst wenn er mit Freunden an einem See war und alle Badekleidung trugen, hat Hitler nicht einmal seine Anzugjacke geöffnet. Er war jemand, der es verstand, an sich zu halten.

G/GESCHICHTE: Hitler hat seinen Stil also regelrecht inszeniert?

Esther Sophia Sünderhauf: Man muss zwischen verschiedenen Phasen unterscheiden: In der ersten Phase von 1919 bis 1933 sucht er nach seiner Identität und probiert verschiedenste Kleidungsstile aus. So begreift er sich auch nach Kriegsende noch als Künstler und läuft mit einem großen Schlapphut und einem schwarzen, weiten Mantel durch Schwabing. Seine Mäzeninnen aus besseren Kreisen haben ihm dann 1923 einen Anzug anempfohlen, in dem er als Redner auftreten und sich auch bei wohlhabenden Familien in München und Berlin sehen lassen kann, um Spendengelder zu erbitten.

Nach der bereits erwähnten „Lederhosen-Zeit“ wird 1927 die braune Parteiuniform kreiert – in der man ihn kennt und in der er auch in Karikaturen dargestellt wird. Doch darin tritt Hitler nach 1933 nur noch auf wenigen Veranstaltungen auf, so bei den Reichsparteitagen und bei allen Feiern, die an die Ursprünge der Partei erinnern wie etwa beim jährlichen Gedenken an den Hitlerputsch von 1923.

In den ersten Monaten nach Machtantritt 1933 wahrt Hitler den Dresscode der Weimarer Republik und trägt Stresemannhosen, Westen, Cut und Zylinder. Er gibt sich eine betont zivile Note und erscheint gleichsam als „Wolf im Schafspelz“. Doch dies tut er höchst ungern, denn er verachtet diesen Stil der Eliten der Weimarer Republik.

Ab Mai 1933 wird dann die „Führeruniform“ mit einem senfgelben Militärjackett und schwarzen Hosen eingeführt. Der Diktator drückt damit aus, dass seine Herrschaft militärisch fundiert ist. Er selbst verzichtet übrigens auf jegliche militärische Rangabzeichen – im Gegensatz zu Göring, der eigens entworfene Fantasieuniformen trägt. Am Tag vor Kriegsbeginn 1939 entscheidet Hitler, bis zum Sieg nur noch eine feldgraue Uniformjacke zu tragen, was er dann bis zu seinem Ende im Bunker 1945 auch tat. Vorbild dafür war Friedrich der Große.

Fotosessions mit jedem neuen Kleidungsstück

G/GESCHICHTE: Wie wählte Hitler seine Kleidung aus?

Esther Sophia Sünderhauf: Hitler entscheidet ganz bewusst über sein Bild. Gut, man könnte jetzt sagen, das macht jeder Staatsmann, aber bei Hitler ist die erste Phase, die sogennannte „Kampfzeit“, signifikant, in der er mit seinem Erscheinungsbild in vielen Rollen experimentiert. Das sieht man auch daran, dass er immer, wenn er vorhatte, ein neues Kleidungsstück in der Öffentlichkeit zu tragen, er vorher mit Heinrich Hoffmann eine Fotosession im Studio macht. Hoffmann musste Hitler mit der neuen Mütze oder der neuen Uniform fotografieren, damit er sich im Bild wie in einem Spiegel kontrollieren konnte. Erst dann hat Hitler entschieden, ob er es trägt.

G/GESCHICHTE: Das klingt unglaublich zwanghaft.

Esther Sophia Sünderhauf: Ist es auch. Adolf Hitler war eine zwangsneurotische Natur durch und durch – bis zum Schluss.

G/GESCHICHTE: Prägte Hitler das Kleidungsverhalten der Deutschen?

Esther Sophia Sünderhauf: In gewisser Weise ja. Beispielsweise durch das „Hitlerbärtchen“. Das führte zwar Charlie Chaplin bereits 1917 ein, aber es ist eben nicht zum „Chaplin-Bärtchen“ geworden. Hitlers früherer Parteifreund Hanfstaengl hatte ihm früh dazu geraten, den Bart lieber nicht so zu tragen, denn dieser liefere eine Steilvorlage für Karikaturisten. Hitler meinte darauf: „Der Bart bleibt genau so. Sie werden schon sehen, ich werde damit noch Mode machen.“

Die Nazis führten zudem mit Trenchcoat und Fedora-Hut einen neuen sportiven Bekleidungsstil für Politiker ein. Damit setzten sie sich dezidiert von den Politikern der Weimarer Zeit und deren „Edwardian Style“ mit Weste, Cut, Stresemannhosen und Zylinder ab.

G/GESCHICHTE: War Hitler also modebewusst?

Esther Sophia Sünderhauf: Es geht nicht um Mode. Das Wort würde ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht benutzen wollen, denn es gibt der Intention meiner Untersuchung eine falsche Richtung. Es geht vielmehr darum, diesem für die Weltgeschichte so verhängnisvollen Menschen auch von der Seite seiner äußeren Erscheinung her auf die Spur zu kommen. Wie konnte es sein, dass er diese öffentliche Wirkung entfalten konnte? Da ist natürlich sein Kleidungsverhalten und der damit erzielte Habitus ein wichtiges Element. Seine mittels der Kleidung vorgetragenen Rollenspiele verstehe ich als Teil der politischen Ikonografie des Nationalsozialismus. Es ist eine Zeichensprache jenseits der Sprache, die unterbewusst verstanden wird. Diese symbolische Kommunikation gibt es heute ebenso und sie zu kennen, hilft uns, auch unsere Gegenwart zu verstehen.

Interview: Katharina Behmer

Zuletzt geändert: 23.02.2016