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Ein ewiger Mythos

Faszination Gral

Camelot lebt: Bis heute hielt den Heiligen Gral kein Archäologe in den Händen. Der Mythos wird wohl für immer ein Mythos bleiben. Seiner Faszination tut das keinen Abbruch.

Mythos Gral

Der Mythos vom Heiligen Gral zieht die Menschen seit Jahrhunderten in seinen Bann. | © istockphoto/estt

 

Das 12. Jahrhundert gilt als die „Blütezeit“ des Mittelalters: In Deutschland und Skandinavien setzte sich das Christentum nun auch in den hintersten Ecken durch, Ritterturniere wurden zur Unterhaltung der Öffentlichkeit inszeniert und die Christenwelt zog mit zwei Kreuzzügen ins „heilige Land“, um die Festung Jerusalem für sich zu beanspruchen. Während sich Muslime und Christen am Mittelmeer bekriegten, hoffte der Papst in Rom auf eine Reliquie, die seine Kreuzritter ihm wohl bald überreichen würden: den Heiligen Gral. Um ihn ranken sich zahlreiche Mythen, er durchzieht die Geschichte bis in die Gegenwart. Der Gral wurde oft gesucht, mal schien er zum Greifen nahe und dann doch wieder im entferntesten Winkel verborgen.

Worum handelt es sich bei diesem Ding, um das sich so viele Legenden ranken? Der Schriftsteller E. T. A. Hoffmann beispielsweise zeichnet ihn im „Der Goldenen Topf“ (1814) als mit Juwelen besetzten goldenen Nachttopf: Das Gold steht in seiner Novelle für die Urkraft der Erde und das Geheimnis der Natur. Richard Wagner knüpft mit seinen beiden Gralsopern „Lohengrin“ (1850) und „Parsifal“ (1882) an den Wolframschen Parzival-Stoff an: Der aus einer anderen Welt stammende Gralsritter Lohengrin reitet auf einem Schwan zu seiner Geliebten, der Herzogin von Brabant. Er berichtet von seiner Herkunft und der Gralsburg, genannt Montsalvat, in der der Gral von den Gralsrittern bewacht wird. In seinem Wesen erhaben, schön und fern erhält der Gral seine Kraft durch den Heiligen Geist, symbolisiert durch eine Taube, die in Verbindung zu Gott steht. Wagner verbindet den Mythos so mit christlichen Elementen, der Gral als ein Gefäß wird von den Engeln zur Erde gebracht.

Gralsburg Neuschwanstein

Der „Lohengrin“ und „Parsifal“ faszinierten König Ludwig II. Der bayerische Thronfolger war schon mit zwölf Jahren von den Dichtungen Wagners begeistert und vertiefte sich intensiv in seine Opern. Heute finden sich auf Schloss Neuschwanstein im Wohnzimmer Ludwigs Szenen aus der Lohengrinsage und im angebauten Sängersaal Bilder des Gralskönigs Parzival, der  eine Wandlung vom „reinen Toren“ zum Mitleidenden durchläuft. Bei einem Besuch äußerte sich Wagner vor Ludwig: „Da bin ich in der Gralsburg, in Parzivals erhabenem Liebesschutz“, sodass Ludwig wohl prompt dazu inspiriert war, seine persönliche Gralsburg zu vollenden. Ludwig war dennoch kein Märchenkönig, sondern ein Anhänger eines charismatischen Königtums, das sich in gewisser Hinsicht auch im Mythos begründete und die Moderne verweigerte.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Parzival-Stoff immer wieder rezipiert: In Stadlers Gedicht „Parzival vor der Gralsburg“ (1912) oder Kolbenheyers „Montsalvesch“ (1910) wird dem Gralsritter wieder Leben eingehaucht, bis der Anthroposoph Rudolf Steiner den Parzival als Vorbild für den neuzeitlichen Erkenntnissuchenden auslegt. Zwar lebe der Mensch begünstigt durch die Industrialisierung in einem technischen Fortschritt, die spirituellen Bedürfnisse des Individuums blieben allerdings auf halber Strecke. Deshalb müsse das Individuum die Welt umfassend erfahren. Steiner beruft sich auf Goethe und sieht das Goetheanum in Dornach als Gralstempel. Der Gral steht bei Steiner im Zentrum dieses esoterischen Kultes, denn in ihm bündelt sich eine allumfassende kosmische Macht. Indem der Mensch nach einem Gleichgewicht zwischen Gruppengeist und Individualität strebe, könne in ihm ein individuelles Bewusstsein erwachen.

Auch Hitler war vom Gral fasziniert

Ganz persönlich beeindruckt vom Parzival-Stoff zeigte sich Adolf Hitler. In München und Bayreuth war er von Wagners Oper begeistert. Mit den Worten „Aus dem Parsifal baue ich mir eine eigene Religion“ sah er eine Parallele zwischen der von Wagner dargestellten elitären Gemeinschaft der Gralsritter und seinem Rassenglauben. Hitlers Wagner-Liebe äußerte sich auch öffentlich: An seinem Geburtstag wurden der „Lohengrin“ und die „Meistersänger“ inszeniert. Dabei wurden ganz bewusst ausländische Rundfunkanstalten bei der Übertragung eingeladen, um wohl die Akzeptanz nationalsozialistischer Ideologien bei Intellektuellen im Ausland zu steigern. Es überrascht somit nicht, dass im Dritten Reich die Bayreuther Festspiele bewusst gefördert wurden.

Es wirkt heute wie eine TV-Fiktion, die sich nie zugetragen haben kann, doch 1940 reiste Heinrich Himmler nach Spanien, weil er dort beim Benediktinerkloster Montserrat den Gral vermutete. Die von ihm ins Leben gerufene Stiftung „Deutsches Ahnenerbe“ forschte auf den Kanarischen Inseln nach den Nachfahren des „Ur-Ariers“. Himmler ging davon aus, dass Jesus Christus direkt von den Ariern abstamme und erhoffte sich vom Heiligen Gral Kräfte, die den Weltkrieg für Deutschland entscheiden würden. Die euphorische Zusammenarbeit zwischen spanischen und deutschen Forschern war von kurzer Dauer, doch Zeitungen berichten 1943 von Knochenfunden und Bronzebeigaben, die nach Berlin zur Analyse geschickt wurden.

Der Gral im 20. Jahrhundert

Wagners Werke waren bis 1939 die am häufigsten gespielten in Deutschland, allmählich überholten ihn jedoch Verdi gefolgt von Puccini und Lortzing. Erst in den 1970er-Jahren sollte der Gralsmythos wieder auf die öffentliche Bühne zurückkehren: Tolkiens „Herr der Ringe“ und Terence Hanbury Whites „The Once and The Future King“ inspirierten Peter Handke („Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land“, 1989) und Adolf Muschg („Der Rote Ritter. Eine Geschichte von Parzivâl“, 1993) zu neueren Darstellungen. Terry Gilliams „Monty Python and the Holy Grail“ ist sicherlich von einer Wolframschen Darstellung weit entfernt, Gilliam parodiert jedoch die Herrschaftslegitimation des Königs von Camelot und räumt dem Gral in einem Land, in dem die Macht vom Volke ausgeht, keinen Platz ein. Auf aventiure dürfen diese trotzdem gehen.

 

Robert Bräutigam

 

Zuletzt geändert: 02.06.2015

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