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Frankreich während des Zweiten Weltkrieges

Zwischen Kollaboration und Résistance

Der Norden des Landes von den Nazis besetzt, im Süden das repressive Vichy-Regime: Nach der Niederlage gegen die Wehrmacht im Frühjahr 1940 wurde das Leben für die Franzosen schwer.

Die Statue erinnert an Charles de Gaulle, der die Franzosen in einer Radioansprache zum Widerstand gegen die Nazis aufrief. | © istockphoto.com/sigurcamp

Es herrschte eine angespannte Stille, als am 19. August 1944 der Morgen über Paris dämmerte. Die Straßen, wie leergefegt. Die Bevölkerung litt unter dem strengen Besatzungsregime der Deutschen.

Auf dem Schwarzmarkt waren die Lebensmittelpreise auf horrende Höhen geklettert, viele Pariser hungerten. Die Metro fuhr seit einigen Tagen nicht mehr. Auch Gendarme und Postboten hatten mittlerweile die Arbeit niedergelegt, am 18. August wurde der Generalstreik verkündet. Während alliierte Truppen der französischen Hauptstadt immer näher kamen, versuchten die Nazis in Paris durch Erschießung mutmaßlicher Widerstandskämpfer ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten.

Als nun am Morgen jenes 19. Augusts deutsche Wagenkolonnen den Champs-Élysées entlangfuhren, eröffneten französische Résistance-Kämpfer spontan das Feuer. Unorganisiert und unzureichend bewaffnet, besetzten sie Polizeistationen, Ministerien, Zeitungsredaktionen und das Hôtel de Ville. Molotowcocktails wurden geworfen, Barrikaden errichtet. Flugblätter, die alle Pariser zur Beteiligung am Aufstand aufriefen, verbreiteten sich in Windeseile. Schätzungen zufolge nahmen 20 000 Widerstandskämpfer am Aufstand gegen die Besatzer Teil.

Die „Libération de Paris“ gilt vielen Franzosen heute als Höhepunkt des französischen Freiheitskampfes gegen die Nazis. Doch auch hier haben sich, wie beim Kampf der Résistance allgemein, Mythen und Wahrheit miteinander vermischt. Auch in Paris wäre die Befreiung der Stadt nicht ohne die zur Hilfe eilenden Alliierten geglückt. Ab dem 22. August kämpften sich amerikanische und die regulären französische Einheiten von den Vororten bis zum Zentrum der Stadt vor. Am 25. August kapitulierte der deutsche Befehlshaber, General der Infanterie Dietrich von Choltitz und übergab Paris fast unversehrt den Franzosen. Den Befehl Hitlers, die Stadt in ein „Trümmerfeld“ zu verwandeln, hatte er verweigert.

Nach dem Krieg wurde rasch an einer Legende um den Freiheitskampf der Résistance gestrickt. Zum einen, da die blitzartige Niederlage gegen die Wehrmacht im Frühjahr 1940 stark am Selbstvertrauen der Grande Nation gerüttelt hatte. Zum anderen, weil die Kollaboration des Vichy-Regimes nicht gerade zu den Sternstunden der französischen Geschichte zählt. Besonders schwer zu verkraften war die Kollaboration Marschall Pétains, der seit der Abwehrschlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg als Nationalheld galt. Also mussten neue Helden her. Mit General Charles de Gaulle hatte sich bereits ein Politiker positioniert, der unaufhaltsam am eigenen Mythos arbeitete und versuchte, Gründung der Résistance und Befreiung Frankreichs an sein eigenes Revers zu heften. Frankreich habe sich selbst befreit, lautete seine Devise. Jeder Franzose, mit Ausnahme der Vichy-Verräter, sei ein Widerstandskämpfer gewesen.

Zwei Appelle gehen über den Äther

Doch was genau hatte sich zugetragen, als Frankreich im Frühjahr 1940 im Chaos der verheerenden Niederlage versank?
Der später Sichelschnitt genannte Plan der Wehrmacht beendete den „Drôle de guerre“ ebenso überraschend wie eindeutig. Die geschlagene französische Armee zog sich panisch und ungeordnet in den Süden zurück. Ihr folgten die Regierung Reynaud und Massen an Zivilisten.

Die Lage war aussichtslos, der Ruf nach Waffenstillstand wurde laut. Premierminister Reynaud und sein Staatssekretär de Gaulle plädierten für eine Fortsetzung des Kampfes, notfalls durch eine staatliche Vereinigung mit Großbritannien. Doch die große Mehrheit des Kabinetts war anderer Meinung. Reynaud trat zurück. Staatspräsident Albert Lebrun beauftragte den betagten Marschall Pétain mit der Bildung einer neuen Regierung. Der äußerst populäre Pétain wollte den Franzosen weiteres Blutvergießen ersparen und rief die eigene Bevölkerung am 17. Juni 1940 in einer Rundfunkansprache zur Niederlegung der Waffen auf.

Und de Gaulle? Von Pétains Entscheidung zutiefst angewidert, floh er mit einer geheimen Kriegskasse im Gepäck nach Großbritannien. Am 18. Juni sprach er vor den Mikrophonen der BBC von der „Flamme des französischen Widerstands“, die niemals erlöschen dürfe. Doch an jenem Tag verhallte sein berühmter Appell nahezu ungehört. De Gaulle rief am 25. Juni die Freien Französischen Streitkräfte (France Libre) ins Leben, die von nun an mit den Alliierten kämpften. Ein weiterer Aufruf und ein Flugblatt „a tous les français“ folgten und verschafften de Gaulle und seiner Idee allmählich größere Bekanntheit – auch im besetzten Frankreich.

Doch von aktivem Widerstand war auf dem französischen Festland zunächst wenig zu spüren. Der Waffenstillstand mit Hitler war bereits am 22. Juni 1940 unterzeichnet worden und Pétains frühes Einlenken schien dem geschlagenen Land tatsächlich gewisse Zugeständnisse gebracht zu haben. Nicht das ganze Land wurde besetzt, im Süden blieb eine „zone libre“ erhalten. Ebenso durfte Frankreich seine Kolonien und die Kriegsmarine behalten – zumindest bis die meisten Überseegegiete von der France Libre erobert wurden und die Royal Navy am 3. Juli 1940 Teile der französischen Mittelmeerflotte versenkte.

Die Franzosen wollen nicht hungern

Pétain hatte indes in Vichy Männer der extremen politischen Rechten um sich versammelt. Die Demokratie wurde für die Kriegsniederlage verantwortlich gemacht und ausgehebelt. Das neue Regime stärkte den Polizeiapparat und ersetzte die republikanischen Ideale „Liberté, Égalité, Fraternité“ durch „Travail, Famille, Patrie“. Pétain vereinte alle Staatsgewalt auf sich und avancierte zum starken Mann des autoritären Vichy-Regimes. Für die Nazis indes war er schlicht eine willfährige Marionette.

Doch die meisten Franzosen unterstützten weder die Vichy-Kollaborateure, noch waren sie dazu bereit, für de Gaulles France Libre den Heldentod zu sterben. Ganz pragmatisch waren sie in erster Linie daran interessiert, nicht zu verhungern. Als sich die Lebensmittelversorgung nicht besserte und die Bevölkerung erkannte, dass Pétain nach Hitlers Pfeife tanzte, formierten sich spontan relativ unorganisierte Widerstandsgrüppchen. Von einer grundsätzlich resistenten Haltung kann allerdings nicht die Rede sein.

Rückzug in die Natur – Widerstand aus den Buschwäldern

Bis 1943 bildeten sich in Frankreich zahlreiche Widerstandsgruppen, die kaum Kontakt untereinander oder zu de Gaulle in London hatten. Die Libération Nord operierte im besetzten Norden, ihr Pendant, die Libération Sud, im Süden. Die Franc-tireur, die bereits 1871 Widerstand gegen die preußischen Invasoren geleistet hatten, wurden von Jean-Pierre Levy neu gegründet und zur Anlaufstelle von Sozialisten. Kommunisten formierten sich in der Gruppe Front National um Pierre Villon. In den Städten leistete die Gruppe Combat von Henri Frenay Widerstand. Als das Vichy-Regime 1943 die Bürger gesetzlich verpflichtete, dem Arbeitsdienst beizutreten und in der deutschen Rüstungsindustrie oder Landwirtschaft zu arbeiten, flohen viele Franzosen in die unwegsamen Buschwälder Südfrankreichs, den Maquis. Als gesetzlose Maquisards wurden sie schließlich Teil der Résistance.

Während de Gaulles France Libre in den Kolonien militärisch operierte, waren die Aktionen der Résistance intérieur zunächst passiver Natur. Die unterschiedlichen Résistance-Gruppen in Frankreich beschränkten sich anfangs auf die Herausgabe von Untergrundzeitungen und das Fälschen von Papieren. Regime-Gegnern bot man Unterschlupf und Verpflegung. Später folgten Spionage, Sabotageakte und Sprengstoffanschläge gegen Eisenbahnbrücken oder Fabriken.

Frauen und Jugendliche schlossen sich der Bewegung genauso an, wie erwachsene Männer. Auch einige Deutsche standen in Diensten des französischen Widerstands. Nach dem Krieg in ihrer Heimat als Verräter geächtet, wurden sie in Frankreich mit Orden überhäuft.

Die Rache der Nationalsozialisten

1943 gelang es Jean Moulin, im Auftrag de Gaulles, die wichtigsten Résistance-Gruppen Nord- und Südfrankreichs zu vereinen und im Nationalen Widerstandsrat zusammenzufassen. De Gaulle wurde vom Widerstandsrat als Anführer der Résistance akzeptiert, Moulin zum Staatsfeind der Nazis. Von der Gestapo festgenommen, wurde er während der Verhöre grausam gefoltert. Sein Peiniger: Klaus Barbie, der „Schlächter von Lyon“. Moulins Körper war schwer in Mitleidenschaft gezogen, mehrere Knochen zertrümmert. Auf dem Weg in ein Konzentrationslager starb er an den Folgen.

Nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 ging auch die Résistance zum bewaffneten Widerstand über. Die Nazis reagierten mit größtmöglicher Brutalität auf den nun offenen Partisanen-Krieg. Im Juni 1944 machte die SS das Dorf Oradour-sur-Glane dem Erdboden gleich. Mehr als 600 Menschen vielen dem Massaker zum Opfer. Der Vormarsch der Alliierten auf Paris konnte durch die Kriegsverbrechen der SS freilich nicht gestoppt werden.

Als de Gaulle nach seinem triumphalen Einzug in die befreite Hauptstadt am 25. August 1944 auf dem Balkon des Rathauses vor der versammelten Stadtbevölkerung das Wort ergriff, setzte er den Grundstein für den späteren Mythos. Den gebannten Zuhörern rief er zu: „Paris! Geschmähtes Paris! Gebrochenes Paris! Gemärtyrtes Paris! Aber befreites Paris! Befreit aus eigener Kraft, befreit durch sein Volk mit der Unterstützung der Armeen Frankreichs.“

Patrick Stief

 

 

Zuletzt geändert: 14.10.2015

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