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Fantasy

Ärger um Harry

Wenn Elfen gegen Trolle ankämpfen, zieht das Kinder in seinen Bann. Doch konservative Kritiker sehen in der Fantasy eine Gefahr.

Lego-Figur Harry Potter

Mit Harry Potter tauchen Kinder – und viele Erwachsene – in eine Welt voller Magie ein. | © Istockphoto.com/dorioconnell

Alle Jahre im September, Bahnhof King’s Cross in London: Am geheimen Bahnsteig 9 ¾ fährt der Hogwarts-Express ein, um alle Zauberlehrlinge zum Schulanfang in Hogwarts abzuholen. Millionen Muggel-Kinder (Menschen ohne magische Fertigkeiten) verleitete die Autorin Joanne K. Rowling dazu, bis in die Nacht die 500-, 600-Seiten-Bände von Harry Potter mit der Taschenlampe unter der Bettdecke zu lesen. Die arbeitslose Lehrerin schrieb die sieben Bücher, um Kinder in eine Welt voller Magie eintauchen zu lassen.

Keine Wartezeiten auf die Bahn

In dieser Sphäre wird den Feinden mit übernatürlichen Kräften entgegengewirkt. Mit dem Zauberspruch „Expelliarmus“ wird das Gegenüber entwaffnet. Und wenn Harry Potter „Levicorpus“ murmelt, zappelt der freche Klassenkamerad hilflos in der Luft.
Die Vorstellung von übersinnlichen Wesen lässt Kinder die Realität vergessen. Das Vermögen, sich in imaginäre Welten hineinzuverset­zen, fördert die Kreativität. In der Zauberwelt wird die Post von Eulen gebracht, statt im digitalen Wust zu versinken. Keine Wartezeiten auf die Bahn: Viel praktischer ist das Reisen per Flohpulver im Kamin.

Der Waisenjunge Harry Potter macht Kindern vor, wie das Leben gut zu meistern ist. Die Faszination birgt allerdings die Gefahr, dass labile Kinder aus der realen Welt zu entfliehen suchen. Die strahlenden Helden erleben in der magischen Welt große Abenteuer, von denen Muggels nur träumen. Wer einmal in den Bann der Fantasy-Literatur gerät, bei dem ist der Suchtfaktor nicht zu unterschätzen.

Tendenz zum Okkulten unterstellt

An Harry Potter scheiden sich deswegen die Geister. Kritiker sehen in den magischen Abenteuern die Tendenz zum Okkulten. Besonders seien die Zaubersprüche an mystische Verse angelehnt. Evangelikale Gruppen betrachten diese Darstellung der Magie als unverantwortlich. Da Harry Potter ihrer Meinung nach Kinder negativ beeinflusse, setzten sie die Geschichten auf den Index der verbotenen Bücher. Die Kritiker sind der Auffassung, dass Rowlings Bücher mittelalterlichen Geisterglauben und Mystik zelebrieren. Die deutsche Soziologin Gabriele Kuby meint sogar, dass „Harry Potter“ im Widerspruch zur Bibel stehe. Rückendeckung bekam sie von Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. Schlagzeilen machte auch das Jugendamt München: Harry Potter sei kein Kinderbuch, hieß es.

An Schulen in den USA und England führte die Aufregung sogar zu einem absoluten Leseverbot dieser Bücher. Andere Gemeinden wiederum nutzen Rowlings Erfolg, um die Inhalte kritisch zu reflektieren und diese mit christlichen Botschaften zu vergleichen. Dabei lassen sie den Spaß am Magischen nicht außen vor; denn es gibt auch Harry-Potter-Partys, bei denen sprechende Hüte und die weinroten Umhänge der „Gryffindors“, Schüler in Hogwarts, prämiert werden.

Moralische Werte wie Mut und Freundschaft

Wenn die Grenzen des Fantastischen in der Kinder- und Jugendkultur deutlich gemacht würden, gebe es keinen Grund zur Besorgnis, argumentieren die Befürworter von Harry Potter. Die Psychologin Mary Whitney erklärt, dass es in Rowlings Büchern um moralische Werte wie Mut und Freundschaft, Hilfsbereitschaft und Ehre gehe. Solange über das Buch geredet werde, sei es völlig harmlos. Die Zauberei möge doch dazu dienen, eine Traumwelt voller Ideale zu kreieren, die es in der Realität immer seltener gibt.

Das eigentliche Problem bestehe nicht darin, dass es in Harry Potters Fantasiewelt Zauberer gebe, sondern, dass manche Leute heute noch ernsthaft glauben, magische Kräfte zu besitzen. Schließlich kommen in Grimms Märchen auch phantastische Wesen und Magie vor, und keiner beschwert sich.

Anna Sommer

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 9/2009 „Hexen. Der ewige Mythos“.

Zuletzt geändert: 12.2.2019