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Religionspolitik im Mittelalter

Heinrich V. und das Konstanzer Konzil

Heinrich V. nutzte seine Überlegenheit im Hundertjährigen Krieg gegen Frankreich, um theologische Fragen auf dem Konstanzer Konzil für sich zu entscheiden.

Schlacht von Azincourt

Der englische König Heinrich V. 1415 in der Schlacht von Azincourt im Hundertjährigen Krieg. Der Sieg des englischen Heeres kam für die Franzosen überraschend. | @ istockphoto.com/duncan1890

Die Engländer unter Henry V. sind am Ende: Hungrig, durchnässt und erschöpft von zwei Wochen voller Gewaltmärsche. Viele der Männer leiden zudem unter der Ruhr, und die Kleidung ist mit Ekel erregenden braunen Flecken entstellt. Nicht wenige der Soldaten verfluchen den jungen König. Nun ja, er hat die Hafenstadt Harfleur an der Seine-Mündung eingenommen und damit das Tor zur Normandie aufgestoßen, aber warum hatte er einen Kriegszug quer durch die Normandie in Richtung Calais befohlen, statt in der Sicherheit von Harfleur auf Nachschub und Verstärkung zu warten? Konnte er wirklich hoffen, das kontinentale Imperium Heinrichs II. wiederherzustellen?

Dann die Falle: Am Nachmittag des 24. Oktober stößt das englische Heer nahe der kleinen Ortschaft Azincourt auf die Heeresmacht Frankreichs. Der Weg nach Calais ist nun versperrt. Für eine Schlacht aber ist es zu spät und so errichten beide Heere ihre Nachtlager. Der Befehlshaber der Franzosen, Charles d’Albret, Graf von Dreux und Connétable (Kronfeldherr) von Frankreich, darf sich siegessicher fühlen: Die französische Übermacht ist erdrückend. Schließlich ist die Blüte der französischen Ritterschaft angetreten, um den erbärmlichen Haufen Engländer zu vernichten.

Heinrich V. selbst kämpfte in vorderster Reihe

Am Morgen des nächsten Tages stehen sich beide Heere gegenüber. Doch die Franzosen denken gar nicht daran, anzugreifen. Unendliche Spannung. Dann gibt Heinrich V. seinen Männern den Befehl zum Vorrücken auf Schussweite. Die Männer mit den Langbogen mögen zwar nicht von Adel sein und keine glorreichen Wappen zieren ihre Wämse, aber ihre Waffe ist von tödlicher Effizienz und sie beherrschen ihr Handwerk. Mit einem Zuggewicht von 80 Pfund durchschlagen ihre Pfeile auf 150 Meter die Rüstungen.

Als sich die Engländer auf Schussdistanz genähert haben, rammen sie angespitzte Holzpfähle als Schutz vor der Kavallerie in den Boden und eröffnen das Feuer. Mehrfach schießen die englischen Bogenschützen, bevor die ersten Pfeile über den Linien der Franzosen herabregnen. Wo sie einschlagen, Schreie, Schmerzen und Tod. Der Connétable gibt seinen Rittern den Befehl zum Angriff auf die Schützen, die hauptsächlich an den Flanken Stellung bezogen haben. Doch eine verwegene Attacke sieht anders aus. Tiefer Schlamm stoppt die Pferde und so bieten die Ritter ein leichtes Ziel für die Engländer.

Kaum einer der Reiter erreicht die feindlichen Linien. Nun rückt die zweite Linie der Franzosen zu Fuß auf das Zentrum der Engländer vor, wo Heinrich V. und seine abgesessenen Ritter stehen. Tapfer aber töricht. Die schwer gepanzerten Ritter und Edelknappen kommen nur unerträglich langsam voran, bieten erneut vorzügliche Ziele. Schon bald bedecken zahlreiche Körper den schlammigen Boden – Verwundete ertrinken im Schlamm. Trotz der brutalen Verluste erreichen einige französische Ritter das englische Zentrum. Hier kämpft Englands König in vorderster Reihe. Drei Stunden Kampf, dann müssen sich die Franzosen zurückziehen. Ihre Verluste sind schrecklich, zählen in die Tausende: Die Hälfte des Adels hat ihr Leben gelassen, darunter drei Herzöge und der Connétable. Und bei den Engländern? Es sind ein paar Hundert.

Die Franzosen griffen auf dem Konstanzer Konzil an

Nach seinem Sieg zog Heinrich V. im Triumph in London ein. Knabenchöre sangen: „Gesegnet seist du, der da kommt im Namen des Herren“. Man feierte den König als zweiten David, der den französischen Goliath zur Strecke gebracht hatte. Im Mai 1416 reiste König Sigismund in diplomatischer Mission nach England. Eigentlich wollte er zwischen England und Frankreich vermitteln. Stattdessen gelang es dem charismatischen Heinrich V., den römisch-deutschen König auf seine Seite zu ziehen. Im Vertrag von Canterbury wurden die Monarchen Bündnispartner. Die Franzosen waren nun politisch weitgehend isoliert – mit weitreichenden Folgen für Konstanz.

Auf dem Schlachtfeld geschlagen, griffen die Franzosen die Engländer nun auf dem Konzil an. Seit Beginn des Konzils waren die vier Konzilsnationen – die italienische, die gallikanische, die germanische sowie die anglikanische Nation – als Teilkörperschaften in Erscheinung getreten. Jede dieser vier Konzilsnationen sollte für ein Viertel der Christenheit sprechen. Im Verlauf des Jahres 1416 erschienen dann auch mit Verspätung die Delegierten der Königreiche Kastilien, Aragon und Portugal und konstituierten eine fünfte Konzilsnation, die hispanische. Dieses Ereignis nahm der Prokurator des französischen Königs, Jean Campan, zum Anlass, um den Engländern den theologischen Fehdehandschuh ins Gesicht zu schlagen.

Wer nicht gehorchte, hatte keine Stimme

Am 3. März 1417 verlas Campan eine Note, die nichts weniger forderte als die sofortige Auflösung der anglikanischen Konzilsnation. Unter Berufung auf eine päpstliche Bulle postulierte er die Aufteilung der Christenheit in vier Hauptnationen (Nationes principales), die jeweils zahlreiche Teilnationen – Königreiche und Völker – repräsentierten. So würde zur germanischen Nation neben Deutschland, Ungarn, Böhmen, Polen, Dalmatien, Kroatien, Dänemark, Norwegen auch die Teilnation England zählen. Weder Wales noch Schottland, „die beide dem englischen König nicht gehorchen“, hätten in der anglikanischen Nation eine Stimme. Mit ihren gerade einmal 25 Diözesen von insgesamt 735 der katholischen Kirche würde die anglikanische Nation nur einen 30. Teil der gesamten Christenheit vertreten.

Wer zählte als Konzilsnation in Konstanz?

Das Königreich Frankreich, obgleich nur ein Teil der gallikanischen Konzilsnation, hätte nicht nur mehr Städte und Burgen als England, sondern wäre zudem an Alter und Zahl seiner Diözesen sowie Ordensprovinzen der Benediktiner weit überlegen. Daher fordert der Protonotar das Konzil auf, entweder das Königreich Frankreich aus der gallikanischen Nation zu lösen und ihm den Status einer sechsten Konzilsnation zu geben oder den Engländern wieder ihren angestammten Platz in der germanischen Nation zuzuweisen.

Protest, Tumult, Hass. Die Engländer toben. Und ihre Antwort bleibt nicht aus: Am 31. März überreicht der Theologe und Jurist Thomas Polton, Gesandter König Heinrichs V. und Kopf der englischen Delegation, dem Konzil den Protestbrief der Engländer. Poltons Schrift widersprach der These, dass das Königreich Frankreich an Größe und Tradition England überlegen sei. Dem erstaunten Konzil präsentierte Polton ein ins Gigantische übersteigertes England, spricht von einzelnen Grafschaften so groß wie das ganze Königreich Frankreich und 52 000 Gemeindekirchen. Und welche einzigartige christliche Geschichte: Bereits Jahrhunderte vor Frankreich sei der christliche Glaube mit Joseph von Arimathia auf die Insel gekommen. Und war es nicht die Britin Helena, die durch ihren Sohn Konstantin den Großen in einzigartiger Weise den Weg zur Verbreitung des Christentums bereitet hätte?

Nicht Theologie, sondern Politik gab den Ausschlag

Aber nicht dieses unvergleichliche Königreich würde die anglikanische Nation auf dem Konzil vertreten, es sei eigentlich eine „Natio Britannica.“ Neben zahlreichen Herzogtümern und Ländereien würde die anglikanische Nation auf dem Konzil sogar acht Königreiche repräsentieren: England, Wales, Schottland und Irland sowie vier kleinere Inselkönigreiche. Gleich fünf verschiedene Sprachen würden hier gesprochen. Daher hätte die anglikanische Nation ohne jeden Zweifel das Recht, für einen wesentlichen Teil der Christenheit zu sprechen. Alle diese Gebiete unterstünden der englischen Krone.

Somit war zwar nach englischer Lesart die anglikanische Konzilsnation eine Vertretung zahlreicher Völker, Sprachen und Königreiche, aber zugleich auch die eines einzigen Überherrschers von imperialer Größe: Heinrich V. Fazit: Seine Vertreter hätten alles Recht auf den Status einer Konzilsnation. Dass am 11. November 1417 auch sechs Vertreter Heinrichs V. einen neuen Papst wählen konnten – natürlich keinen Franzosen –, war jedoch nicht primär das Verdienst Poltons. Nicht theologische Spitzfindigkeiten, sondern harte Realitäten gaben den Ausschlag. 1417 war Heinrich erneut auf dem Vormarsch in Frankreich und der Konzilspate Sigismund stand treu zu seinem Bündnispartner. Frankreich hatte kein gutes Blatt im Machtpoker zu Konstanz.

Klaus Hillingmeier 

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 4/2014 „Das Konzil zu Konstanz“

Zuletzt geändert: 15.2.2018