Ein großer Teil des sozialen Lebens in Irland spielt sich in den Pubs ab. Ursprünglich war das Kneipenvergnügen allerdings illegal.
Weißer wabernder Dampf steigt von dem brodelnden Kupferkessel auf und wird in ein Gewirr aus Rohren geleitet. Kleine Tropfen kondensieren an den metallenen Wänden, bis am Ende schließlich eine klare Flüssigkeit heraustropft. Ein klassischer Versuch aus dem Chemieunterricht – die Destillation von Ethanol. In erster Linie soll den Schülern dabei die Gewinnung von Alkohol näher gebracht werden. Der Lehrer einer irischen Dorfschule aber nutzte dieses Experiment, um illegal Whiskey zu brennen. Und das in recht regelmäßigen Abständen.
Selbstgebrannter Schnaps wurde über Nacht illegal
Geschichten wie diese erzählt man sich zumindest bei einem Glas Whiskey in den irischen Pubs. Selbstverständlich stammen derlei Schwänke noch aus einer anderen Zeit. Laut Michael Nagl, dem Autor von „Old Irish Pubs“, spielt „Whiskey und vor allem Herstellung und Verkauf desselben in der Entstehungsgeschichte der irischen Pubs eine entscheidende Rolle“: Bis 1760 gab es kaum Vorschriften zur Gewinnung von Whiskey. Beziehungsweise ignorierte die Bevölkerung die vereinzelten Regulierungsversuche der Regierung einfach. Im Prinzip konnte einfach jeder so viel brennen, wie er wollte. Und tat es meist auch.
Der britischen Krone war das gar nicht recht: Was so rege betrieben wurde wie die Schnapsbrennerei, sollte sich schließlich auch für die Besatzungsmacht auszahlen. Es folgte prompt ein Erlass. Einige wenige Destillen erhielten die Lizenz, den offiziell genehmigten und ordnungsgemäß besteuerten Parliament Whiskey herzustellen. Der selbstgebrannte Schnaps, umgangssprachlich Poteen genannt, wurde über Nacht für illegal erklärt. „Nun stellte sich für die Iren die Frage, wieso sie für etwas Steuern zahlen sollten, was sie zu Hause selbst herstellen konnten“, sagt Nagl. Es schien fast, als wäre in der Folge ganz Irland zur Schwarzbrennerei geworden.
In Särgen versteckt wurde Alkohol geschmuggelt
Es entstand ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ermittlern und Brennern, das teils skurrile Formen annahm. So wurden beispielsweise ganze Traueraufgebote fingiert, um den Alkohol, in Särgen versteckt, in die nächste Stadt zu bringen. Doch auch die eigentlichen Gegenspieler dieser Schmuggler wussten sich an der Schwarzbrennerei zu bereichern: In der Hoffnung, so die Kriminalität eindämmen zu können, boten die Behörden den ländlichen Polizeidienststellen Prämien für Teile von beschlagnahmten Destillierapparaten. Doch „schlaue Polizisten reichten sich untereinander ihre Beutestücke weiter und scheuten auch nicht davor zurück, selbst solche Anlagen zu bauen, um dafür die Belohnung zu kassieren“, erzählt Michael Nagl. So sei mitunter bis zu 200-mal eine Belohnung für ein und dasselbe Kupferteil ausgezahlt worden.
Aufgrund solcher Verschwörungen blieben große Eindämmungserfolge von Seiten der Regierung aus. Doch es wurde noch dreister: Statt den Whiskey aufwendig wegzuschmuggeln, boten die Leute ihre Ware einfach direkt an der Destille feil. Diese recht schäbig wirkenden Verschläge, die sogenannten „shebeens“, erkannte man als Außenstehender sofort an einem an die Bude gehängten Torfbündel. Es bedeutete so viel wie: Hier gibt es Poteen! Freilich gab es auch offizielle Gaststätten. Die Couching Inns lagen an wichtigen Knotenpunkten der irischen Straßen und boten Reisenden Rast. Allerdings dürfte auch dort hinter der Theke mehr illegaler Alkohol als lizensierte Ware geflossen sein.
Pubs überschnitten sich oft mit privatem Wohnraum
Um den schönen Schein zu wahren, wurde jedoch ein anderes Bild nach außen transportiert: In den Außenfenstern stand der unberührte Parliament Whiskey. Ein Brauch, den man auch heute noch häufig sieht. Die Schwarzbrennerei selbst wurde allerdings schon Anfang des 19. Jahrhunderts eher unrentabel. Preissenkungen des offiziellen Whiskeys, drakonische Strafen und Anti-Alkoholkampagnen zeigten endlich Wirkung. Die Hungersnot tat ihr Übriges. Man konnte die Rohstoffe nun wirklich besser als festes statt flüssiges Nahrungsmittel gebrauchen. Das Geschäft mit dem Poteen kam zum Erliegen und erholte sich nie wieder zu so großen Dimensionen.
Das heißt allerdings nicht, dass die Iren von einem Tag auf den anderen dem Alkohol für immer entsagten: Man kehrte nun in lizensierte Gaststätten, die sogenannten public houses ein. Diese Pubs waren sogar dermaßen beliebt, dass sie nicht selten so überfüllt waren, dass man auf den privaten Wohnraum des Besitzers ausweichen musste. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit ist die meist recht wohnliche Innenausstattung der Pubs. Im anderen Extrem gab es teilweise aber auch das, was Heinrich Böll als „Einzelsäuferkojen“ beschrieb – kleine Verschläge für den einsamen Trinker.
Die Pubs wurden zu Tante-Emma-Läden
Mitte des 19. Jahrhunderts tat sich zudem ein neuer Marktzweig auf: Neben alkoholischen Getränken und kleineren Mahlzeiten war nun fast alles im Pub erhältlich. Quasi ein Tante-Emma- Laden mit integrierter Kneipe – oder andersherum. Die Autoren Colin Murphy und Donal O’Dea schreiben in ihrem Werk „Stuff Irish people love“ dazu, dass es auch heute noch recht charmant und einzigartig irisch sei, ein Glas Guinness, einen Vodka Zitrone und eine Gardinenstange zu bestellen.
Auch die irischen Auswanderer wollten nicht auf ihre Pubkultur verzichten: 1954 eröffnete der Exil-Ire John McSorley die erste irische Kneipe New Yorks und benannte den Laden, wie durchaus üblich, nach sich selbst. Stilecht gab es dort Whiskey und schwarzes Stout aus der Heimat des Wirtes. Allerdings nur für männliche Gäste. Erst 1970 änderte sich das durch die Proteste der Frauenbewegung und der Slogan der Bar musste von „Gutes Bier, rohe Zwiebeln und keine Damen“ in „Wir waren schon hier, als du noch nicht geboren warst“ geändert werden.
Die Iren exportierten Pubs in die ganze Welt
Durch Gaststätten dieser Art haben viele irischstämmige Amerikaner die ferne Heimat ihrer Vorfahren nicht vergessen. Wer den Gus O’Connor’s Pub in Doolin an der irischen Westküste besucht, sieht eine ganze Wand voll von Heimatverbundenheit: Dutzende irisch-amerikanischer Polizisten haben dem Wirt ihre Dienstabzeichen zugesandt. Heute sind es oft Touristen, die des irischen Lebensgefühls wegen hierherkommen. Manche Iren behaupten wehmütig, die Irish Pubs hätten durch das Rauchverbot von 2006, die strikte Sperrstunde und die Touristenströme längst ihren Charme verloren.
Seit der Sperrstunde von 1915 sind die Pubs vielleicht wirklich etwas ungeselliger geworden. Obwohl diese Zeiten heute meist etwas gelockert sind, kommt es, wenn der Wirt abends die Glocke läutet und zur letzten Bestellung aufruft, häufig zu regelrechten Hamsterbestellungen von Alkoholika. Die Iren nehmen das allerdings mit viel Humor: „Im rechten Maße getrunken“, glaubte man laut Michael Nagl früher, könne Whiskey schließlich das Altern „verlangsamen“ und „beseitige Traurigkeit, rege den Geist an und verhindere Zähneklappern und Lispeln.“ Auch die bekannteste irische Biermarke, Guinness, warb in den 1930er-Jahren damit, dass ihr Stout Stärke verleihe.
Betrunken und sündenfrei?
Schlussfolgernd weiß der Ire sogar zukünftige Straftaten wie die Schwarzbrennerei effektiv zu vermeiden. Ein bekannter irischer Trinkspruch besagt: „Wenn wir trinken, werden wir betrunken. Sind wir betrunken, schlafen wir ein. Wenn wir schlafen, begehen wir keine Sünde. Wenn wir nicht sündigen, kommen wir in den Himmel. Also lasst uns alle saufen und in den Himmel kommen!“
Katharina Behmer
Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 7/2015 „Irland – Insel der tausend Legenden“
Zuletzt geändert: 21.6.2018