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Im Licht der Gegenreformation

Zeitalter der Konfessionen

In konfessioneller Hinsicht ist Deutschland wesentlich heterogener als die meisten seiner Nachbarländer. Das bot Anlass für Konflikte – bis weit ins 20. Jahrhundert.

Konfession

Alles eine Frage des Glaubens? Die Reformation hat Deutschland verändert, doch heute spielt die Frage evangelisch oder katholisch kaum noch eine Rolle. | © Istockphoto.com/Discha-AS

Deutschland wird von Protestanten regiert: Frank Walter Steinmeier, Bundespräsident, ist Anhänger der evangelisch-reformierten Kirche, sein Amtsvorgänger Joachim Gauck war gar evangelischer Geistlicher. Angela Merkel, Bundeskanzlerin, Tochter eines Pastors, hielt vor der Wahl Gaucks eine Rede über den politischen Protestantimus. In der engeren Wahl für das Bundespräsidentenamt standen 2012 übrigens noch weitere Protestanten: der evangelische Theologe Wolfgang Huber, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Margot Käßmann und die Grünen-Politikerin Karin Göring-Eckhardt, ebenfalls sehr engagiert in der evangelischen Kirche. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik wäre diese einseitige konfessionelle Ausrichtung in den höchsten Staatsämtern undenkbar gewesen, heute stört sich niemand mehr daran.

Die Rheinische Post kommentierte dieses Phänomen 2015 so: »Zum moralischen Habitus der evangelischen Republik gehört auch ein Hang zu Besserwisserei und Empörung.« Das passe doch sehr gut zu den Deutschen.

Die Kirche ignorierte die Zeichen der Zeit

Dass die Protestanten einmal eine eigene Konfession bilden würden, stand gar nicht in Luthers Sinn. Er strebte nach der Reformation der Kirche, nicht nach ihrer Zerstörung, wollte zurück zu ihrem alten, vermeintlich besseren Zustand. Doch was der Theologe 1517 mit voller Wucht an die Kirche von Wittenberg genagelt haben soll was er wortgewandt gegen den Kaiser und das Reich verteidigt, ist Revolution. Eine Gefahr für die Existenz und das Selbstverständnis der katholischen Kirche. Denn Luthers Vorstellung, dass jeder selbst sich um die Gnade Gottes bemühen kann, macht die Kirche als himmlische Vermittlerin überflüssig. Wie ­also reagierte die katholische Kirche auf diese Bedrohung? Hatte sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt?

Schon in den 200 Jahren vor Martin Luther waren die Rufe nach Reform eigentlich nicht zu überhören gewesen, besonders in den Klöstern, aber auch unter gebildeten Laien, die eigene kleine Gemeinschaften nach dem Vorbild der apostolischen Urgemeinde gründeten. Reformer wie Jan Hus, Girolamo Savonarola und Johannes Geiler von Kaysersberg brandmarken mit flammenden Worten Habgier, Alkoholsucht, Ämterschacher und Faulheit der Geistlichen. Und die katholische Kirche tut erst einmal – nichts.

Die Jesuiten bekämpfen die neue Konfession

Papst Leo X. (1513 – 1521), ein Medici, interessiert sich eigentlich nur für sich selbst: Lieber versucht er, den Reichtum seiner Banken und seine Besitzungen in der Toskana zu mehren. Der aufmüpfige Luther kommt im gesamten offiziellen Schriftwechsel der Kurie mit dem Heiligen Römischen Reich nur ein einziges Mal vor.
Die Gegenreformation, wie die Reaktion der katholischen Kirche später genannt wird, auch sie beginnt von der Basis aus. 1534 gründete der baskische Adelige und Militär Ignatius von Loyola in Paris die »Gesellschaft Jesu« und rief zum Kampf gegen Luther auf. Ihre Mitglieder, die Jesuiten, lebten in Armut und Keuschheit, widmeten sich dem Bibelstudium, der Seelsorge und der Missionierung.

Zur zentralen Figur in Deutschland wurde Petrus Canisius, geboren 1521 in Nimwegen, ein Theologe und Philosoph, der sich ganz dem »Kriegsdienst des Kreuzes« ­widmete. Als Rektor der Universität Ingolstadt startete er eine Bildungsoffensive, gründete jesuitische Kollegien im ganzen Land, zu denen der Zugang kostenlos war. Canisius rief Druckereien ins Leben, um den Protestanten auch auf propagandistischer Ebene zu begegnen. »Fromme Bücher zu schreiben ist das Beste, was ein Mensch mit seinen Händen tun kann«, schreibt er. Nun endlich, als in katholischen Kirchen wie in Worms schon lutherisch gepredigt wird, beruft Papst Paul III. (1534 – 1549) am 13. Dezember 1545 in Trient das langersehnte Konzil ein. Immer wieder unterbrochen, dauert es fast 20 Jahre, bis 1563.

Barocker Prunk gegen Nüchternheit

Den Protestanten wird relativ schnell klar, dass es nicht um die Überwindung der Kirchenspaltung ging. Sie blieben dem Konzil bald fern. Vielmehr entstehen in klarer ­Abgrenzung zur lutherischen Lehre Konzilsdekrete, die vor ­allem auf die Beseitigung der schlimmsten Missstände ­zielen: Priesterseminare sollten der besseren Ausbildung der Kleriker dienen, Missbräuche im Ablasshandel und ­Ämterhäufung werden unterbunden, das Pilgerwesen gefördert. Zur Unterhaltung des Volkes veranstalten ­Jesuiten wie Bischöfe spektakuläre Teufelsaustreibungen und das berühmte Jesuitentheater an den Schulen, wo stets die katholische Kirche über die Protestanten siegt. Die prachtvollen barocken Kirchen prunkten in Gold und Stuck, in scharfem Gegensatz zu den bilderlosen, nüchternen protestantischen Gotteshäusern. Toleranz sieht anders aus und deshalb wird auch an der Regel, dass der Fürst die Religion seiner Untertanen bestimmt, nicht gerüttelt.

Die Zeit der Religionskriege beginnt

Doch was tun, wenn die Konfessionen unterschiedlich sind? Vor diesem Problem steht etwa Graf Friedrich Casimir von Hanau-Lichtenberg 1642: Die Bevölkerung ist reformiert, er selbst protestantisch. Friedrich entscheidet sich trotz vorheriger Versprechen zu einer expansiven Religionspolitik, besetzt Spitzenämter mit Protestanten, baut eine Kirche in der Altstadt Hanau. Das sorgt für Ärger. 1670 einigt man sich schriftlich auf zwei Landeskirchen. Die Bikonfessionalität der kleinen Grafschaft ist geboren. Etwas geschickter ging man da in der freien Reichsstadt Augsburg vor. Auch dort sind Katholiken und Protestanten bunt gemischt. Schon 1548 einigt man sich auf eine erstaunlich simple Lösung: Der Stadtrat wird paritätisch, jeder Verwaltungsbereich zweimal besetzt.

Nicht alle Fürsten sind so kompromissbereit wie Friedrich, die Zeit der Religionskriege beginnt. Als grausamer Höhepunkt gilt der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648), der letztlich aus der gewaltsamen Rekatholisierung der habsburgischen Lande hervorgeht. Religion und Politik bleiben weiter eng miteinander verbunden. Auch in späteren Jahrhunderten setzten sich die Konflikte fort: Bismarck stilisiert die katholische Zentrumspartei in den 1870ern zum Erzfeind des Deutschen Kaiserreiches, zum Sympathisanten Österreichs und entreißt der Kirche einige Privilegien, wie die Ehestiftung und die Schulbildung.

Religion als Auslaufmodell?

Im 20. Jahrhundert geraten die Protestanten in die Kritik. Der Soziologe Helmuth Plessner zeichnet in seinem Buch »Die verspätete Nation« (1935/1959) gar eine direkte Linie von Luther zu Hitler, seien die Protestanten doch aus seiner Sicht gleichgültig gegenüber jeder Form von Obrigkeit und kaum als mündige Bürger zu bezeichnen. Der Gründer des Evangelischen Arbeitskreises in der CDU, Hermann Ehlers, zur Zeit von Adenauer hält fest: »Wir haben im deutschen Protestantismus viel zu lange die Vorstellung gehabt, dass man zwar sehr leicht […] Bundestagsabgeordnete kritisieren könne, dass man aber das Vorrecht habe, sich von der […] Verantwortung peinlich fern zu halten, um in Neutralität und Objektivität umso gründlicher darüber urteilen zu können.«

Kriege, Diskriminierung und Ausgrenzung im Namen der Religion sind nach wie vor aktuell. In Deutschland hingegen scheint die Religion ein Auslaufmodell, beide Kirchen klagen über ständig rückläufige Mitgliederzahlen. Und dennoch hat die Teilung Spuren hinterlassen: Wer im überwiegend katholischen Bayern lebt, darf am 6. Januar, den Heiligen Drei Königen, ausschlafen, nicht jedoch am 31. Oktober, dem Reformationstag, an dem nur überwiegend protestantische Bundesländer wie Sachsen frei haben. Die Modalitäten für eine kirchliche Eheschließung sind für einen Katholiken deutlich komplexer, da die Ehe in ihrer Kirche als Sakrament und damit als unauflöslich gilt.

Neben solch ernsten Dingen hat uns die konfessionelle Spaltung auch Kuriositäten hinterlassen: In der ehemaligen Hansestadt Lübeck steht eine der größten gotischen Backsteinkirchen der Welt, Sankt Maria zu Lübeck, gebaut im 13. Jahrhundert. Eine Kirche für die Gottesmutter Maria müsste ja eigentlich katholisch sein, könnte man meinen. Tatsächlich wurde sie jedoch nachreformatorisch umgeweiht. Den Namen haben die Protestanten dann aber doch behalten.

Saskia Kerschbaum

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE SPEZIAL MARTIN LUTHER

Zuletzt geändert: 19.10.2017