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Immer im Mittelpunkt der Geschichte

Krupp: Ein positiv Besessener

Die Firma Krupp prägt mehr als 200 Jahre deutscher Wirtschaftsgeschichte. Janina Lingenberg ging für G/GESCHICHTE auf Zeitreise und stellte fest, dass die Krupps immer noch polarisieren.

Krupp Essen

2011 feierte die Firma Krupp ihr 200-jähriges Jubiläum. Darstellung der Kruppfabrik in Essen am Ende des 19. Jahrhundert | © istockphoto.com/duncan1890

Es herrscht Chaos. Parkplatzwächterarme rotieren, scheinen die vielen Fahrzeuge von der Straße kurbeln zu wollen. Das Wetter ist einfach zu schön an diesem Feiertag. Schon unten vom See aus erblickt man das ehrwürdige Anwesen, das über dem Tal thront. Hier leuchtet die Natur grüner, als man es sich im Ruhrgebiet vorstellt. Grüner und idyllischer als das Hauptthema, um das es hier geht: die Industrie.

Die Essener pilgern gerne auf ihren grünen Hügel. Die Villa zieht magisch an. Das „Festspielhaus“ zeigt derzeit eine Ausstellung: „Krupp. Fotografien aus zwei Jahrhunderten“. Eine Symphonie aus Stahl, Kohle und Feuer. Die Protagonisten treten als ein eingeschworenes Ensemble auf, eine Familie – ihr Name: Krupp. An Dramen, Emotionen, Macht und Krieg mangelt es diesem Stück nicht, denn die nun 200-jährige Geschichte Krupps ist eng verwoben mit der Geschichte Deutschlands: mit der seiner Herrscher, seiner Bewohner und seiner Wirtschaft.

Andrang im Zentrum der Kruppianer

Nachdem ich die Parkplatzwächter endlich überwunden habe, stehe ich vor dem nächsten Mann in Blau. Auch hier kein „Blaumann“, wie das Hauptthema „Industrie“ suggerieren könnte, sondern ein Museumswächter. Dieser versucht, die Massen an Menschen dazu zu bewegen, ihre Taschen abzugeben. Der Schweiß auf seiner Stirn zeigt, dass es sich dabei um keine angenehme Aufgabe handelt. Geschafft! Nur das Durchschnaufen fällt schwer, denn der Eintritt in das Haus Krupp verschlägt mir den Atem. Wahnsinn. So sieht es also im Zentrum der Kruppianer, im Vorhof der Macht, getragen vom Donner der Kanonen, aus: So haben sie sich also hier oben eingerichtet. Nicht schlecht. Kein Wunder, dass der Kaiser gerne hier weilte. Nur das Beste, Krupp’scher Adel. Auch unter den anderen Gästen herrscht eine ehrfürchtige Stille, ein Staunen, das vom Knarren des Parketts ummantelt und getriezt wird.

„Nein, kein Eintritt!“ Der nächste „blaue“ Herr, auf den ich treffe, hat schlechte Nachrichten: „Zu voll“. In der Villa Hügel sind einfach zu viele Besucher – hinaufgestiegen, um den Mythos zu spüren, zu begreifen, ihm nahe zu sein. Denn auch in ihrer Vergangenheit hinterlässt der Name etwas: Identifikation, Sicherheit und Herkunft. Friedrich und Alfried Krupp sind nicht nur Straßennamen in Essen.

Der Visionär: Friedrich Krupp (*1787, †1826)

Er war ein Visionär, ein Versager und Illusionär; vielleicht auch ein positiv Besessener, der alles auf eine Karte setzte, wie es Historiker Lothar Gall formulierte. Sein Name blieb bis 1999 Bestandteil der Konzernmarke, was durchaus als Beständigkeit interpretiert werden darf, mit der das Unternehmen an seinem ersten Krupp und dem mit ihm verbundenen Mythos festhielt. „Alfred hat versucht glauben zu machen, dass das Alles aus dem Nichts entstanden sei. Die Krupps waren reiche Leute, Friedrich war Millionär und selbst Alfred konnte noch von dem Vermögen seiner Familie profitieren“, erklärt mir Professor Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker und im Beirat der anstehenden Krupp-Ausstellung des Ruhr Museums.

Am 20. November 1811 gründete Friedrich nach englischem Vorbild eine Fabrik zur Herstellung von Gussstahl. Eine Marktlücke, da die napoleonische Kontinentalsperre Waren von der britischen Insel ausgrenzte. An seiner Seite standen zwei Teilhaber. Wer waren diese Krupps? Die Spurensuche führt ins Jahr 1587: Arndt, ein niederländischer Einwanderer, findet als erster Erwähnung. Er handelte mit Wein, Gewürzen, Eisen und Vieh, war Mitglied der Kaufmannsgilde und engagierte sich politisch im noch nicht vorhandenen Ruhrgebiet. Erbe Anton soll im Dreißigjährigen Krieg Geld mit Gewehren verdient haben. Die folgende Generation mit Friedrich-Jodocus Krupp und seiner Frau Helene Amalie besaß eine Kolonialhandlung, die nach seinem Tod 1757 die Witwe tatkräftig allein weiterführte – und: Sie expandierte. Die Erträge wurden in Grundbesitz und 1799 in das zweitälteste Eisenwerk der Region angelegt, wovon ihr Enkel Friedrich – unser Firmengründer Friedrich – später sehr profitierte.

Als die Großmutter 1810 starb, konnte Friedrich Krupp mit ihrem Geld, dem Grund- und Firmenbesitz seine Zukunft frei gestalten. Das Material, aus dem seine Träume waren, hieß Gussstahl. Die aufreibende Entwicklung allerdings trieb ihn bis an den finanziellen Abgrund, sogar die Mitgesellschafter traten 1816 aus. Auch die neue Werkhalle für acht Schmelzöfen mit Aufseherhaus auf dem Familienbesitz an der Landstraße nach Mühlheim förderte keinen Gewinn aus Werkzeugen und Münzstempeln. Als Gläubiger das städtische Wohnhaus übernahmen, zog Friedrich mit Familie in das Aufseherhaus. Abgang.

Auftritt des wahren Schöpfers: Alfred Krupp (*1812, †1887)

Alfred Krupp

Alfred Krupp: Für ihn war die Firma Selbstzweck. Auf Zeitgenossen wirkte er teilweise skurril. | © istockphoto.com/ZU_09

Er war ein Realist, ein Egoist, ein Autodidakt, ein Patriot. Mit nur 14 Jahren verließ er nach dem Tod des Vaters die Schule und musste in der Firma mitarbeiten. Er war ehrgeizig, unkonventionell und später wirkte er sogar skurril: „Alfred war an der Grenze zur psychischen Auffälligkeit, eine eigenartige Persönlichkeit, die mit dem eigenen familiären Umfeld immer weniger klar kam“, charakterisiert ihn Professor Abelshauser. Bankiers gegenüber verhielt er sich misstrauisch, wollte ihre Einflussnahme um jeden Preis verhindern. Er war die Firma: „Aus dem kleinen Keim der Fabrik, wo Rohmaterial en detail gekauft wurde, wo ich Prokurist, Korrespondent, Kassierer, Schmied, Schmelzer, Koksklopfer und Nachtwächter beim Zementhof und sonst noch viel dergleichen war, […] ist das jetzige Werk hervorgegangen“, hielt er einmal wortgewaltig fest. Das Unternehmen stand über allem, ihm hatten sich die Familienmitglieder zu ergeben: „Die Fabrik war für Alfred Krupp nicht in erster Linie Quelle von Einkommen und Wohlstand, sondern Selbstzweck. Umgekehrt hatte sich also die Familie den Interessen der Firma unterzuordnen, ihr zu dienen“, beschreibt Historikerin Dr. Barbara Wolbring den Kodex der Familie Krupp.

Alfred Krupp agierte als kluger Marketingstratege, der das erwähnte Aufsehergebäude, das „Stammhaus“, in die Legendenschreibung aufnahm: „Es möge warnen, das Geringste zu verachten und vor Hochmut bewahren.“ Quasi als Zeichen, man könne alles aus eigener Kraft schaffen – oder eben mit Großmutters Hilfe. Als ebenso wirksam für den Ruf erwiesen sich die Weltausstellungen, die derzeit in den Metropolen boomten. Hier konnte Alfred seine Produkte medienwirksam der sensationslustigen Weltgemeinschaft darbieten. Besonders die gusseisernen Riesenkanonen beeindruckten – und beängstigten das Publikum am Vorabend des Deutsch-Französischen Kriegs.

Alfred glabute, keine Zeit für Politik zu haben

Vintage engraving of a 32 Pounder Prussian Krupp Siege Gun, a breech loader with Breech piece open for admission of the Shell and Gunpowder 1884

Alfred Krupp wurde auch „Kanonenkönig“ genannt. Die Kanonen, die die preußische Regierung bestellte (im Bild ein Modell von 1884), füllten die Auftragsbücher der Firma. | © istockphoto.com/duncan1890

Der spätere „Kanonenkönig“, die Zeitungen dichteten Alfred ab 1864 diesen martialischen Beinamen an, und der preußische Militarismus kamen sich näher. Dabei wollte Berlin anfangs nicht mit den Essenern zusammenarbeiten, zu versteinert waren die alten Strukturen. Die Militärs ließen sich wenig für die neuen gussstählernen Innenrohre, die sogenannten Seelen, begeistern. Für Seelenfänger Alfred dagegen zählten die Zusammenarbeit mit und die Protektion durch den Staat zu einem ertragreichen „Businessplan“. Die Rüstung sollte für volle Auftragsbücher sorgen – dafür ließ ihr Fluch die Familie nicht mehr los. „Der Mythos Krupp ist mit dieser Eigenschaft als Waffenschmiede verbunden. Mindestens zur Hälfte ist er im Ausland gepflegt worden, ansonsten hatte ihn bereits Alfred inszeniert“, sagt Professor Abelshauser. Aber mit Politik hatten das Alles nichts zu tun, nein, Alfred glaubte fest daran – egal wie viele Waffen die Preußen bestellten, egal wie oft der Kaiser zu Gast war: „Wir haben keine Zeit für Politik, Lektüre und dergleichen.“

Ab 1859 trat die Produktion von Geschützen im größeren Umfang auf den Plan: Die preußische Regierung bestellte 300 Kanonenblöcke. Der Sieg über Frankreich und das daraus resultierende Schmiedewerk des Eisernen Kanzlers, nämlich das Deutsche Reich, waren somit aus den Schmelzöfen der Firma hervorgegangen. Tatsächlich aber lag der entscheidende Durchschlag des angehenden Weltkonzerns woanders: bei Achsen und Eisenbahnreifen aus Gussstahl. Seit etwa 1850 experimentierte man mit nahtlos geschmiedeten und gewalzten Reifen. Genau das richtige Qualitätsprodukt, um den Wilden Westen zu erobern. Kein Wunder, dass 1875 Alfred ein neues Markenzeichen aus diesen „Ringen“ kreierte; die drei übereinanderliegenden Kreise existieren noch heute im Firmensymbol. Soweit so gut, fehlt für den Erfolg nur noch die wichtigste Ressource: die Arbeiter. Man könnte fast sagen: die Untergebenen.

Alfred zahlte gut, überwachte seine Arbeiter aber auch

Alfred leistete eine Menge für sie, er garantierte, so gut es ging, Arbeitsplätze und zahlte hohe Löhne, dafür musste auch schon mal das Tafelsilber herhalten. 1853 kam die betrieblich verpflichtete Kranken- und Sterbekasse, 1855 die Pensionskasse. Allerdings forderte der Firmenchef wiederum viel – ganz nach seinem Motto: „Treue gegen Treue“. „Sie sollen an die Fabrik gekettet sein durch Neigung und Interesse“: Ohne Disziplin und Präzision, mit hoher Fluktuation und niedriger Qualifikation entsteht kein hochwertiger Gussstahl, dass wusste Alfred Krupp. Wer nicht reinlich lebte, eine linke Zeitschrift abonnierte oder aufsässig war, konnte sofort sein Heim verlieren.

Damit hatte die Arbeiterbewegung in Essen zunächst keine Schnitte. Alfreds Kontrolleure konnten jederzeit an den Wohnungstüren in den Werkssiedlungen klopfen und Einblick fordern – was wäre gewesen, wenn er seine Idee von einer Geheimpolizei verwirklicht hätte? Der Gutsherr, der Patriarch wollte die absolute Kontrolle. Zu bestaunen auch an der Villa Hügel, in die die Familie 1873 einziehen konnte, nur die Heizung funktionierte nicht wie von dem Planer erdacht. Alfred war eben kein Architekt, auch wenn er es probierte. Für jemand anderes hätte es vielleicht gereicht, die Firma „Fried. Krupp“ mit 20 200 Mitarbeitern zu einem der größten Konzerne weltweit auszubauen, zu dem größten Europas. Abgang.

Der erfolgreichste Krupp: Friedrich Alfred Krupp (*1854, †1902)

Es wäre unfair, das Kapitel dieses Krupps mit der augenscheinlich spannendsten Story zu beginnen. Immerhin bereitete er das Unternehmen für das 20. Jahrhundert vor: „Erfolgreichster Kruppchef war Friedrich Alfred. Er hat die Produktionsskala in den Bereich der neuen Industrien erweitert, hat die Wissenschaft in die Produktion eingebracht und hat den Bestand am Markt gesichert“, sagt Professor Abelshauser. Er zeigte Talent in Verhandlungen und als Vermittler. Ein Grübler, symphatisch und introvertiert, der anfangs im Schatten des Vaters untergegangen war. Was ihn mit seinem Vater einte? Einiges: der Einsatz für die Kruppianer, für die Firma.

Wieder arbeitete der Konzernchef eng mit dem Kaiser zusammen, wieder betrieb er Werbung wie durch den Aufbau des Deutschen Flottenvereins. 1895 nahm die Familie das Werk Rheinhausen in ihren Kreis auf, es wurde über Jahrzehnte zum Juwel der Firma, an dem immer weiter geschliffen, das immer weiter ausgebaut werden konnte. Das Unternehmen zählte 1902 46 000 Mitarbeiter. Doch für mediales Aufsehen sorgte eher Friedrich Alfreds Privatleben. Die Kombination von „erster“ Krupp, Reichstagsabgeordneter und Homosexueller barg Explosionsgefahr, die Bombe ging am 22. November 1902 hoch. Offiziell wurde nicht von Selbstmord gesprochen, aber die Presse zog es in Betracht, da in der Vorwoche seines Ablebens ein Artikel über Friedrich Alfred Krupps „Orgien“ auf Capri erschienen war. Ein Skandal. Abgang.

Auftritt von Kruppfrau Bertha (*1886, †1957)

„Die Krupp-Frauen waren sehr unterschiedlich. Helene Amalie war als Geschäftsfrau sehr erfolgreich. Für Bertha hingegen stand es am Anfang des 20. Jahrhunderts außer Frage, selbst an der Leitung des Unternehmens teilzunehmen. Das immer stärkere Zurücktreten der Frauen aus dem geschäftlichen Leben ist typisch für die Entwicklung der Rolle der Frau im 19. Jahrhundert“, erklärt Dr. Barbara Wolbring. Für Bertha musste also ein kompetenter Mann her. Den fand sie in Gustav von Bohlen und Halbach. Einer, der sich der Ordnung verpflichtete, dabei kühl und reserviert. Zur Heirat schenkte ihnen der Kaiser die Erlaubnis, dass der jeweils Erstgeborene „Krupp“ dem Namen voranstellen darf. Im gleichen Jahr wurde Gustav stellvertretender Vorsitzender des in eine AG umgewandelten Unternehmens.

Von 1909 bis 1943 saß er dem Aufsichtsrat der Fried. Krupp AG vor. Wieder einmal verband sich das Schicksal der Firma mit dem Deutschlands: Der Erste Weltkrieg brach aus. Geführt mit den Rüstungserzeugnissen aus Essen. Der Hass auf Kriegstreiber Deutschland bedeutete Hass auf den Profiteur Krupp. Es folgte der Versailler Vertrag, der zur Friedensproduktion zwang. In den Werkshallen entstanden Zahnersatze oder Motorroller, für die allerdings keine Nachfrage bestand. Dann die Ruhrbesetzung: 13 Arbeiter starben beim passiven Widerstand, ein französisches Militärgericht inhaftierte Gustav, neben weiteren Direktoren, für sieben Monate. Das schweißte zusammen: Die Angestellten wurden zu „Kruppianern“ und Gustav zum Krupp.

Als die Nazis die Firma Krupp bestimmten

Lokomotiven, Lastwagen oder Landmaschinen füllten nicht lange den Produktionsplan allein aus. Die aggressive Politik der NSDAP begann, die Firma zu bestimmen, und auch als Vorsitzender des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie“ (RDI) konnte sich Gustav kaum der nationalsozialistischen Gleichschaltung entziehen. Im Übrigen brauchten Hitler und Konsorten den Mythos Krupp. Obwohl unter ihnen Unzufriedenheit über das geringe Engagement der Firma herrschte.

Die Krupps nahmen sich anfangs zurück, waren keine Förderer, hielten Abstand zum Regime. Gustav wollte vermeiden, dass die Hakenkreuz-Flagge auf dem RDI-Gebäude gehisst wurde, und Bertha soll Hitler verabscheut haben. Aber am Ende kippten auch sie. Im Geschäftsbericht 1934/35 ist zu lesen: „Erstmalig nach jahrelanger Unterbrechung haben wir auch wieder größere Aufträge der deutschen Wehrmacht ausgeführt und sind damit zu einer ehrenvollen Tradition unseres Hauses zurückgekehrt.“ Drittes Reich und Krupp waren eng verwoben, nicht ohne Grund haben sich Ausdrücke wie „Waffenschmiede des Reichs“ oder „hart wie Kruppstahl“ ins kollektive Gedächtnis gepflanzt. Wieder verzeichnete Krupp große Gewinne dank der Politik, auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern. 1943 arbeiteten 243 300 Menschen für Krupp. Abgang.

Der letzte an der Spitze: Alfried (* 1907, † 1967)

„Mein Leben hat nie von mir selbst abgehangen“: Auftritt von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, dem letzten Krupp an der Spitze. Er war ehrgeizig, konsequent, ruhig, zurückhaltend, charismatisch und aristokratisch. Als er während seiner Haftstrafe bei der Arbeit in der Schlosserei gefragt wurde, wie er angeredet werden wolle, so sagte er: „Nennen Sie mich Krupp, deswegen bin ich hier.“ Wie kam es zu seiner drei Jahre langen Haft? Das „Lex Krupp“ verwandelte 1943 die Fried. Krupp AG wieder in eine Einzelfirma mit Alfried als Inhaber. Dann war der Krieg zu Ende, die Nationalsozialisten besiegt, Hitler tot. Bei den Nürnberger Prozessen erhoben die Alliierten Anklage gegen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der allerdings zu krank für das Verfahren war. NSDAP-Mitglied Alfried klagten die Alliierten ebenfalls an: wegen Verschwörung gegen den Frieden, Mitschuld am Angriffskrieg, Plünderung und Ausbeutung von Zwangsarbeitern. 1948 verurteilten ihn die Richter wegen der letzten beiden Punkte zu zwölf Jahren Haft und zur Einziehung seines Vermögens – 1951 kam Alfried wieder frei und erhielt sein Geld zurück.

Und dann? Für einen Krupp gab es nur einen Weg: zurück zur Firma, ihr stand Alfried ab 1953 wieder vor. Währenddessen wurde das Symbol des deutschen Kriegswillens demontiert, Bergbau- und Hüttenbetriebe sollten verkauft werden. Alles auf null. Wiederholt sich Geschichte? Es ging wieder aufwärts. Anfang der 1960er-Jahre erreichte Krupp seinen wirtschaftlichen Höhepunkt in der Nachkriegszeit. Aber es hatte sich etwas geändert, der erste Krupp war kein Krupp mehr. Alfried hatte Berthold Beitz 1953 ein Angebot gemacht, das der 38-jährige Geschäftsmann annahm und das ihn zu seinem Generalbevollmächtigten adelte. Kein Krupp, kein der Firma Ergebener, Abhängiger, Erstarrter. Beitz ist offen, loyal und besitzt eine Vergangenheit frei vom nationalsozialistischen Erbe, beschützte Juden sogar. Nicht der Sohn, nicht Arndt, der eher als Lebemann denn durch Tugenden wie sein Ur-Ur-Großvater von sich reden machte, übernahm das Unternehmen und führte es ins 21. Jahrhundert. Arndt bekam eine Apanage von zwei Millionen D-Mark jährlich und verzichtete dafür 1967 auf das Erbe, damit wurde Fried. Krupp zu einer GmbH, deren Mehrheitsanteile bei der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung lagen. Arndt Krupp von Bohlen und Halbach starb 1986 ohne Erben. Die Geschichte endet und beginnt mit einem „Arndt“. Abgang.

Die Krupps spalten, lassen kaum jemanden kalt

Dem Unternehmen Krupp scheint es heute gut zu gehen: Es heißt jetzt ThyssenKrupp – nach der Fusion 1999 – und machte im Geschäftsjahr 2009/2010 einen Umsatz von 42,6 Milliarden Euro. Betätigungsfelder: Anlagenbau, Edelstahl, Qualitätsflachstahl. Nachrichten von Umweltzerstörung und Verkalkulierung im brasilianischen Werk füllen die Schlagzeilen über ThyssenKrupp. Als Medien berichteten, dass 14 000 Mitarbeiter in Deutschland entlassen werden sollen, sagt Bundespräsident Christian Wulff seinen Besuch in Südamerika ab. „Krupp lässt die Leute nicht kalt“, resümiert Dr. Barbara Wolbring am Ende unseres Gesprächs. Das merke ich, als ich mich leider an den zahlreichen Fotografien der Ausstellung vorbeiquetschen muss. „Viel Erfolg!“, wünsche ich noch dem letzten Wächter, den ich bei meinem Ausflug auf den grünen Hügel begegne. „Den werden wir wohl haben“, antwortet er – und damit hat er ja so recht.

Janina Lingenberg

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 10/2011 „Ketzer im Mittelalter“

Zuletzt geändert: 06.10.2016