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Janitscharen

Leibgarde des Sultans

Die Jantischaren bildeten die militärische Elite des Osmanischen Reiches, gedrillt, um zu siegen. Bei den Soldaten des Sultans ging es zu wie in einer Großküche – und das ist durchaus wörtlich gemeint.

Jantischaren im Reitergefecht

Hoch zu Ross: Jantischaren im Gefecht. Zeichnung von Jan van Huchtenburg, 17./18. Jahrhundert. | © Rijksmuseum Amsterdam

 

Im September 1396 war ein großes Heer der lateinischen Christenheit bis an die bulgarische Donau vorgestoßen. Sie belagerten dort das Städtchen Nikopolis, als Sultan Bayezid I. Yildirim („der Blitz“) heranzog. Da wussten die Kreuzfahrer, dass ihnen die Konfrontation mit den gefürchteten Janitscharen bevorstand
Der Sultan ließ unverzüglich seine Elitetruppe am Rand eines Hügels in Stellung gehen, der vor dem Lager der Christen lag. Die Janitscharen bauten eine leichte Verschanzung aus Palisaden und spannten Pfeil und Bogen. Als die christlichen Ritter angriffen, galoppierten sie in einen verheerenden Pfeilhagel hinein. Die Janitscharen hielten eisern stand, bis der Sultan, der seine Hauptmacht hinter dem Hügel versteckt gehalten hatte, hervorbrach. Die Christen erlitten eine verheerende Niederlage; wer nicht auf der Stelle niedergemacht wurde, wanderte in die Sklaverei. Diesen Sieg hatte Bayezid seinen yeni ceri (dt. neue Truppe) zu verdanken.

Die Elite rekrutiert sich aus Kriegsgefangenen

Am Anfang der Janitscharen stand der Koran, und zwar mit der Sure 8 („Die Beute“), Vers 41 : „Wenn ihr irgendwelche Beute macht, gehört der fünfte Teil davon Gott und dem Gesandten [dem Propheten Mohammed] …“. Auf dieser Grundlage reservierten sich die ersten osmanischen Herrscher ein Fünftel der jungen Kriegsgefangenen und schickten sie zur Feldarbeit nach Anatolien. Sobald sie dort ausreichend Türkisch gelernt hatten, wurden sie einem harten Drill unterworfen. Dann wurden diejenigen, von denen man sich im Zivildienst mehr versprach, in die Verwaltung des Reiches eingeführt. Dort konnten sie bis zum höchsten Posten aufsteigen, bis zum Großwesir. Die anderen blieben Soldaten. So züchteten sich die Sultane eine Elite heran, die sie von der türkischen Aristokratie unabhängig machte.

War der Drill vorbei, mussten die jungen Leute als Sklaven des Sultans in den Kasernen bleiben, durften nicht heiraten. Stattdessen nahmen sich Prediger ihrer an und impften ihnen ein, das Beste für sie wäre, als kompromisslose Kämpfer im Krieg gegen die Ungläubigen den Tod zu erleiden und dadurch geradewegs ins Paradies zu kommen. Der Sultan behielt das direkte Kommando über seine kapikuli („Sklaven der Hohen Pforte“) und setzte sie zunächst als seine Leibgarde ein. Ihr Anführer, der Janitscharen-Aga, der sich in der Truppe hochgedient hatte, war in Abwesenheit des Sultans stellvertretender Oberbefehlshaber des Heeres. Die Truppe lehrte die abendländischen Ritter, die derart professionelle und disziplinierte Einheiten niemals aufbieten konnten, nicht nur bei Nikopolis das Fürchten.
Die Rekrutierung einer solchen Truppe musste auf eine systematische Grundlage gestellt werden. Deshalb ging man seit Sultan Murad II. (1421 – 1451) dazu über, auch in Friedenszeiten regelmäßig Greifkommandos auf den Balkan zu entsenden. Die fingen bei der christlichen Bevölkerung so viel an kräftigen, aufgeweckten Jungen zwischen sieben und 14 Jahren ein, wie man zur Ergänzung der Truppe brauchte. Erst waren serbische Knaben besonders gefragt, dann auch Albaner, Rumänen, Bulgaren, Griechen und Ungarn.

„Knabenlese“: Aus Jungen werden Soldaten

Von nun an war der Sultan ihr Vater, die Kaserne und das Schlachtfeld ihre Heimat. Diese „Knabenlese“ (devsirme) war für die betroffenen Völker grausam. Doch es kam auch vor, dass sich islamisierte Völker des Balkanraums darüber beschwerten, bei der „Knabenlese“ übergangen worden zu sein.
Mit der Zeit umfasste die Elitetruppe über 200 000 Mann. Eine Kompanie hieß orta und zählte 200 bis 400 Soldaten. Sultan Süleyman „der Prächtige“ (1520–1566) befehligte 165 Ortas, die nach seinem Tode auf 196 anwuchsen. Diese waren in drei Divisionen aufgeteilt: die jemaat (Grenztruppen) mit 101 Ortas, die bölüks (Leibgarde, eigentlich „Herde“) mit 61 oder 62  und die sekban („Hundewächter“) mit 33 oder 34 Ortas. Die ajami (Rekruten) kamen mit 34 Ortas hinzu. Der Aufstieg konnte nur innerhalb einer Orta erfolgen; man verließ sie nur, um Kommandeur einer anderen Orta zu werden.
Hauptstandort war Istanbul. Daneben gab es Garnisonen in Bagdad, Damaskus und Kairo; in Europa auch in Belgrad und Buda. Jede Einheit hatte ihre besondere Fahne, und angeblich hatte jeder Mann auch eine besondere Tätowierung auf dem rechten Arm, aus der seine Einheit hervorging. Bei Nikopolis waren sie noch alle als Pfeilschützen aufgetreten, doch später verwendeten sie auch Handfeuerwaffen, für den Nahkampf Beile, Säbel und Yatagane (Dolche). An Artillerie, Reiterei und Marine waren sie niemals beteiligt.

Die Janitscharen sind wie eine Großküche organisiert

Die militärischen Ränge folgten der Organisation einer Großküche. Damit sollte wohl ausgedrückt werden, dass der Sultan seinen Elitesoldaten für ihren unbedingten Gehorsam eine gute und regelmäßige Verpflegung schuldete. Der Hauptmann einer Orta hieß corbasi (Suppenmacher), sein Stellvertreter war der ascibasi (oberster Koch). Der Quartiermeister entsprach dem Küchenchef (vekelicardibasi). Der wichtigste Unteroffizier einer Orta war der odabasi, der „Chef der Küchenjungen“.
Der Stellvertreter des Janitscharen-Aga bezog seinen Titel vom Jagdgefolge des Sultans – er war der sekbanbasi, der „oberste Hundewärter“. Andere Stellvertreter hießen „oberster Wärter der Spürhunde“, „oberster Wärter der Kraniche“ (die zum Fischfang abgerichtet waren) und „oberster Wärter der Doggen“.
Die Hauptmahlzeit war ein nahrhafter Fleisch- und Gemüse-Eintopf, was den Suppenkessel (kazan) zum Symbol der Truppe machte. Deshalb führte der corbasi bei feierlichen Anlässen einen riesigen Suppenlöffel mit sich. Waren die Soldaten unzufrieden, etwa weil sie auf einem Feldzug in den asiatischen Osten des Reiches sollten, wo wenig Beute winkte, dann weigerten sie sich, ihren Suppenlöffel, den sie gut sichtbar an ihren Mützen trugen, in den kazan zu tauchen – oder sie warfen den Kessel sogar um. Bereits 1449 setzten sie auf diese Weise eine bessere Besoldung durch.

1683 kommt das Ende der Knabenlese. Ämter werden käuflich

Seit Mehmed II. (1451 – 1481), dem Eroberer Konstantinopels, musste jeder Sultan bei seiner Thronbesteigung den Sold anheben und den Janitscharen ein zusätzliches Geschenk anbieten. Selim II., der Nachfolger Süleymans, „schenkte“ ihnen die Erlaubnis zum Heiraten. Von nun an gingen die Janitscharen dazu über, ihre Söhne in der Truppe unterzubringen. Sie wurde so mehr und mehr zur geschlossenen Gesellschaft, so dass 1683 die „Knabenlese“ vollständig abgeschafft wurde. Man konnte sich die Offiziersränge schließlich sogar kaufen.
Indem das strikte Leistungsprinzip damit in den Hintergrund trat, wurde so der Niedergang sowohl der Janitscharen als auch des gesamten Reiches eingeläutet. 1683, bei der Belagerung Wiens, waren sie auf dem rechten Flügel aufgestellt, wo sie auf die anrückende Entsatzarmee der Christen trafen, und sie wurden schamvoll in die Flucht geschlagen!
Wenn die Sultane schwache Persönlichkeiten waren, dann nützten die Janitscharen das erbarmungslos aus, zumal sie in Istanbul auch noch polizeiliche Aufgaben hatten, die sie mit allerlei korrupten Geschäften verbinden konnten. 1622 ermordeten sie erstmals gar den Sultan ( Osman II.).
Als es im 18. Jahrhundert notwendig wurde, die osmanische Armee zu modernisieren, um mit den technisch und taktisch überlegenen Europäern Schritt halten zu können, widersetzten sie sich vehement, da sie um den Verlust ihrer Privilegien fürchteten. Sultan Selim III. (1789–1807) wurde wegen seiner Reformabsichten von ihnen abgesetzt und umgebracht. Sie marodierten daraufhin in der Hauptstadt, setzten ganze Viertel in Brand und lieferten sich untereinander Straßenkämpfe.
Der neue Sultan Mahmud II. erkannte, dass er diese Störenfriede, die auch in einigen Provinzen die Macht an sich gerissen hatten, unbedingt loswerden musste, wenn er seine Macht erhalten wollte. So begann er, europäisch ausgebildete Truppen aufzustellen. Dagegen rebellierten die Janitscharen am 14./15. Juni 1826. Der Sultan ließ seine loyalen Truppen aufmarschieren, darunter die neu geschaffene Artillerie. Sie schoss die Kasernen der Janitscharen gnadenlos zusammen.
Wer diesem Inferno entkam, wurde in den Straßen Istanbuls vom Pöbel, verfolgt, gelyncht, in der Kanalisation ausgeräuchert oder gefesselt in den Bosporus geworfen. Zehntausende kamen um; der Besitz, den das Elitekorps angehäuft hatte, fiel an den Sultan. Dieser fand aber nie wieder eine Truppe von solch großer Schlagkraft.

Bernd Rill

 

Zuletzt geändert: 08.06.2015